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Kojas Haus der Sehnsucht. Alois Theodor Sonnleitner
Читать онлайн.Название Kojas Haus der Sehnsucht
Год выпуска 0
isbn 9788711570050
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Издательство Bookwire
Es kamen schwere Tage für die Familie; die Suppen wurden immer dünner, sie stillten den Hunger nicht. — Der Vater war wenig zu Hause. Täglich ging er zeitig aus, um Arbeit zu suchen. Er nahm sich als Wegzehrung zum Brote so viel Fleisch und Fett aus Agis Vorräten, dass diese beängstigend schwanden. Das letzte Schmalztöpfchen versteckte sie vor ihm, um doch etwas zum Suppenkochen zu haben.
Da suchte Agi aus dem wenigen Schmuck, der von der Grossmutter her da war, einige Granat- und Korallenschnüre zusammen und trug sie ins Versatzamt in der Kaiserstrasse. — Dort stand sie stundenlang vor den Schaltern herum, inmitten der langhin angereihten Kunden, in einer vom Hauch der Gasflammen und vom Schweiss der Harrenden übelriechenden Luft, bis die Reihe an sie kam. Der Schätzmeister prüfte die Goldschliessen ihrer Korallen- und Granatschnüre auf die Echtheit, indem er damit auf dem schwarzen Probierstein (Kieselschiefer) Striche machte, die er mit Scheidewasser (Salpetersäure) betupfte. Mit angehaltenem Atem starrte Agi auf die Probe und atmete erleichtert auf, als das Gelb sich nur wenig änderte. Aber schwer enttäuscht schaute sie dem Beamten ins Gesicht, als er ihre Kostbarkeiten zusammen nur mit drei und einem halben Gulden belehnte. Sie streckte die Hand nicht aus, um das Geld zu nehmen. Da schob er ihr’s hin und legte die unleserlich beschriebenen Versatzzettel dazu, die mit ihrem Adler und allerlei Zierdruck wie richtige Wertpapiere aussahen: „Ein Drittel vom Metallwert; aufs andere kriegen s’ nix.“ — Geschoben von den Nachdrängenden, raffte Agi die Zettel und das Geld zusammen und ging langsam der Stiege zu; dann aber eilte sie heim; sie musste heut noch einen Verdienst suchen und finden; sie musste dem Elend ein End’ machen. In Gedanken versunken, kämpfte sie gegen den Westwind an, der ihr Staub und Papierfetzen entgegentrieb, während schweres Gewölk den Himmel verdunkelte. Daheim fand sie die Mutter ausser Bett. Blass und matt, bewegte sie sich langsam im Zimmer hin; sie räumte auf. — Agi legte das geringe Ergebnis ihres schweren Ganges auf den Tisch: „Einen Gulden für Koja, das andre auf Brot.“ — „Sei froh, dass du nicht mehr bekommen hast; je weniger, desto eher können wir’s abzahlen; sonst werden unsere Pfänder verlizitiert.“ — Das leuchtete Agi ein. — Getröstet löffelte sie einen Teller Wassersuppe mit eingebrockten Brotrindeln aus, und suchte eilig alles, was ausser Kojas alten Lehrtexten an Büchern da war, zusammen, um es auf dem Dachboden zu verbergen. Die Bücher sollte der Vater nicht finden; die sollten der Not nicht zum Opfer fallen!
Obwohl es draussen zu regnen begonnen hatte, ging Agi aus dem Hause, um Arbeit zu suchen, geleitet von heissen, inbrünstigen Gebeten der Mutter. Sie war fest entschlossen, nicht früher heimzukehren, bis sie einen Verdienst gefunden hätte, bei dem sie die Mutter nicht allein zu lassen brauchte. Von Wind und Regen getrieben, ging sie rasch dahin, die Lippen fest geschlossen, mit den Augen die Schilder und Schaufenster der Geschäfte musternd. Wo sie eine Pfaidlereib) sah, fragte sie an. So überquerte sie, watend im Strassenkot, den vom Schwerfuhrwerk zerfahrenen Neubaugürtel und bog zwischen den Resten des Linienwallesc) durch, am Zollamt vorbei in die Westbahnstrasse ein. Als sie dort in den grossen Geschäften keinen Erfolg erzielte, begann sie die Seitengassen abzugehen. Gequält vom Hunger, herb enttäuscht von jeder Abweisung, strebte sie vorwärts, getrieben von dem Gedanken: „Es gibt für mich Arbeit, so wie für tausend andre. Sie wartet auf mich, ich muss sie nur finden.“ — Nach langem Herumirren hatte sie zweimal den halben Erfolg erzielt, dass sie als Hilfsarbeiterin Beschäftigung gefunden hätte, das einemal als Spulerin in einer Strumpfwirkerei, das andremal als Auflegerin in einer Notendruckerei. Sie aber gab der Versuchung nicht nach; sie durfte die Mutter mit dem Kleinen nicht verlassen. Schon begann es zu dämmern. Agi wankte entkräftet dahin. Von den durchnässten Schuhen rieselte ein Frösteln durch ihren Leib. Da sah sie in der Seidengasse aus einem Geschäfte, in dessen Auslage Reis- und Kaffeeproben in Säcken feilgeboten wurden, eine ärmlich gekleidete Greisin auf die Gasse treten; die trug zwei grosse Bünde Sackleinen. Von einem Hustenanfall erschüttert, liess die Alte den einen Bund fallen. Agi hob ihn auf und gesellte sich zu ihr, die nur widerwillig und misstrauisch ihre Begleitung litt. „Geh’n S’ liefern?“ fragte Agi das arme Weib, dessen Husten in Röcheln übergegangen war. „Ah, belei’d), dös kann i erst morgen auf d’ Nacht. A Dutzed Säck’ will g’naht sein. In weniger als ein’m Tag zwing’ i’s nit.“ — „Wann’s nur gut ’zahlt wird?“ versuchte Agi sie auszuforschen. Die Alte lachte heiser auf. „Vier Kreuzer für’s Stück.“ —