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er in der Westentasche trug.

      Es war sogar die allerhöchste Zeit, kehrt zu machen, wenn er noch ein Täßchen Kaffee trinken wollte, ehe er ins Kontor ging.

      Und jetzt fiel ihm auch ein, er hatte ja in seinem Zorn über Elisabeths Vorhaben vergessen, das Geld zur Firma Klymann zu bringen.

      Das mußte er aber jetzt gleich tun.

      Hoffentlich würde er wegen der verspäteten Ablieferung noch keinen Ärger haben! Sein Chef hatte ihn als Überbringer des Geldes schon vormittags telefonisch bei der Firma Klymann angemeldet.

      Er zog den Rock an und starrte im nächsten Moment wie entgeistert die Innentasche an, in die er, wie er genau wußte, den versiegelten Umschlag gesteckt hatte.

      Der Umschlag mit dem Geld aber war verschwunden.

      Seine Hand fuhr in die Tasche, fühlte so tief hinein, als bestände die Möglichkeit, die vielen Banknoten könnten sich in eine Briefmarke verwandelt haben.

      Er untersuchte auch die anderen Taschen und stand dann da, an allen Gliedern wie gelähmt. Er überlegte verzweifelt: Wo war der versiegelte Umschlag mit den zwanzigtausend Mark geblieben?

      Er brauchte nicht lange nachzudenken. Er hatte, bald nachdem er den Wald betreten, den Rock ausgezogen und hatte später mit dem Arm, über dem der Rock lag, spielerisch geschlenkert.

      Dabei mußte der Umschlag aus der Tasche gerutscht sein.

      Er bedurfte seiner ganzen Willenskraft, um die von dem wahnsinnigen Schreck erstarrten Glieder wieder dazu zu bringen, sich zu bewegen.

      Er mußte den Umschlag suchen gehen!

      Um diese Zeit gab es sicher nicht viele Leute hier im Walde, und wenn er sich eilte, konnte er hoffen, den wertvollen Umschlag wiederzufinden. Nur mußte er auf dem gleichen Weg zurückkehren, auf dem er gekommen.

      Er begann zu laufen. Schließlich rannte er, aber immer noch ging es ihm nicht schnell genug.

      Doch so sehr er auch nach allen Seiten ausspähte, er sah das Verlorene nicht.

      Und dann mit einem Male, als ihm die Verzweiflung schon beinahe die Kehle zuschnürte, erblickte er von weitem etwas Weißes und als er näher kam, leuchtete es wie Blut über dem Weiß auf.

      Sein Herz klopfte wie rasend vor Freude. Er hatte deutlich die roten Siegel auf dem weißen Umschlag erkannt.

      Er stieß vor Freude einen unartikulierten Laut aus und sein Laufen ließ etwas nach. Es war nicht windig, der Umschlag flog nicht fort. Es war auch niemand in der Nähe, der ihn möglicherweise hätte aufheben können, und der Umschlag mit seinem wertvollen Inhalt war ihm jetzt schon genau so sicher, als wenn er ihn in den Händen hielt.

      Aber nie wieder wollte er so leichtsinnig sein, in seinem ganzen Leben nicht.

      Er hatte heute über seiner Liebe seine Pflicht vernachlässigt, nein, vollständig versäumt. Das heutige Erlebnis sollte ihm eine bittere Lehre sein für alle Zeit.

      Er näherte sich nun der Stelle, wo der Umschlag mit den roten Siegeln lag. Aber noch ehe er sich bückte, wollten seine Glieder schon wieder in die alte Starrheit von vorhin verfallen. Denn jetzt in der Nähe erkannte er, der Umschlag war seitlich aufgerissen worden, die Siegel aber waren fast unverletzt geblieben.

      Und er erkannte auch auf den ersten Blick, der Umschlag war leer. Seine Hand streckte sich zögernd aus und nahm den Umschlag hoch. Gleich darauf stellte er fest, es befand sich kein einziger Schein mehr darin, nicht einmal eine von den Banknoten im Werte von hundert Mark.

      Der Übergang von der Freude zu der erschreckenden Enttäuschung war zu schroff gewesen.

      Sein Herzschlag machte sich so stark fühlbar, daß er ihn zu hören meinte, und in seinen Schläfen drängte sich das Blut zusammen. Es war, als schlage man ihm mit schweren Hämmern breite eiserne Nägel in den Kopf.

      Seine Gedanken versuchten sich zu ordnen und gerieten doch immer mehr in ein hilfloses Durcheinander.

      Heino Staufen machte mühsam ein paar Schritte, wankte dabei wie ein Trunkener. Er mußte sich an einen Baum lehnen.

      Es war derselbe Baum, unter dem sich vorhin Robert Tann flüchtig ausgeruht, ehe er den Umschlag mit dem Geld gefunden.

      Heino Staufen grübelte verzweifelt und über alle Begriffe erregt nach, was er jetzt tun sollte.

      Hatte es Zweck, den Wald zu durchforschen nach dem Diebe des Geldes? Denn ein Dieb war der Mensch, der die Scheine aus dem versiegelten Umschlag genommen hatte.

      Wahrscheinlich hatte er die Richtung nach der Stadt gewählt.

      Er erinnerte sich genau, keinem Menschen begegnet zu sein, seit er den Wald betreten.

      Er selbst wagte sich nicht in die Stadt zurück, er wagte sich nicht ins Kontor.

      Er mußte sich ja in Grund und Boden schämen, wenn er erklären sollte, wie fahrlässig er mit dem ihm anvertrauten Gelde umgegangen.

      Und er war nicht imstande, den Verlust zu ersetzen.

      Vierhundert Mark Erspartes besaß er. Was bedeutete die kleine Summe aber im Verhältnis zu zwanzigtausend Mark?

      Er war völlig ratlos, er war ganz außer sich.

      Er stöhnte laut auf, wie bei einem Schmerzanfall.

      Was sollte nun werden? Er war ruiniert. Man würde ihn mit Schimpf und Schande entlassen, und wer würde jemand aufnehmen, der so leichtsinnig mit dem Gelde anderer umging?

      Er faßte endlich aber doch wieder Mut und lief kreuz und quer durch den Wald, in der Hoffnung, das Geld hier auf irgendeine Weise wiederzuerhalten.

      Aber er traf niemand, unheimlich und drohend schien ihm jetzt die doch vorhin so wohltuende Stille des Waldes.

      Er fühlte, er war am Ende seiner Kraft, und er sank auf einen Baumstumpf nieder, grübelte verzweifelt in sich hinein: Was sollte er tun? Es mußte doch einen Ausweg aus der entsetzlichen Situation geben, in der er sich befand.

      Er saß mit hochgezogenen Knien, seine Ellbogen stützten sich darauf. Sein Kopf lag in den flachen Schalen seiner Hände.

      Ihm war zumute, als gäbe es für ihn kein Voran und kein Zurück mehr, als wäre die Vergangenheit tot und die Zukunft in düstere Hoffnungslosigkeit gehüllt, als glotze ihn grinsend die Gegenwart an, diese furchtbare, unbegreiflich furchtbare Gegenwart.

      Er stutzte. In sein stumpfes verzweifeltes Grübeln war ein sonderbarer Laut gedrungen, der ihn den Kopf heben ließ.

      Wie ein leises Sägen hatte es geklungen.

      Jetzt kam der Laut wieder. Ganz deutlich hörte er ihn. Es mußte jemand in der Nähe schnarchen. Denn Schnarchlaute waren es, die sein Ohr getroffen.

      Er erhob sich und erblickte unfern in einer schmalen Mulde, etwas vom Gestrüpp verborgen, einen älteren Mann, dessen Armseligkeit sich einem auf den ersten Blick offenbarte.

      Heino Staufen sah, der Weltentrückte war ein ganz gewöhnlicher Vagabund. Die Mütze war ihm vom Kopf geglitten, über dem langsträhniges graues Haar lag, das vom Schweiße förmlich angeklebt war.

      Seine ausgefransten Hosen ließen elend abgelaufene Stiefel sehen und auf das von vielen Falten durchzogene Gesicht hatte die Not ihren unverkennbaren Stempel gedrückt.

      Ein erbarmungswürdiges und verwittertes Gesicht war es, mußte der Beobachter unwillkürlich denken.

      Ob dieser Mensch schon lange hier schlief? Ob er vielleicht jemand gesehen hatte, der das Geld aus dem Umschlag genommen haben konnte?

      Er schauderte zusammen, denn er entdeckte über dem linken Arm des Schlafenden einen Strick.

      Ein Selbstmörder war es also, der da vor ihm lag, dem das Leben so zugesetzt, daß er es nicht mehr ertragen konnte. Daß er ein Ende damit machen wollte.

      Vielleicht war er vor Müdigkeit und Hunger eingeschlafen, als er sich

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