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besser, wenn Sie nach Hause gehen und diese Nacht dem Winterpalais fernbleiben.“

      „Nach Hause?“ schnauft Kutusow ergeben. „Karascho. Ich gehe. Macht was ihr wollt. Russland — ich sage, Russland wird leben! Trotz allem! Auch trotz euch, Brüderchen! Russland — — — Hol euch alle der Henker! Gebt . . . gebt mir was zu trinken!“

      4.

      „Wache — rrr . . . aus!“

      Kurzer Trommelwirbel, hastiges Stampfen und Klappern von Soldatenstiefeln, im Präsentiergriff fliegen die Gewehre vor die Brust, während prustend und dampfend die stolzen, vollblütigen Pferde vor dem Portal des Winterpalais anhalten.

      Kronprinz Alexander hilft ritterlich seiner Gemahlin beim Aussteigen und reicht dann der Baronin Krüdener, die hinter dem Kronprinzenpaar aus der Equipage gestiegen ist, die Hand.

      „Nehmen Sie noch eine Tasse Tee bei uns, liebe Krüdener?“

      „Kaiserliche Hoheit sind zu gütig.“

      Alexander ist schon an der salutierenden Wache vorbei durch das Portal geschritten, stutzt drinnen und blickt sich befremdend in der weiten, von Marmorsäulen geschmückten Vorhalle um. Statt der Lakaien stehen ringsum, bis hinauf zu der grossen im Hintergrund emporführenden Galatreppe, Doppelposten, Gardesoldaten in langen Mänteln, das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett bei Fuss. Ein Kapitän der Grenadiere meldet sich stramm. Alexander runzelt die Stirn.

      „Seit wann sind hier im Schloss Doppelposten aufgezogen?“

      „Befehl Seiner Exzellenz des Ministerpräsidenten Graf Pahlen!“ Der Offizier weist zurücktretend nach der Wachtstube, aus der eben der Genannte getreten ist. Stehenbleibend, wartet Alexander das Herankommen Pahlens ab.

      „Was bedeutet das, Graf Pahlen? Auf dem Weg vom Kasino hierher sah ich geschlossene Truppenabteilungen marschieren und hier im Schloss Doppelposten? Was ist vorgefallen?“

      „Noch nichts, Kaiserliche Hoheit!“

      Einen Augenblick forscht Alexander scharf in dem ruhigen, verschlossenen Gesicht des Ministers. Dann kommt ein Klang von Schärfe in seine Stimme. „Ich will wissen, was das bedeutet.“

      „Dass wir handeln müssen, Kaiserliche Hoheit. Heute Nacht noch.“

      „Handeln?“ Alexander winkt hastig dem Grafen, etwas abseits von den Damen zu treten, die ebenso erstaunt wie befremdet die militärischen Anstalten mustern. „Und Sie haben es nicht einmal für nötig gehalten, sich vorher meines Einverständnisses zu versichern?“

      Ein Ton von gekränktem Stolz liegt in der von leiser Erregung durchzitterten Stimme des Kronprinzen. Pahlen neigt gelassen den Kopf. „Kaiserliche Hoheit, ich hatte die Ehre, Ihnen bereits vor einiger Zeit in der mir gnädigst gewährten Geheimaudienz die Gründe auseinanderzusetzen, die gebieterisch die Änderung des Regimes verlangen. Nötigenfalls die gewaltsame Änderung. Dieser Zeitpunkt ist eingetreten.“

      „Das zu bestimmen ist meine Sache!“ Hochfahrend misst Alexander den Minister. „Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf. Der Zar wird nachgeben.“

      „Es bleibt keine Hoffnung und keine Wahl, Kaiserliche Hoheit. Die Vorbereitungen, die in dieser Nacht getroffen worden sind, können kein Geheimnis bleiben. Die Garnison ist alarmiert. Das Winterpalais wird in einer Stunde von unsern treuen Regimentern besetzt sein. Das Offizierkorps . . .“

      „Also offene Rebellion!“ Erregung und stolzer Unwille lässt die Stimme des Kronprinzen leicht erzittern. „Ich will nicht! Hören Sie, Pahlen, ich verbiete es!“

      Pahlen verbeugt sich kurz. „Dann bin ich zu meinem Bedauern gezwungen, Eure Kaiserliche Hoheit — zu verhaften.“

      „Verhaften? Mich?“

      „Verhaften!?“ Der unwillkürliche Ausruf Alexanders findet ein Echo in dem erschrockenen Aufschrei zweier Frauenstimmen. Die Kronprinzessin Elisabeth drängt sich, vor Empörung und Erregung bebend, zwischen die beiden Männer.

      „Sie sind ein Rebell, ein Verräter, Graf Pahlen! Lass dich nicht erschrecken, Alexander! Ich gehe zum Zaren! Sofort!“

      „Das ist zwecklos, Kaiserliche Hoheit.“

      Der feste, ruhige Klang lässt Elisabeths Schritte in banger Ahnung stocken. „Zwecklos, sagen Sie? Der Zar wird Sie zur Rechenschaft . . .“

      „Bedaure, Kaiserliche Hoheit. Die Verhaftung geschieht auf ausdrücklichen Befehl Seiner Majestät.“

      Alexanders Antlitz ist blass geworden, als er das Schriftstück durchflogen hat, das Graf Pahlen ihm hinhält. Sein Atem geht schwer. „Ein Haftbefehl gegen mich? Mit der Unterschrift meines . . . des Zaren? Pahlen, was habe ich denn verbrochen“

      „Nicht mehr und nicht weniger, Kaiserliche Hoheit, als die Tausende anderer, die Zar Paul in die Festung oder zum Henker geschickt hat. Es gibt nur eines, das Sie jetzt noch vor Kerker und Tod retten kann: der Thron!“

      „Nein!“ Mit einer brüsken Handbewegung schleudert Alexander ihm den Haftbefehl wieder zu. „Soll ich zum Empörer werden um meiner Person willen! Aus feiger Angst vor meinem eigenen Schicksal? Lieber will ich . . .“

      „Kaiserliche Hoheit“, sagt Pahlen ruhig, „es geht nicht im ein Einzelschicksal. Ihr Geschick ist das Geschick Russlands. Um Landes und Volkes willen müssen Sie jetzt die Zügel ergreifen!“

      Die Kronprinzessin will reden, aber Alexander macht eine bittende, abwehrende Bewegung. Einen Augenblick steht er in qualvollem, tiefem Nachdenken, hebt dann langsam den Kopf.

      „Was — verlangen Sie von dem Zaren? Abdankung?“

      „Sofortige Abdankung, Hoheit. Wenn es sein muss — mit Gewalt.“

      ,,Wann soll es geschehen?“

      „Ich sagte es schon: in dieser Nacht noch. In einer Stunde. Aufschub ist unmöglich.“

      „So — tun Sie, was zum Wohle Russlands notwendig ist.“ Alexander atmet tief auf, fasst bittend die Hand des Ministers. „Nur eines, Pahlen: Schonen Sie das Leben meines Vaters!“

      „Kaiserliche Hoheit, wenn ich kann . . .“

      „Kein Blut, Pahlen! Geben Sie mir Ihr Wort darauf! Sonst . . .“

      „Gut, Kaiserliche Hoheit. Ich verspreche es.“

      Noch einmal sieht Alexander angstvoll forschend in das Gesicht Pahlens. Keine Muskel zuckt in dieser steinernen Maske. Mit einer leichten Seufzer bietet er seiner Gemahlin den Arm.

      „In einer Stunde also, Pahlen. Ich erwarte Ihren Bericht.“

      „Still! Hörtest du nichts?“

      „Es ist nichts, Alexander. Alles ist ruhig.“ Elisabeth, die am Fenster durch die Vorhänge gespäht hat, kehrt zurück und wirft einen Blick voll zärtlicher Sorge auf ihren Mann, der ruhelos, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab geht.

      Auf und ab.

      Klingen nicht Marschtritte draussen auf der Strasse? Stürmen nicht Schritte die Treppen hinauf zum rechten Seitenflügel, in dem die Schlafgemächer des Zaren liegen? Klang da nicht ein ferner, halberstickter Schrei durch die Nacht? — Nichts. Alles ist ruhig. Mit einem schweren Atemzug bleibe Alexander vor der unerbittlich tickenden Uhr stehen.

      „In einer Stunde wollte Pahlen hier sein. Es ist schon zwanzig Minuten nach Mitternacht. Er müsste . . .“

      Alexander bricht ab. Seine Haltung versteinert in jähem Lauschen. Auch Elisabeth und die Krüdener blicken in bangem Herzklopfen nach der Tür. Schritte kommen da draussen über den Flur, eilige, leichte Schritte eines einzelnen Mannes. Jetzt fliegt die Tür auf, weit, ohne vorheriges Anklopfen, — mit bleichem Gesicht, aber hoch aufgerichtet steht Graf Pahlen im Türrahmen.

      „Nun, Pahlen? Was bringen Sie? Ist es . . . geschehen?“

      Drei Schritte tritt Pahlen vor, beugt ernst und feierlich

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