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Kein Wort mehr!“ Natalie Narischkin fasst heftig den Arm des Leutnants und blickt nach dem Saaleingang, wo eine Bewegung entstanden ist. Offiziere nehmen dienstlich Stellung, Damen und Herren verneigen sich vor einem schlanken, hochgewachsenen Herrn in der goldbestickten Ministeruniform, der an der Seite einer etwas kleineren, selbstbewusst einherschreitenden Dame eingetreten ist. Natalie Narischkin gibt ihrem Verlobten einen kleinen Stoss, um seine Aufmerksamkeit auf das Paar hinzulenken. „Graf Pahlen und die Krüdener!“

      ,,Einen Augenblick, lieber Pahlen.“ Die Augen der Baronin Krüdener, die aufmerksam über den Saal geschweift sind, während ihr Mund lächelnd die Komplimente der empfangenden Herren beantwortete, haben das junge Paar entdeckt. Mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln kommt sie direkt auf die beiden zu.

      „Sie wollen doch nicht fort, liebste Narischkin?“

      „Ich muss — zu meinem Bedauern. Eine Verabredung dringender Art . . .“

      „Ich verstehe“, lächelt die Baronin Krüdener etwas anzüglich. „Aber nicht, bevor Sie mich mit diesem charmanten jungen Kavalier da bekannt gemacht haben.“

      „Alexander Orlow, Leutnant im Leibgrenadierregiment Seiner Majestät“, stellt der junge Offizier, stramm aufgerichtet, sich selber vor, als Natalie unwillkürlich zögert. Die Baronin Krüdener neigt lächelnd den Kopf.

      „Alexander? Ein Name von guter Vorbedeutung, nicht wahr, beste Narischkin?“ Eine Sekunde lang tauchen ihre grauen, grossen Augen tief in die des jungen Offiziers. Dann macht sie eine leichte Schulterbewegung zu dem herantretenden Grafen Pahlen. „Sie entschuldigen mich einen Augenblick, Graf. Ich möchte mit Leutnant Orlow tanzen.“

      „Du sagtest doch vorhin . . .“ Fast ängstlich greift Natalie nach dem Arm ihres Verlobten. „Willst du mich nicht begleiten, Alexej?“

      „Ich denke, du wolltest allein gehen?“ Alexej Orlows Augen hängen wie gebannt an der Baronin Krüdener, die seinen Blick nicht loslässt. Es sind nur Sekunden, aber sie entscheiden ein Schicksal. Juliane Krüdener ist keine so glänzende Schönheit wie Natalie Narischkin. Sie ist fünf Jahre älter, und ihr Gesicht ist zwar regelmässig, aber von einer gewissen herben Strenge. Doch ihre Augen sind gefährlich, diese klugen, grossen Augen, die mit einem kurzen Blitz Männer fesseln können.

      „Lassen Sie sich nicht aufhalten, Liebste“, wendet sie sich mit überlegenem Lächeln an Natalie, die noch immer den Arm Orlows umklammert hält. „Man darf nicht warten lassen, am allerwenigsten den — Zarewitsch. Was mich betrifft, ich ziehe diesen Alexander vor.“

      „Und ich — Sie, gnädigste Baronin!“ bricht Orlow flammend aus. ,,Gestatten Sie, dass ich Sie zum Tanze führe!“

      In ohnmächtigem Zorn starrt Natalie Narischkin dem Paare nach. Wie vertraulich die Krüdener sich an Alexej schmiegt! Wie sie lächelt, die Schlange! Und er? Keinen Blick hat er mehr für andere! Glühend, fasziniert hängen seine Augen an der Frau, die er führt. Natalie Narischkin zerknüllt ihr Spitzentuch in der Hand. Dann wirft sie rasch ihren Schal um und eilt aus dem Saal, Tränen ohnmächtigen Zornes in den Augen. —

      „Das gibt zu denken“, sagt der Oberst Fürst Suboff, der neben den Ministerpräsidenten Graf Pahlen getreten ist. „Haben Sie gesehen, wie die Krüdener den Verlobten der Narischkin eskamotierte? Eine gefährliche Frau, die Krüdener.“

      „Lassen wir ihr den kleinen Triumph.“ Pahlen lächelt leichthin. Im nächsten Augenblick aber verdrängt strenger Ernst seine Fröhlichkeit. „Ist Kutusow schon hier?“

      „Er sitzt drinnen im Spielzimmer.“ Suboff zuckt die Achseln. „Raucht und trinkt — wie gewöhnlich.“

      „Wir müssen ihn haben!“ Graf Pahlen fasst den Freund am Arm und zieht ihn mit sich quer durch den Ballsaal, mit lächelnder Maske nach allen Seiten grüssend.

      Tabakschwaden und Alkoholdunst drinnen im Spielzimmer, wo ein Dutzend Offiziere beim Eintritt Pahlens emporschnellen und salutierend Stellung nehmen. Nur der General Kutusow bleibt in seinem Sessel am Kamin sitzen. Er hat die Knöpfe seines Uniformrocks geöffnet und eine ganze Batterie von dickleibigen Flaschen vor sich auf dem Tischchen stehen. Aus rotem Gesicht glänzen seine kleinen Äuglein gutmütig dem Eintretenden entgegen.

      „Hast du schon gehört, Pahlen, dass Schuwalows Sohn heute auf die Festung gebracht worden ist?“

      Pahlen neigt bestätigend den Kopf. „Ja, und morgen kommen Sie an die Reihe, General.“

      Kutusow feixt verächtlich. „Mich kannst du nicht bange machen, Brüderchen.“

      „Aber die Lage ist ernst.“ In tiefer, innerer Erregung tritt Pahlen dicht vor den General hin. „Sagen Sie doch selbst, was soll aus Russland werden! Ein wahnsinniger Herrscher auf dem Thron. Jeder Tag bringt neue Bedrückungen, Gewalttaten, Verhaftungen, Hinrichtungen. Die Politik des Zaren treibt uns den Franzosen in die Arme. Soll Russland nun auch, wie andere Reiche, ein Spielplatz jakobinischer Ideen werden? Vasallenstaat Napoleons?“

      „Wir müssen handeln!“

      „Wir zählen auf Sie, Exzellenz!“

      Fürst Suboff, der Flügeladjutant Wolkonski, der Obrist Araktschejew, der General Bennigsen, — alle, die sich im Spielzimmer befinden, haben sich um die beiden geschart und blicken Kutusow erregt und gespannt an. Der trinkt mit Behagen sein Glas aus und erhebt sich ächzend und etwas schwerfällig.

      „Ihr sagt Russland und meint euch selbst. Russland? Was wisst ihr von Russland?“ Kutusow schlägt sich mit der Faust vor die breite Brust. „Russland sitzt hier! Nicht in euern seidenen Rökken und auch nicht auf eurem verdammten Parkettboden und in euren französischen Parfüms. Russland ist zu gross für eure kleinen Verschwörungen und Intrigen!“

      „Belieben Sie zu bedenken, General: Napoleon! Wenn das Volk erst im Gegensatz gebracht ist zu seinem Zaren, durchseucht mit den jakobinischen Ideen, wird der korsische Wolf sich nicht bedenken, in Russland einzumarschieren. Das Bündnis mit Frankreich ist letzten Endes — der Krieg!“

      Kutusow hat ein neues Glas ergriffen, trinkt es mit einem Zuge aus und schmettert es auf den Boden. ,,Russland ist gross“, wiederholt er, mit weinseligen Augen um sich blickend. „Gross genug, um ein Grab zu werden, auch für den Napoleon und seine Franzosen. Gott schütze den Zaren!“

      Eisiges Schweigen. Niemand stimmt in den Ruf ein wie sonst. Betreten, mit zusammengekniffenen Lippen, starren die Offiziere zu Boden. Kutusow sieht sich schweigend im Kreise um.

      „So steht es also mit euch? Nun, Gott mit euch, Brüderchen. Ich will nichts damit zu tun haben. Ich gehe!“

      Und General Kutusow knöpft schwerfällig seinen Uniformrock zu, tätschelt einem jüngeren Offizier, der ihm mechanisch Säbel und Mütze reicht, väterlich die Wangen und wandert mit leichtem Schwanken dem Ausgang zu. —

      „Er wird uns verraten!!“

      Graf Pahlen beruhigt mit einer lässigen Handbewegung den Fürsten Suboff, der den Ruf ausgestossen hat, als Kutusow hinter der Tür verschwunden ist.

      „Der Zar vertraut mir! Es muss ohne Kutusow gehen. Diese Altrussen sind schwerfällig wie die Bären. Russlands Geschick haben von jeher wir gemacht.“

      Stolz in den Blicken der Offiziere, gerechter Stolz und selbstbewusstes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die meisten von ihnen entstammen dem baltischen Adel, andere, wie Suboff und Wolkonski sind Petersburger, seit Generationen in westländischer Kultur aufgewachsen.

      „Sagen Sie, wie es steht, Pahlen“, drängt der General Bennigsen.

      „Das Bündnis mit Frankreich ist beschlossen. Heute hat der Zarewitsch noch einmal versucht, Seine Majestät umzustimmen. Es war umsonst. Der Zar hat gleich darauf den Gesandten Frankreichs in Privataudienz empfangen.“ Pahlens Gestalt scheint zu wachsen. Seine Stimme, obwohl halblaut, nimmt plötzlich einen scharfen, schneidenden Ton an. „Das Leibregiment wird abgelöst. Heute abend beziehen die Grenadiere die Wachen im Winterpalais.“

      „Unser treu ergebenes

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