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heute ein bißchen die Zeit verschlafen, Kleine?“

      Elisabeth reichte dem hübschen schlanken Manne, dessen blaue Augen ihr mit soviel Liebe entgegenblickten, die Hand.

      „Nein, verschlafen habe ich nicht. Aber Mutter hat wieder einmal vom Vater geträumt, nun wartet sie sehnlicher denn je auf seine Rückkehr. Ich mußte sie lange trösten, die Ärmste. Sie tut mir zu bitter leid.“ Sie schaute den neben ihr Gehenden nachdenklich an. „Mutter hat den Vater ganz unbeschreiblich lieb gehabt, sie kann sich nicht darein fügen, ihn als Verschollenen oder Toten zu betrachten.“

      Heino meinte: „Möglicherweise trifft ihr Gefühl aber doch das Richtige und er kommt eines Tages wieder.“

      Elisabeth zuckte die Achseln.

      „Ich glaube es nicht, Heino. Und wenn es wirklich geschähe, wer weiß, ob es für die Mutter gut wäre. Wer weiß, wie er aussieht, was er inzwischen durchgemacht hat.“

      Er schwieg und lächelte nach einem Weilchen: „Herr Mosbach hat mir ab Oktober eine monatliche Gehaltserhöhung von fünfzig Mark zugesagt. Ich traf dich gestern abend leider nicht mehr, um es dir zu erzählen.“ Er rückte seinen Hut etwas unternehmend zur Seite. „Liesel, Herzensmädchen, dann wird aber bald geheiratet.“

      Seine Züge überschattete tiefer Ernst.

      „Im Waisenhause wurde ich großgezogen, danach kam ich zu einer alten Verwandten ins Haus, die mich als höchst überflüssigen Fresser behandelte, und dann kamen die möblierten Zimmer an die Reihe. Das ist meine Vergangenheit. Ach, du kannst es dir ja nicht vorstellen, wie unbändig ich mich freue auf das Zuhause, in dem du schaltest und waltest, das deine Liebe mir zum Paradiese machen soll.“

      Über seinem ein wenig herben Gesicht lag jetzt ein solcher Glanz von Zärtlichkeit, daß es Elisabeth wie eine Liebkosung empfand.

      Sie gingen durch eine stille Straße der nicht allzu großen Stadt. Die Straße bedeutete einen Umweg für beide, aber dafür durften sie hier auch sprechen, wie sie wollten, kein neugieriger Blick störte ihr Liebesgeplauder.

      Elisabeth hatte aber auch eine Überraschung für ihren Heino. Vor einigen Tagen war eine Frau Weilert bei ihrer Chefin zu Besuch gewesen. Die beiden Damen waren gute Bekannte. Frau Weilert nun hatte in Berlin einen Modesalon, der zu den bekanntesten der Stadt zählte. Sie war von Elisabeths Figur und Geschmack entzückt und hatte ihr den Vorschlag gemacht, doch zu ihr nach Berlin zu kommen. Dort hätte sie ganz andere Möglichkeiten – es bestände sogar die Aussicht Starmannequin und später Modekönigin zu werden.

      Elisabeth kannte Heinos aufbrausende Art. So versuchte sie mit vorsichtigen Worten ihm diese Möglichkeiten zu schildern. Heino unterbrach sie sofort erregt.

      „Wie stellst du dir das vor?! Du, meine Braut, als öffentliche Modepuppe, den Blicken aller Welt preisgegeben! Ha, das wäre ein tolles Stück! Ich ...“

      „Heino, beruhige dich bitte! Du siehst alles mit falschen Augen. Du glaubst, daß solche Mädchen verworfen sind und ...“

      „Versuche dich nicht zu entschuldigen!“ schrie er und geriet immer mehr in Zorn, denn er spürte, daß sie innerlich bereits entschlossen war, nach Berlin zu gehen. „Ich weiß, was du willst! Das freie ungebundene Leben reizt dich, und mich, mich willst du in Kürze zu Seite schieben ... Es ist eine Schande ...“

      Heino Staufen hatte sich so in Hitze geredet und war so laut geworden, daß Vorübergehende bereits aufmerksam wurden. Elisabeth stiegen bei diesen ungerechten Vorwürfen die Tränen in die Augen. Kummer und Schmerz erfüllte sie: War ein solcher Streit nötig, zumal sie sich doch beide so liebten?!

      „Es ist eine Schande für dich, Heino, daß du mich so anschreist“, warf sie ihm mit tränenerstickter Stimme vor.

      Er aber war außer sich, weil Elisabeth den Vorschlag der Berliner Modistin ernst nahm und darauf eingehen wollte. Sein Zorn flammte heiß empor.

      „Du bist das unverständigste Geschöpf, das ich kenne“, schrie er sie an, „komm du nur erst wieder zur Vernunft, dann melde dich bei mir.“

      „Schnell schoß er davon, als gelte es, ein sehr wichtiges Ziel schnellstens zu erreichen.

      Elisabeth wandte ihm den Rücken und eilte heim mit Augen, die verdunkelt waren von schweren Tränen.

      II.

      Heino Staufen dachte in seiner grenzenlosen Erregung gar nicht mehr daran, daß er zwanzigtausend Mark, die er in der Brusttasche in einem sorgfältig zugesiegelten Umschlag trug, abgeben mußte, ehe er zum Essen ging. Aber es fiel ihm auch nicht ein, zum Essen in die Pension zu gehen. Er stürmte in seinem heißen Zorn vorwärts und suchte die Einsamkeit.

      Er lief durch die Promenade und stürmte in den Wald hinein, der sich schattenspendend vor ihm öffnete, wie ein großer, geheimnisvoller Dom.

      Er lief noch ein Stück quer durch den Wald, bis seine Erregung matter wurde. Wie sich Wogen nach dem Sturm beruhigen, so wurde auch in ihm alles friedlicher.

      Er war vorhin gleich zu heftig geworden. Er sah das jetzt ein. Elisabeth hatte ihn lieb, sie würde vernünftig sein, wenn er sie so recht von Herzen bat.

      Er verwünschte seine Heftigkeit.

      Ihm war heiß geworden. Er zog seinen Rock aus. Hier sah ihn ja niemand. Um diese Zeit spazierte wohl außer ihm kein Mensch im Stadtwald herum.

      „Nur ich verblendeter Mensch!“ dachte er voll Selbstironie.

      Er lächelte weich. Sein liebes kleines Liesel: Modekönigin von Berlin!

      Ein Witz war das. Sein Liesel paßte nicht zu solchem Firlefanz, zu solcher Modereklamefigur, zu solcher Eitelkeitsgöttin.

      Er schwenkte den Arm, über den er lässig den Rock trug, leicht hin und her. Bei den Schlenkerbewegungen des Armes geriet der Briefumschlag in der Innentasche des Rockes etwas ins Rutschen, aber Heino Staufen, der eben in das Laubdach der Bäume schaute, merkte es nicht. Seine verliebte Phantasie zeigte ihm hoch oben Elisabeths reizvolles Bild und er merkte auch nicht, wie neues Schlenkern des Armes die Katastrophe vollendete.

      Der Brief war auf den weichen Waldboden gefallen.

      Heino Staufen schritt schneller und kraftvoller aus. Nun sein Zorn verraucht war, fühlte er sich wieder vollständig wohl. Auf das Mittagsmahl verzichtete er gern.

      Und da er sich nun doch schon im Walde befand, wollte er noch ein halbes Stündchen hier verweilen.

      Als Heino Staufen ein Stück von der Stelle entfernt war, wo er das Geld verloren, kam seitlich durch den Wald ein Mann mit müden Füßen. Man merkte es deutlich seinem Gange an, wie wund diese Füße sein mußten.

      Sein Gesicht war nicht häßlich, aber viele Falten und Fältchen durchzogen es und die Mundwinkel senkten sich verbittert nach unten. Seine braunen Augen lagen unter faltigen Lidern und das Haar hing strähnig und grau unter seiner Mütze hervor.

      Er schien hungrig und matt, und es war, als ob er mit sich selbst spreche, wenn auch kein Laut über seine Lippen sprang.

      Er sank an einem dicken Eichenstamm nieder. Ausruhen wollte er und noch einmal, zum letztenmal überlegen, ob es denn wirklich keine Rettung für ihn gab.

      Sein Kopf fiel gegen den Stamm wie haltsuchend und er schloß die Augen.

      Zehn Jahre war es her, da war er heimlich, als Frau und Kind schliefen, mit zwei Tausendmarkscheinen, dem letzten baren Geld seiner Kasse, aus der kleinen Stadt, die hinter dem Eichenwalde lag, geflohen. Er hatte Jahre hindurch in der kleinen Stadt Bau um Bau ausgeführt, die Häuser immer wieder mit Vorteil verkauft, bis er sich dann mit seinen Spekulationen verrechnet und ihn die Angst vor der Verantwortung forttrieb. Wohin? In das große Land: „Überall“.

      Er war in Brasilien gewesen und in Mexiko, in Argentinien, Kanada und Kalifornien. Ein armseliger Globetrotter, der sich nirgends Halt unter die Füße zu zwingen vermochte.

      Und doch war das Wanderleben voll Reiz gewesen. Oft

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