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herumgetreten und hat sich ein Nesterl gemacht; dann hat sie geschnurrt. Da war mir leichter. Ich hab’ müssen an unsern Dummerl denken und an den Dschogg. Dann hab’ ich an Euch, an die Übleisin und an die alte Weningerin in Zelkinga) denken müssen. Damals hat mir aber der Hunger nicht so weh getan wie diesmal. Und in der Früh war mir übel vor lauter Hunger. Da bin ich mit dem Häferlb) von der Mutter (das so schön rotbraun gefladert ist wie Kirschholz) zur Greisslerinc) gegangen, wo ich schon dreimal Milch zum Frühstück gekauft hab’. Die Greisslerin ist eine gute Frau, sie kocht mir die Milch ab und schenkt mir’s heiss ein. Sie hat schon auf mich gewartet. Ich hab’ mir die Milch einschenken lassen und ein recht grosses Schusterlaiberld) ausgesucht und dann — ich hab’ eine Angst gehabt, dass sie mir was anmerkt — greif’ ich in den Hosensack: Bitt’ um Entschuldigung, ich hab’ mein Börsel nicht bei mir.“ — „Aber das macht nichts, Herr Student,“ sagt sie und lacht dazu, „zahlen’s halt ein andresmal.“ — Ich kann Euch nicht sagen, wie’s mir zuhaus geschmeckt hat. Das Brot hab’ ich eingebrockt und hab’s herausgelöffelt. Und da war mir gleich besser. Und wie ich dann mittags von der Schul’ komm’, find’ ich schon den Laib Brot und den beigepackten Brief von Euch, samt dem Guldenzettel. Da hab’ ich mich geschämt, dass ich gestern geweint hab’. — In der Werkstatt ist der Gesell zu mir recht gut. Erst hab’ ich beim Heften nur zureichen dürfen und jetzt darf ich schon selber an der Lad’ arbeiten. Der Gesell ist ein Lesenarr wie der Lambrecht beim Berger in Melk. Er borgt mir Jules Vernes Bände, die ich noch nicht kenn’, und andere Bücher, die noch spannender sind.

      Die Meisterin hat bei ein paar feinen Kundschaften für mich um Kosttage gebeten, und keiner hat ihr’s abgeschlagen. Da ess ich jeden Tag wo anders zu Mittag, überall mit den Leuten bei Tische und bekomm’ auch eine Serviette. Nur bei Lüttelmeyers haben sie mir in der Küche zu essen gegeben mit dem Dienstmädchen; und die Kinder haben sich um mich gestellt, und haben mir in den Mund geschaut. Da hat’s mir die Kehle zugeschnürt, dass ich nicht hab’ schlucken können. Ich wollt’ nicht, dass mich die Kinder weinen sehen, und bin weggelaufen. Ein Stück Brot von Euch war mein Mittagmahl. Der Meisterin hab’ ich’s erzählt. Da hat sie mir einen andern Kosttag verschafft. Am liebsten geh’ ich am Donnerstag in das kleine Haus an der Promenade, das ist ganz mit grauer Ölfarb’ gestrichen, und die Dame ist immer in grauer Seide. Sie ist sehr schön, aber sie ist meist traurig. Sie legt mir gern zweimal vor. Sie hat mir gesagt, ihr Franzi wär’ jetzt in meinem Alter, wenn er nicht voriges Jahr gestorben wär’, und er war so blond wie ich. Und ihr Mann ist immer im Rollstuhl, weil er im Kreuz gelähmt ist. Und weil ich keinen Überzieher angehabt hab’, wie’s vorige Woche so kalt war, hat sie den von ihrem Sohn aus dem Kasten geholt und hat mir ihn geschenkt. Ich hab’ ihr nicht gesagt, dass ich den Wettermantel von Dir hab’; denn der Überzieher ist sehr schön; er ist mit Seide gefüttert. Die Mitschüler haben mich ganz gern, weil ich den Miksch so geboxt hab’, den sie alle fürchten. Der hat mich gleich am ersten Tag in der Zwischenstund’ gefordert und hat mich so geboxt, dass mir die Rippen wehgetan haben. Da hab’ ich mir aus einem alten Zeichenblockdeckel einen Panzer gemacht und hab’ ihn unterm Hemd vor den Magen gebunden. Dann hab’ ich ihn gefordert und hab’ ihn so verboxt, dass er jetzt Ruh’ gibt. Jetzt brauch’ ich keinen Panzer mehr. Ich kann schon gut boxen.

      Die Guttmannstals (die haben eine Wechselstube), die sind auch sehr lieb zu mir; die Frau gibt mir immer von der Mehlspeis’ etwas mit, damit ich was zur Jause hab’. Und der Sohn, der bei uns in die Fünfte geht, komponiert schöne Sachen fürs Klavier, die sind bei meinem Meister in der Auslage. Und der Professor Kaim ist ein Dichter, der macht mit ihm Operetten. — Aber beim Doktor Müller hab’ ich einen überzähligen Freitisch, den zahlt er mir in der Bahnhofrestauration. Der ist Advokat und Junggeselle und spielt im Hochamt die Cello-Soli. Und weil ich schon alle Mittage hab’, ess’ ich erst mit ihm am Sonntag abend in der Bahnhofrestauration, da kann ich mir nach dem Speiszettel aussuchen. Und da lass ich mir einen Kalbsbraten mit Reis geben und Zellersalat, ein Glas Pilsner Bier und zwei Salzstangel. — Ich bin nur froh, dass es Euch auch gut geht, weil der Vater die Anstellung beim Stellwagen hat. Liebe Agi, geh’, sobald du kannst, ins Hofmuseum, in der alten Burg neben der Hofbibliothek, wo sie den japanischen Riesensalamander haben und ins Vivarium im Prater, wo die jungen Bären Schlitten fahren. Und wenn Du in den Wurstelprater kommst, geh’ zum Schwarzkünstler Kratky Baschik, der kann eine Uhr im Mörser zerstampfen und dann macht er sie wieder ganz. Der Schott hat mir das erzählt. Agi, warst Du schon im Burgtheater, das soll sehr schön sein, wenn’s den Tell spielen, und in Schönbrunn, wo die Giraffen sind und die Löwen; auch einen Gorilla sollen die dort haben, aber das glaub’ ich nicht; der Schott schneidet so viel auf,e) er singt immer: „Es gibt nur a Kaiserstadt, es gibt nur a Wean.“ Und die Burgmusik soll auch so schön sein, wenn’s die Wach’ ablösen. Wenn Du kannst, liebe Agi, schick’ mir bald mehr Geld; im Mai machen wir einen Klassenausflug nach Melk; und da möcht’ ich gern mitfahren. Die Konviktisten sollen sehen, was ich jetzt für einen neuen Überzieher hab’. Ich schliesse und bitte den Vater, wenn der Agent kommt, soll er mir den Carus Sterne abonnieren „Die Wunder der Natur“.

      Es küsst Euch Euer

      Koja.

      P.S. Und ich danke Euch schön dafür, was Ihr geschickt habt.“

      Die Tränen der Mutter waren versiegt. „Koja verhungert nicht.“ — „Er scheint auch nur ans Essen zu denken,“ warf Agi ein. „Das ist auch vorläufig die Hauptsache,“ verteidigte ihn die Mutter. Beide nahmen ihre Akkordarbeit mit erhöhtem Eifer auf. Und während die Mutter im Nachgenuss der guten Nachrichten jede einzelne Stelle des Briefes wieder besprach, ging Agi häkelnd im Zimmer auf und ab. Sie war sehr erregt. In ihr kämpfte die Freude mit ernsten Sorgen. Sie begann sich den Brief zurechtzulegen, den sie dem Bruder schreiben wollte.

      Aber erst am andern Tage, als sie ihr Tuch fertig gehäkelt, der Mutter beim Nähen der letzten zwei Säcke geholfen, die Arbeit abgeliefert und neue gebracht hatte, schrieb sie mit ihren festen Zügen:

      „Unser lieber Koja!

      Mutter hat über Deinen Brief vor Mitleid und Mitfreude geweint. Ich aber sage Dir: Meine Sorge um Dich ist gross. Du gefällst mir nicht. Ich fürchte, Du studierst mit weniger Eifer, als Du issest und trinkst. Sei froh, dass Du ein wenig Hunger gelitten hast, desto dankbarer bist Du jetzt den guten Menschen, die Dir die reichliche Kost geben. Halt’ Dir vor Augen, dass Du ihnen am Ende des Semesters mit einem schönen Zeugnis Freude machen sollst. Wenn Du nach der Schule in der Werkstatt arbeitest, musst Du doch abends lernen; der Versuchung zum Geschichtenlesen musst Du jetzt widerstehen, sonst fällst Du durch. — Ich wollte Dir verheimlichen, dass der Vater wieder stellenlos ist; aber es ist besser, Du weisst die Wahrheit, damit Du den Ernst zum Lernen bekommst, von dem in Deinem Briefe noch keine Spur ist. — Ich gehe nicht ins Burgtheater, nicht nach Schönbrunn, nicht in den Wurstelprater, ich habe, seit wir in Wien sind, noch kein Weilchen zum Lesen gehabt, ich muss häkeln und die Mutter muss Säcke nähen, sonst würden wir verhungern. Wenn ich mir den Rudi anschau, für den die Mutter nicht genug Milch in der Brust hat, ist mir zum Weinen. Die Mutter kann sich nicht satt essen, woher soll sie die Milch nehmen für den Kleinen? Und wenn wir am ersten Mai die Miete nicht zahlen können, werden wir delogiert. Weisst Du, was das heisst? — Die Möbel werden einfach auf die Strasse gestellt — und dann ist man obdachlos. — Wenn ich daran denke, packt mich die Angst. Aber ich weine nicht; ich denke recht scharf nach, was ich unternehmen könnte. Zu Mutter und Vater mag ich von meinen Sorgen und Plänen nicht reden, bis ich einen Ausweg weiss. Wenn auch ich ein Hunderl hätt’ oder ein Katzerl, so wie Du, wär’ mir leichter. Aber wir haben selber nicht genug zu essen. Dass ich jetzt nicht Geschichten lesen kann, ist schade, vielleicht wär’ da für mich ein Rat, wie es andre gemacht haben. Und dass ich jetzt nicht weiterstudieren kann, ist mir bitter leid; wenn ich schon Lehrerin wäre, könnte ich Euch doch besser helfen. Aber es muss auch anders gehen. Du mach’ Dir keinen Kummer, Du sollst es beim Lernen gut haben. Den Laib Brot und den Gulden werde ich Dir jede Woche schicken, weil Du doch etwas zum Frühstück, zur Jause und zum Nachtmahl haben musst. Aber teil’ Dir alles gut ein, schneid’ nur dünne Brotschnitten; satt werden musst Du dabei nicht, weil Du ja zu Mittag genug bekommst. Für den Ausflug kann ich Dir kein Geld schicken. Ob die Konviktisten in Melk Deinen geschenkten Überzieher sehen oder

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