Скачать книгу

erlernt in den verrufenen Hafenschenken von Rio de Janeiro.

      Eines Tages, ganz urplötzlich mitten in seinem erbärmlichen Vagabundenleben, überfiel ihn das große Heimweh wild und elementar. Nach zehn Jahren in der Fremde kam es über ihn und schüttelte ihn, wie der Sturm einen schwankenden Baum. Riß ihn über das Meer zurück in die Heima.t Riß ihn bis in die kleine Stadt, in der er vor zehn Jahren Frau und Kind zurückgelassen, wie Gegenstände, die man nicht mehr braucht.

      Durch Falschspiel hatte er sich eine jammervolle beschwerliche Überfahrt zusammengespart, und dann war er von Hamburg her in der Richtung seines einstigen Zuhauses gewandert. Durch Städte und Dörfer. Sich immer ein bißchen abseits haltend, den Gendarmen aus dem Wege gehend.

      Sein bißchen Essen hatte er sich zusammengeschnorrt.

      Und so erreichte er sein Ziel. Wenigstens beinahe erreichte er es.

      Er hatte seine Frau aufsuchen wollen, die er fast vergessen da draußen in der weiten Welt, hatte Verlangen verspürt, sein Töchterchen zu sehen, das er unverantwortlich im Stiche gelassen, aber schon ganz nahe dem Städtchen packte ihn Angst.

      Er konnte doch nicht urplötzlich wieder auftauchen, noch dazu als Landstreicher.

      Mit durchgelaufenen Stiefeln, mit zerrissenem Rock und dem letzten Hemd auf dem Leibe.

      Die Heimatluft hatte die Scham in ihm wachgerüttelt und er hatte im letzten Dorf vor dem Wald einen Strick gestohlen.

      Einen derben Strick, über den eine Bäuerin Wäsche gehängt hatte. Seife lag in der Nähe und allerlei sonstige Waschutensilien.

      Er nahm auch das Stück Seife und rieb den Strick später damit ein, damit sich die Schlinge schnell und glatt zuzog, wenn er Schluß machte mit dem verfehlten Dasein.

      Hier im Eichenwalde sollte es geschehen, dicht vor dem Heimatstädtchen.

      Wenn man ihn fand und seine Papiere las, dann erfuhren doch Frau und Kind, wie hart er sich selbst gerichtet.

      Er sah keinen Ausweg mehr, er durfte den Seinen die Schande nicht antun, so heimzukehren, ihnen zur Last zu fallen.

      Er riß die Augen weit auf. Allbarmherziger Himmel, sollte das wirklich seine letzte Stunde sein? War er deshalb so weit über das Meer hergekommen, hatte er sich deshalb auf den Landstraßen die Füße wund gelaufen, nur um hier eines so elenden Todes sterben zu müssen?

      Hatte er nicht an die Vergebung seiner Frau, an die zärtlichen Trostworte seiner kleinen Elisabeth gedacht?

      Seine kleine Elisabeth war jetzt groß, vielleicht schon verheiratet. Sie würde sich so sehr ihres Vaters schämen müssen. Und Martheken, die so verliebt in ihn gewesen, daß er es oft genug komisch gefunden, würde sich wohl bedanken, den abgerissenen Lumpen als ihren Gatten zu begrüßen.

      Es war am besten, er führte seinen Vorsatz aus.

      Er erhob sich und zog unter seinem fest zugeknöpften Rock den Strick hervor, den er der Bäuerin gestohlen.

      Er betrachtete ihn mit Grauen.

      Ein unheimliches Frieren ging über seinen ausgemergelten Körper und seine Lippen bewegten sich, während seine Augen Umschau hielten nach dem geeigneten Ast.

      Er dachte, von der Verzweiflung dieser Stunde dazu getrieben: Warum hatte er kein einziges Gebet aus Kindertagen in seinem Gedächtnis festgehalten?

      Warum konnte er nicht eins von den vielen, die es gab?

      Vielleicht hätte es ihm Hilfe gebracht! Oder wenigstens Trost.

      Er schrie plötzlich verzweifelt auf: „Herrgott im Himmel, ich kann nicht beten, aber um meiner armen Frau und um meines armen Kindes willen tue ein Wunder. Damit ich sie beide wiedersehen kann. Die Sehnsucht nach den zweien frißt jetzt in mir wie böses Feuer.“

      Ein paar Tränen zogen über seine faltenzerrissenen Wangen, als er stöhnte: „Ich will mich bessern, Herrgott, ich will mich bestimmt bessern. Aber bitte, bitte, tue ein Wunder, ich habe oft gehört, daß du es kannst.“

      Noch einmal erinnerte er: „Tue ein Wunder!“ Dann suchten seine Augen wieder den Ast, der ihn aus dem Leben tragen sollte.

      Er machte ein paar ziellose Schritte, und die Augen noch immer nach oben richtend, stolperte er über eine vorstehende Baumwurzel und stürzte.

      Unwillkürlich stützte er sich dabei mit beiden Händen und fühlte auf dem moosigen Boden unter seiner Rechten ein festes Papier.

      Im nächsten Augenblick sah er einen weißen, mit fünf roten Siegeln geschlossenen Umschlag.

      Er erhob sich schwerfällig, der versiegelte Umschlag schnitt seine Selbstmordgedanken durch, wie mit einem scharfen Messer.

      Er konnte nicht widerstehen, er riß den Umschlag hastig seitlich auf und taumelte, als er den Inhalt erkannte.

      Er zitterte vor Überraschung an allen Gliedern und sein erster Gedanke war: Das Wunder, um das er gefleht, war geschehen. Der Herrgott, an den er seit Kindertagen nicht mehr gedacht, hatte ihm geholfen.

      Den Strick in der einen Hand, den Umschlag in der anderen, stand er da und sah sich scheu um.

      Niemand war weit und breit zu erblicken.

      Er zog die Geldscheine aus dem Umschlag, der ihm dabei entglitt, und starrte wie benommen die vielen Scheine an.

      Er begann zu zählen, aber mit einem Male, er war gerade bis zehn gekommen, überfiel ihn siedendheiße Angst.

      Er dachte, wenn es auch für ihn ein Wunder bedeutete, dieses Geld hier gefunden zu haben, mußte es doch jemand verloren haben. Und der unbekannte Jemand würde seinen Verlust früher oder später bemerken und zurückkehren, den Weg absuchen, den er gegangen.

      Jede Minute konnte er auftauchen. Und dann traf er ihn hier mit dem Bündel Banknoten in der Hand und würde es ihm natürlich wieder entreißen.

      Blitzgeschwind barg er die Scheine in der Brusttasche seines schäbigen Rockes und eilte, so rasch ihn seine müden, wunden Füße trugen, davon. Wieder tiefer in den Wald hinein.

      Er würde sich hüten, jetzt in der Richtung der Stadt zu gehen.

      Am besten war es wohl, sich wieder zurück bis Berlin durchzuschlagen.

      Dort konnte er sich auffrischen und einkleiden, ein ganz anderer Robert Tann durfte dann an die Wohnung der Frau klopfen, die er vor zehn Jahren heimlich verlassen.

      Er stolperte noch ein paarmal und schließlich brach er fast zusammen. Seine Gedanken verwirrten sich, und in einer schmalen Mulde zwischen Gestrüpp und wirr verwachsenem Waldgras fiel er zu Boden.

      Ruhen mußte er, schlafen. Nur kurze Zeit, nur ein halbes Stündchen, denn es war ihm nicht möglich, auch nur noch einen einzigen Schritt weiterzugehen.

      Der weite Weg, die Hitze, der Hunger hatten seine Kräfte auf das äußerste erschöpft. Dazu gesellte sich die Todesangst.

      Die jähe Freude über den Fund hatte ihm den Rest gegeben.

      Er lag kaum in der Mulde, die wie ein weiches grünes Bett war, als er schon schlief.

      Seine tiefen Atemzüge verrieten, er wußte nichts mehr von seiner Umwelt.

      Den Strick aber trug er noch bei sich. Er lag über seinem linken Arm, während Daumen und Zeigefinger seiner Rechten die Schlinge krampfig umfaßt hielten.

      Aber er schlief fest und tief.

      Inzwischen hatte Heino Staufen seinen Weg fortgesetzt. Schließlich fing er an, laut zu pfeifen, seine Sorge schien ihm jetzt lächerlich. Elisabeth hatte ihn lieb, und sie würden sich beide wieder vertragen. Noch heute! Sein Mädel setzte doch nicht ihr und sein Glück auf das Spiel, um dafür die Aussicht zu gewinnen, vielleicht Modekönigin zu werden.

      Heute abend noch wollte er sie wegen seiner Heftigkeit um Verzeihung bitten, wollte lieb und vernünftig mit ihr sprechen.

      Auch würde

Скачать книгу