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sein? Eine Galerie vielleicht?«

      »Oder ein Geschäft für Malerbedarf?«, spekulierte Neugebauer. »Farben und Pinsel und so.«

      Brummer zückte sein Handy, tippte die Telefonnummer ein, die auf der Visitenkarte stand, und versuchte eine Verbindung zum Internet herzustellen. Fluchend gab er auf. Hatte er etwas anderes in einem Waldgebiet der Eifel erwartet?

      Aber wenigstens die Handykamera funktionierte. Brummer kniete nieder und machte Nahaufnahmen vom Gesicht der Toten. Wenn sie Anna Jordi war, mussten sie ihrem Ehemann, Felix, jetzt gleich, in ein paar Minuten, die schreckliche Nachricht überbringen. Wenn die Tote nicht Anna Jordi war, würden sie ihre Identität erst herausfinden müssen. Da konnten ein paar Tage ins Land gehen. Aber am Ende stand auch da die Todesnachricht. Ein Horror-Job.

      Hoffentlich, flehte Frieda im Stillen, hatte sie keine Kinder. In Momenten wie diesen wünschte sie, sie wäre nicht in der Mordkommission, sondern in einem anderen Dezernat, vielleicht im Betrugsderzernat.

      Als der Leichenwagen heranrollte und sorgsam um die Markierungskeile herumgelenkt wurde, war Frieda dankbar für den kleinen Aufschub. Die Bestatter erledigten ihre Arbeit pietätvoll, routiniert, jeder Handgriff saß. Keine Viertelstunde war vergangen, als der Kofferraumdeckel hinter dem Sarg zuschlug. Die Künstlerin trat ihre letzte Reise an. Still, stumm, leise. Für immer. Die Bestatter grüßten, stiegen ein und chauffierten die Tote wie vereinbart in die Kölner Rechtsmedizin, wo sie irgendwann untersucht werden würde.

      Es war mit einer Wartezeit zu rechnen. Die Kühlfächer in Köln waren gut gefüllt. Die Rechtsmedizin Aachen und Bonn war geschlossen worden, für die Region war allein Köln zuständig. Die Planstellen der Rechtsmediziner gekürzt. Tote konnten warten. Es musste eine besondere Schwere der Tat vorliegen, dass eine Leiche der anderen vorgezogen wurde.

      Die beiden Kriminaltechniker hatten die nähere Umgebung nach weiteren Fußspuren, umgeknickten Zweigen, Spuren einer Verfolgung oder eines Kampfes und dem blauen Ölkreidestift durchstreift, ohne etwas zu finden. Es blieb bei der Stiefelette, dem Ehering, dem Skizzenbuch und der Schachtel Ölkreidestifte. Als sie den Ort des Geschehens verlassen hatten, blieb nur die Mordkommission Euskirchen zurück.

      »Und jetzt?«, fragte Frieda eher rhetorisch und scharrte mit der Spitze ihres Schuhs im Waldboden. Jetzt mussten sie die Todesnachricht überbringen. Sie sah nicht die Blicke, die ihre Kollegen wechselten.

      »Du fährst ins Büro, Chef«, sagte Brummer zu ihr.

      Sie war nicht ihre Chefin. Nicht im dienstlichen Sinne. Das war und blieb Roggenmeier bis ans Ende aller Tage. Sie war noch nicht Hauptkommissarin. Gerade eben war sie Oberkommissarin geworden. Aber zwei Jahre zuvor hatte sie aus rein organisatorischen Gründen einmal die Leitung einer Soko, der »Soko Campingplatz«, übernommen, seitdem haftete der Titel an ihr.

      »Achim und ich fahren zum Ehemann«, erklärte Brummer. »Du kannst in der Zwischenzeit mal den Background dieser Familie Jordi recherchieren.«

      »Gute Idee«, versicherte Neugebauer. »Beruf, Werdegang, Umfeld, du weißt ja, wie das geht, oder Chef?«

      Frieda blickte zweifelnd von einem zum anderen. Das Angebot klang verlockend. Sie würde auch notfalls das Büro putzen, alles lieber, als in die Gesichter der Angehörigen zu blicken, wenn die Worte heraus waren. Frieda hatte ihr eigenes Auto dabei, Brummer und Neugebauer waren aus Kall gekommen. Nichts sprach dagegen und niemand.

      Außer einer inneren Stimme. Rechtsmediziner a. D. und Vater Dr. Helmut Stein, sein verbittertes Gesicht und seine wütende Parole: Man drückt sich nicht vor schwierigen Aufgaben, wenn man aus seinem Leben etwas machen will!

      »Nun geh schon«, drängte Neugebauer. »Wir kommen nach. In einer Stunde ist der Spuk vorbei. Wenn wir zu dritt kommen, kriegen die Jordis gleich die totale Panik. Je nachdem, wie es läuft, rufen wir unseren Psycho-Fritzen oder den Seelenfänger dazu. Wir sind schon groß.«

      Frieda rückte schließlich die Visitenkarte heraus und reichte sie den Kollegen. »Und wenn es Kinder gibt?«

      Neugebauer legte die Hände auf ihre Schultern, drehte sie herum, schob sie zu ihrem Auto und sagte. »Du kannst sie nicht retten, wann lernst du das?

      »Tschö, Chef!«, rief Brummer.

      Neugebauer und Brummer warteten, bis Friedas Auto außer Sichtweite war. Es war nicht so, dass es ihnen nichts ausmachte, eine Todesnachricht zu überbringen. Aber sie hatten gelernt, ihr Gefühlsleben hinter einem routiniert wirkenden Auftreten zu verbergen. Jedenfalls im Einsatz. Sie hatten zehnmal so viele Dienstjahre auf dem Buckel wie Frieda. Brummer stellte den Kragen seiner speckigen Lederjacke hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Neugebauer blinzelte nervös, ließ seinen Trench offenstehen, sodass man das karierte Winterfutter sehen konnte, und ging voraus.

      »Packen wir’s an«, sagten sie unisono.

      Malwestt war keine Galerie und kein Geschäft, sondern eine Mal-Werkstatt, fanden sie heraus. Sie warb gleich am Ortseingang von Blankenheim auf einem wildbunten Plakat für ihre renommierten Dozenten, ihre Meisterschüler, ihre außergewöhnlichen Seminare und ihre gemütlichen Unterkünfte in der Nähe und führte den Besucher über eine Nebenstraße der Bahnhofstraße unweit des Tiergartentunnels zu einem Haus mit angrenzendem Hof. Das zweiflügelige, leicht verbeulte Tor aus grau lackiertem Blech war verschlossen und über einen Mauervorsprung mit dem danebenliegenden Haus verbunden, einem typischen Fachwerkhaus mit zwei Stockwerken. Eine Treppe führte zu einer schön verzierten Haustür, einem rot blühenden Geranientopf und zwei Klingeln.

      Brummer drückte auf die untere Klingel: Anna Jordi. An der oberen Klingel stand nichts. Er legte die Hand über die Augen und spähte an der Hausfassade empor. Bewegten sich Gardinen? Öffnete sich ein Fenster? Nichts. Öffnete sich die Haustür? Nein. Auch im Obergeschoss nicht. Kein Wunder, dachte Brummer, wenn sie doch auf dem Weg zu einem Kühlfach der Rechtsmedizin Köln war.

      Brummer wählte die Telefonnummer, die auf der Visitenkarte angegeben war. »Anrufbeantworter«, rief er Neugebauer zu. Er hinterließ keine Nachricht. Für wen auch?

      Er beobachtete, wie Neugebauer hochsprang, um einen kurzen Blick über das Tor hinwegzuwerfen, ungeduldig dagegentrat und ihm eine neue Beule versetzte. Der Abdruck seiner Profilsohle war deutlich erkennbar.

      Brummer stieg die Treppe hinunter. Der Handlauf war wacklig, die Stufen ausgetreten. Mit einem sägenden Geräusch wurde ein Flügel des Hoftores aufgezogen. Er schabte über den unebenen Boden.

      »Ja, bitte?«, fragte eine Frau. Sie trug eine blaue Latzhose, die mit Farben bekleckert war. Ihre Haare hatte sie mit einem bunten Tuch zurückgebunden.

      »Frau Anna Jordi?«, fragte Brummer von der vorletzten Stufe.

      »Nein, das bin ich nicht. Anna Jordi ist die Leiterin unseres Kurses.«

      Brummer zog seinen Ausweis hervor und näherte sich.

      »Polizei?« Die Frau runzelte die Stirn. Sie zog das Tor auf und gab den Blick frei auf einen gepflasterten Innenhof, in dem kreuz und quer Staffeleien standen, Stühle, Bänke, ein Tisch, Eimer, Töpfe, eine Wasserstelle, Tücher und Lappen. Ein Teil des Hofes war überdacht und für die kalte Jahreszeit mit Terrassenheizung ausgestattet. Zwei weitere Frauen legten ihre Malwerkzeuge ab und traten neugierig heran.

      »Polizei«, rief sie ihnen zu.

      »Und wer sind Sie?«, fragte Brummer und blickte von einer zur anderen.

      Alle drei Frauen waren, wie sich herausstellte, Teilnehmerinnen des Malkurses »Acryl für Anfänger« und sprachen durcheinander.

      Neugebauer wühlte in seiner Jackentasche nach seinem Notizblock und sah aus, als versuchte er, sich derweil ihre Namen zu merken. »Gibt es noch mehr Teilnehmerinnen?«

      »Wir sind insgesamt sechs Frauen und ein Mann.«

      »Wo sind denn die anderen?«, fragte Brummer.

      »In ihren Hotels? Wir fangen um zehn Uhr an. Aber nicht alle sind immer pünktlich.«

      »Können Sie uns

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