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Stein, ihre Nachfolgerin in der Mordkommission Euskirchen. Auch wenn es nur war, um kurz Hallo zu sagen und auf die Frage: Lebst du noch? die unwirsche Antwort zu bekommen: Nein.

      »Frieda?«, rief Sonja ins Telefon.

      »Hallo Omilein! Ich bin’s!«

      Omilein? Sonja nahm das Telefon vom Ohr und blickte es ungläubig an. Wie bitte? Träumte sie? Im nächsten Moment war sie schlagartig wach, nichts tat mehr weh, nichts war mehr zu mühsam, nichts zu dunkel, nichts mehr öde.

      »Omilein!«, plärrte es weinerlich aus dem Lautsprecher.

      Unfassbar! Sie hatte schon befürchtet, es träfe sie nie. Aber nun! Selig lächelte sie auf das Display, das eine unbekannte Mobilfunknummer anzeigte. Endlich bekam auch sie einen dieser berüchtigten Anrufe. Schnell presste sie das Telefon wieder an ihr Ohr und kritzelte nebenher mit einem stumpfen Bleistift die Telefonnummer auf den Kölner Stadt-Anzeiger, Ausgabe Eifel, Seite 5, wo ein Trinkgelage in Euskirchen für alle Beteiligten im Krankenhaus endete.

      »Wer ist denn da?«

      »Rate doch mal!«

      »Mein Lieblingsenkel?«, fragte sie prompt, ein Leben lang ledig und kinderlos, aber auf der Höhe und nicht verschlafen.

      »Genau, Omi, ich bin’s.«

      Wie hießen Kinder heutzutage, überlegte sie fieberhaft. »Warte, ich komm nicht auf deinen Namen. Hab ja lange nichts von dir gehört.« Sie checkte die Telefonnummern gegen, ergänzte die beiden fehlenden Zahlen. »Du bist der … der … der Max, stimmt’s?«

      »Ja, genau, dein kleiner Max.«

      Sie hätte auch Simon oder David sagen können. Ihr Lieblingsenkel wäre einverstanden gewesen. »Das ist aber schön, Max, dass du dich mal meldest. Wo bist du denn gerade?«

      »In … in …«, Max musste nachdenken und zog schluchzend die Nase hoch.

      »Bist du erkältet?«

      »Nein.« Schluchz. Schnief. »Das ist es nicht.«

      »Aber du hörst dich schlimm an.«

      »Mir geht es auch echt nicht gut.«

      Ob er Geld brauche, wollte Sonja schon fragen, biss sich aber im letzten Moment auf die Lippen. Nichts überstürzen. »Was hast du denn, mein Kleiner? Ärger mit Mama und Papa?«

      Schluchz. Schnief. »Woher weißt du das?«

      »Na, ich kenn doch meine Tochter«, antwortete Sonja. Sie hätte auch meinen Sohn sagen können, es spielte keine Rolle. Max widersprach nicht. Und sie hatte weder die eine noch den anderen.

      »Ich habe ein Problem«, seufzte er. »Ein großes sogar.«

      »In der Schule?«

      Stille im Telefon. Sonja sah ein klägliches, rotznäsiges Jungengesicht vor sich. »Soll ich mal mit deinen Eltern reden?«

      »Nein! Nein«, wehrte er entsetzt ab. »Ich … ich … weiß nicht, ich trau mich gar nicht, dich zu fragen.«

      Wie rührend. Sonja wurde langsam ungeduldig. Nun, komm schon, sag es.

      »Aber es wäre mega, wenn du mir helfen würdest.«

      »Mach ich, mein Junge, aber wie denn nur?«

      »Wenn du mir … ein wenig … ein wenig Geld leihen könntest.«

      Ha! Sonja triumphierte. Jetzt wurde es interessant.

      »Nur ganz kurz und du bekommst es auch garantiert wieder. Ich schwöre es dir.«

      »G e l d?«, fragte sie und ließ ihre Stimme geriatrisch zittern. »Wozu denn?«

      »Ach, es ist alles so furchtbar. Oskar wurde doch angefahren.«

      War Oskar jetzt ihr Sohn oder Schwiegersohn? Keine falschen Fragen. Sonja wartete ab.

      »Mein süßer, kleiner Oskar, er ist doch noch ganz jung, hat sich nur losgerissen, weil er spielen wollte und ist auf die Straße gelaufen. Ich hab ihn natürlich sofort zum Tierarzt gebracht. Der hat ihn stundenlang operiert.«

      »Ach je«, stöhnte Sonja auf. Das hörte sich nach einem Hund an. »Geht’s ihm denn jetzt wieder gut?«

      »Er muss noch mal operiert werden.«

      »Aber der Mann, der ihn angefahren hat, muss das doch zahlen. Der war schuld.«

      »Das war er auch, aber der ist einfach weitergefahren.«

      »Oh nein! Auch das noch. Hast du sein Nummernschild notiert?«

      »Nein, ich hab mich nur um meinen Oskar gekümmert. Er war voller Blut und heulte und jammerte und strampelte und schrie wie am Spieß.«

      »Das hast du gut gemacht«, lobte Sonja ihn. »Das war Fahrerflucht oder wie man das nennt.«

      »Genau, Omilein.«

      »Warst du bei der Polizei?« Sonja unterdrückte ein Kichern.

      »Nein, ich bin sofort zum Tierarzt. Ich konnte an nichts anderes denken.«

      Gut gekontert. »Dann müssen deine Eltern alles zahlen.«

      Max heulte los. »Das ist es ja. Aber die wollten ihn einschläfern lassen, stell dir vor.«

      »Oh nein! Der arme Oskar! Das ist ihnen wohl zu teuer, was? Ja, meine Tochter war immer ein Geizhals.«

      Sonjas Polizistenherz schlug ihr bis zum Hals. Insgeheim begann sie zu ermitteln: Zeugen, Name des Tierarztes … aber dann rief sie sich zur Ordnung, wollte es nicht verderben, die Angelegenheit war delikat.

      »Deswegen hab ich Oskar ja auch heimlich operieren lassen. Ich hab mir das Geld geliehen. Aber es reicht nicht. Und jetzt will er das Geld auch noch zurück.

      »Wer?«

      Schweigen.

      »Wer?«, Sonjas Frage klang schärfer.

      »Ich dachte, er wäre mein Freund.«

      »Bei Geld hört die Freundschaft auf«, betete ihm Sonja vor. »Warum hast du dich nicht eher bei mir gemeldet?«

      »Ehrlich gesagt, ich hab mich nicht getraut.«

      »Aber ich bin doch deine Oma«, erinnerte Sonja ihn. »Dazu sind Omas doch da. Wie viel brauchst du denn? Ich habe leider nicht viel im Haus.«

      »Wie viel hast du denn da?« »Da muss ich erst nachsehen.«

      »Ich brauche mindestens …« Max verschluckte die Zahl.

      »Wie viel?«

      »Tausend.«

      »Tausend?«, wiederholte Sonja entsetzt. »Die zweite Operation wird kompliziert.« »Hör zu, Max, das kriegen wir irgendwie hin«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen.«

      »Ich muss es aber morgen früh abliefern«, quengelte Max weiter. »Punkt acht Uhr.«

      »Wie stellst du dir das vor? Heute ist Sonntag, alle Banken haben zu, was machen wir denn da?«

      »Am Automaten kann man doch abheben, oder?« »Ja, aber hier bei mir im Ort gibt es keinen Automaten. Ich müsste nach Gemünd fahren.«

      »Hast du kein Auto?« »Doch.«

      Jetzt musste Sonja schlucken. Max war dreist, geschult, zielsicher, verhandlungsstark. Und sie war nicht sein erstes Opfer. Er war ein Profi-Trickbetrüger. Beeindruckend. Entsetzlich traurig, fand Sonja. Wie hatte es so weit kommen können?

      »Wenn ich nicht zahle, macht der mich fertig.« Max schniefte herzzerreißend. »Und was soll dann aus Oskar werden?«

      »Um Himmels willen, Max, wer ist das denn, der dich so fertig macht?«, rief Sonja aufgelöst.

      »Das darf ich nicht sagen.«

      »Okay. Komm sofort zu mir, mein Junge,

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