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verlangte seinen Anzug, seinen Mantel, seine Schuhe, bat um eine Tasse Kaffee. Er nahm eine Tablette.

      Gerade als er das Zimmer verlassen wollte, trat Dr. Markus ein. „Wollte bloß mal sehen, wie es dir geht.“

      „Hast du eine Zigarette für mich?“ fragte Dr. Jorg.

      Dr. Markus reichte ihm ein Päckchen. „Kannst du behalten. Habe ich extra für dich besorgen lassen.“

      „Danke“, sagte Dr. Jorg. Er riß das Päckchen auf, steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, hielt dem Kollegen das Päckchen hin, der sich ebenfalls bediente und dann sein Feuerzeug aufspringen ließ.

      „Streichhölzer habe ich auch nicht“, sagte Dr. Jorg.

      „Kriegst du sicher von einer Schwester, wenn du schön ,Bitte! Bitte!‘ machst. Hier ist übrigens dein Zündschlüssel. Das Auto steht im Hof.“

      „Danke“, sagte Dr. Jorg und ließ die Schlüssel in die Hosentasche gleiten.

      „Ich habe Inge angerufen“, sagte Dr. Markus. „Ich habe ihr nichts von dem Unfall erzählt, obwohl . . .“ Er unterbrach sich. „Danke“, sagte Dr. Jorg.

      „Du mußt ihr jetzt nur noch plausibel machen, warum du die nächsten Tage frei hast.“

      Dr. Jorg runzelte die Stirn. „Habe ich?“

      „Strenger Befehl vom Chef. Du hast nicht eher wieder zum Dienst zu erscheinen, bis du vollkommen auskuriert bist.“

      Dr. Jorg wollte aufbegehren. Aber dann sagte er mit erzwungener Gelassenheit: „Na, wenn schon. Ich denke, ich werd’s einige Zeit ohne den Rummel hier aushalten können.“

      „Bestimmt.“

      Dr. Jorg drückte seine Zigarette aus. „Also dann . . . Dank für alles. Wiedersehen.“

      „Richard“, sagte Dr. Markus und hielt den Kollegen am Arm fest.

      „Was gibt’s?“

      „Möchtest du dich nicht doch noch röntgen lassen? Es dauert ja nur ein paar Minuten, und . . .“

      Dr. Jorg brauste auf. „Ich begreife nicht, warum du mir das dauernd einreden willst!“

      „Weil ich in Sorge um dich bin“, sagte Dr. Markus ruhig.

      „Sag lieber, weil du mich ausschalten willst!“

      „Aber Richard! Spinnst du plötzlich?“

      „Meinst du, ich hätte nicht längst bemerkt, daß du gegen mich intrigierst?“ schrie Dr. Jorg. „Du willst Oberarzt werden, du willst mich hier mies machen, du willst dich rächen wegen Inge . . . Glaubst du, ich bin blöd und sehe das nicht?“

      „Richard!“ rief Dr. Markus entsetzt. „Was redest du denn da? Alles kann man mir vorwerfen, wirklich alles . . . aber doch nicht, daß ich ein Streber bin!“

      Plötzlich glätteten sich Dr. Jorgs verzerrte Züge. „Entschuldige“, sagte er. „Ich weiß wirklich nicht, was da über mich gekommen ist. Mir scheint, ich bin wirklich noch ein bißchen durcheinander. Ich habe es nicht so gemeint.“

      „Schon gut!“ sagte Dr. Markus verletzt.

      Die beiden Männer sahen sich noch einen Augenblick schweigend an. Jeder suchte nach Worten, um die plötzlich entstandene Feindschaft zu überbrücken. Aber sie begriffen beide, daß sie sich nichts mehr zu sagen hatten.

      Dr. Jorg drehte sich um und ging.

      2

      Die Heimfahrt verlief glatt und ohne Zwischenfälle.

      Aber als er den Wagen vor seinem kleinen Haus parkte, überkam ihn ein seltsames Gefühl. Es war ihm, als wäre er nicht nur einen Tag, sondern sehr lange, eine Ewigkeit nicht mehr hier gewesen. Er blickte hoch, zählte die Fenster, betrachtete lange den gelben Verputz, der an einigen Stellen abzubröckeln begann . . . und immer stärker wurde dieser merkwürdig beklemmende Eindruck.

      Alles schien verändert.

      Er klingelte nicht wie sonst, um seine Ankunft anzukündigen, sondern schloß einfach die Haustür auf. Fast wunderte er sich, daß der Schlüssel paßte.

      Auch der Hausflur war verändert. Er schien enger und dunkler, als er ihn in Erinnerung hatte. Zum erstenmal sah er, daß der Garderobenspiegel nicht blankgeputzt, daß der Teppich abgestoßen war. Und es ärgerte ihn.

      Aus dem Wohnzimmer drangen die Stimmen seiner Frau und seiner kleinen Tochter. Ihre Fröhlichkeit traf ihn wie eine Kränkung. Es kostete ihn Überwindung, hineinzugehen.

      Inge und Evchen hockten auf dem Fußboden, mitten in einer Puppenschneiderei, die blonden Köpfe eng beieinander, plaudernd und sehr vergnügt.

      Dr. Jorg erstarrte. Der Anblick seiner Familie ließ ihn seltsam kalt.

      In ihm war keine Freude mehr, keine Zärtlichkeit. Es war ihm, als sähe er auf zwei fremde Wesen, die ihm niemals etwas bedeutet hatten.

      Jetzt erst sah Inge ihn in der Tür stehen, war fast im gleichen Augenblick auf den Beinen, lief zu ihm hin und umschlang ihn. „Richard“, rief sie, „Liebster, da bist du ja schon! Wir hatten dich gar nicht kommen gehört!“

      „Tut mir leid, wenn ich euch gestört habe“, erwiderte er gepreßt.

      „Wie kannst du so etwas denken! Nur . . . Willy Markus hatte gesagt, es könnte spät werden, und deshalb . . .“

      Sie hob ihr Gesicht zu ihm auf, ihr liebevolles kleines Gesicht mit den braunen weit auseinanderstehenden Augen, den winzigen Sommersprossen auf der kecken Nase. Aber Dr. Richard Jorg empfand nichts bei diesem Anblick, gar nichts, geradeso, als wenn jedes Gefühl in ihm abgestorben wäre. Er mußte an sich halten, sie nicht brutal von sich zu stoßen.

      Jetzt erst entdeckte sie das Pflaster auf seiner Stirn. Ihre großen Augen weiteten sich noch. „Was ist mit dir, Richard? Hast du dich verletzt?“ fragte sie erschrocken.

      „Gestoßen“, sagte er ablehnend, „nichts von Belang.“

      „Aber . . . wie ist denn das passiert?!“

      „Nur einfach so.“

      Sie strich zart mit den Fingerspitzen über das Pflaster, zog ihre Hand aber sofort zurück, als er zusammenzuckte.

      „Tut es weh, Liebster?“

      „Nicht der Rede wert!“ Er war erleichtert, als es ihm gelang, sie mit sanftem Druck von sich zu schieben.

      Aber inzwischen war Evchen auf ihn zugekrabbelt. „Papi! Papi!“ schrie die kleine vergnügt und zog sich an seinem Hosenbein in die Höhe.

      Inge hob ihr Töchterchen hoch, hielt sie dem Vater entgegen. „Gib Papi ein Küßchen, Liebling“, sagte sie, „aber ganz zart . . . Papi hat Weweh!“

      Evchen schob ihre vollen runden Lippen zu einem Schnütchen vor, und Dr. Richard Jorg sah mit Ekel, daß ihr Mündchen mit Schokolade verschmiert war. Aber es gab keine Möglichkeit, dieser schmatzenden feuchten Berührung auszuweichen.

      Danach aber wandte er sich rasch beiseite, rieb sich die Wange. „Ich glaube, du solltest sie waschen“, sagte er gezwungen.

      Inge sah von ihrem Mann auf das Kind, das immer noch verlangend die Ärmchen nach seinem Vater ausstreckte. Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Es war das erstemal, daß Richard Jorg sein Töchterchen nicht in die Arme nahm, es nicht abküßte und mit ihm spielte und spaßte.

      „Nun steh nicht da wie eine Meduse“, sagte er, „sieh lieber zu, daß ich endlich etwas zu essen bekomme!“

      „Ja, natürlich . . . sofort . . .“, sagte sie verwirrt und wollte, mit dem Kind auf dem Arm, aus dem Zimmer.

      Dr. Jorg wies auf die Puppenschneiderei – Schere, Nadel, Faden und zahllose Stoffetzchen, die über den Fußboden verstreut waren. „Und das da soll einfach so liegenbleiben?“

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