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Jedes Kind kennt die erbitterte Stimmung im Volke. Die Herren Offiziere machen kein Hehl aus ihrer Gesinnung. Es liegt auf der Hand, dass infolge der zum mindesten — unvorsichtigen Dekrete Seiner Majestät eine Verschwörung, die auf eine Änderung der bestehenden Zustände hinzielt, nicht nur bei der Armee, sondern auch im Volke restlose Zustimmung finden würde. Sollte Graf Pahlen der Mann sein, eine solche Chance ungenutzt vorübergehen zu lassen?“

      Pahlens Stirn hat sich umvölkt. „Sie sind wirklich fabelhaft gut informiert, Baronin.“

      „Gar nicht. Es gehört nur eine bescheidene Kombinationsgabe dazu, dies einzusehen. Wer sollte geeignet sein, zu handeln, wenn nicht Graf Pahlen, Ministerpräsident und mächtigster Mann am Zarenhofe!“

      „Zum Wohle Russlands handeln — meinen Sie?“

      Eine Sekunde stutzt Juliane Krüdener. Dann neigt sie lächelnd den Kopf. „Nichts anderes wollte ich ausdrücken, Exzellenz.“

      Graf Pahlen schweigt einen Augenblick überlegend. Dann weicht auch der Ernst seines Gesichts einem leisen Lächeln.

      „Ich bewundere Ihre Klugheit, Baronin, die höchstens noch von Ihrer Schönheit übertroffen wird, und ich stehe nicht an, Ihnen einzugestehen, dass Ihre Kombination richtig ist. Ich hoffe, dass Sie mit dieser offenen Antwort zufrieden sind.“

      „Ich weiss sie zu schätzen, Graf Pahlen. War das alles, was Sie von mir wissen wollten?“

      Wieder zieht ein leiser Schatten über Pahlens Stirn. Es ist wirklich schwer, dieser Frau gegenüber den richtigen Ton zu finden. Und dabei sollte man meinen . . . Pah, wer ist sie denn, diese Baronin Krüdener! Eine Dame aus kleinem baltischen Landadel, die junge Witwe des verstorbenen russischen Gesandten in Berlin, eine Frau, die in den Salons von Petersburg wegen ihrer geistreichen Spöttereien und literarischen Ambitionen geschätzt ist — sonst nichts. Er dagegen ist der allmächtige Ministerpräsident, Vertrauter des Zaren, der Mann, zu dem halb Russland aufschaut wie zu einem Halbgott. Und dennoch vermag Pahlen ihr gegenüber nicht die Überlegenheit zu finden, die ihm seine hohe Stellung eigentlich geben müsste.

      „Sie haben von diesen heiklen Dingen gewusst und trotzdem geschwiegen“, sagt er unmutig. „Ich möchte wissen, welche Pläne Sie eigentlich verfolgen, Baronin.“

      „Das nenne ich wirklich offen gesprochen“, lächelt Juliane, wird aber im nächsten Augenblick unversehens ebenso ernst wie ihr Gegenüber. „Wenn ich nicht irre, steht auch Seine Kaiserliche Hoheit, der Zarerwitsch, Ihrem — Vorhaben sympathisch gegenüber?“

      „Ja.“ Fast rauh kommt die knappe Antwort, fast wie eine Drohung. Juliane Krüdener sieht dem Grafen fest in die Augen.

      „Ich werde immer auf der Seite sein, auf der Kronprinz Alexander steht.“

      Erleichtert atmet Pahlen auf. Das also ist es! Zum Teufel mit Subkoff und den anderen, die in dieser Baronin Krüdener eine gefährliche Intrigantin sehen und ihm mit Warnungen den Kopf heiss gemacht haben! Eine ehrgeizige, schöne junge Frau, die sich in die Gunst des jungen Thronfolgers einschmeicheln möchte, der vielleicht bald Zar sein wird! Harmlos! Mag sein, dass die gute Juliane insgeheim davon träumt, eines Tages mit Hilfe des Kronprinzen Alexanders so etwas wie eine kleine Pompadour zu werden. Nun, mag sie das immerhin. Es besteht wenig Aussicht, dass dieser Traum jemals in Erfüllung geht. Der Zarewitsch Alexander bevorzugt die Gräfin Natalie Narischkin, vor deren anerkannter Schönheit selbst die Reize der Baronin Krüdener zurückstehen müssen. Und selbst wenn es ihr eines Tages gelingen sollte, die Narischkin zu verdrängen — Graf Pahlen wird dafür sorgen, dass Russlands Politik nicht von den weichen Händen einer verliebten Frau gemacht wird, sondern von Männern.

      Pahlens Ernst verwandelt sich in lächelnde, geschmeidige Verbindlichkeit. Jetzt ist er wirklich der Ministerpräsident, der hohe Herr, der die kleine Baronin Krüdener unnahbar überragt.

      „Wir dürfen Sie also als eine Bundesgenossin betrachten, Baronin? Charmant! Ich freue mich darauf, nach dem Erfolg, Seiner Majestät, dem Zaren Alexander von Ihnen berichten zu können.“

      Juliane Krüdener wiegt den Kopf. „Sind Sie des Erfolges so sicher, Graf? Zar Paul ist misstrauisch, und die Macht liegt noch in seiner Hand. Ein winziger taktischer Fehler hat oft im letzten Augenblick die klügsten Pläne zuschanden gemacht.“

      Sorglos bedient Pahlen am Teetisch seinen Gast. „Es wird keinen solchen Fehler geben können, liebe Baronin. Ich bin meiner Sache so sicher, dass ich Ihnen sogar die Einzelheiten unserer — Aktion verraten will. In der Stunde der Entscheidung werden drei Kolonnen der Garde von verschiedenen Seiten vorrücken und das Winterpalais besetzen, stark genug, um etwaige Sicherungsmassnahmen zu bewältigen und geführt von . . .“

      „ . . . Seiner Exzellenz, dem Ministerpräsidenten Graf Pahlen!“

      „Nein“, lächelt Pahlen überlegen. „Ich selber folge mit einer vierten und stärksten Kolonne, mit der Garde.“

      „Um den Ausschlag zu geben!“ nickt die Krüdener lebhaft. „Vorzüglich, Graf! Klappt die Geschichte, so übernehmen Sie als Oberkommandierender die Zügel. Sollte aber wider Erwarten Zar Paul Wind bekommen oder gewisse Umstände eintreten, so erscheint Graf Pahlen mit der vierten Kolonne — als Retter!“

      Pahlen stutzt. Dieser Gedanke . . .! Die Krüdener ist wirklich eine sehr kluge Frau. „Ich hoffe, Sie werden mir nicht zutrauen, meine Kameraden zu verraten“, sagt er langsam.

      Wieder lächelt Juliane Krüdener herzlich. „Graf Pahlen wird auch das können, wenn es — zum Wohle Russlands nötig sein sollte.“

      Ist das Spott oder Ernst? Einen Augenblick will Pahlen wieder der Argwohn überschleichen, als ob diese Frau mit ihm spiele. Die Kameraden kommen ihm in den Sinn, die ihn vor der Krüdener gewarnt und ihn aufgefordert haben, sie rechtzeitig „aus dem Wege zu räumen“. Es wäre leicht genug. Eine Verdächtigung würde genügen, um Juliane Krüdener auf Befehl des Zaren Paul in der Peter-Paul-Festung verschwinden zu lassen. Aber Juliane Krüdener lächelt harmlos. In ihren grossen, klugen Augen, die den Blick Pahlens ruhig aushalten, ist nichts, das auf Spott und Ironie deutet. Pahlen zwingt den aufsteigenden Argwohn zurück und neigt ernst den Kopf.

      „Nun ja. Für Russlands Wohl — auch das.“

      „Wir verstehen uns, Graf Pahlen.“

      „Die Karten liegen offen auf dem Tisch. Unnötig zu versichern, Baronin, dass nach dem Erfolg Ihre Wünsche stets meine wärmste Unterstützung finden werden.“

      Juliane Krüdener steht auf. „Sehr verbunden, Graf Pahlen. Aber für die Erfüllung meiner Wünsche sorge ich schon selbst.“

      Sekundenlang ist wieder dies fanatisch-energische Blitzen in ihren grauen Augen, das Pahlen vorhin so betroffen machte, sekundenlang ein leises Stutzen, Warnen in seinem Innern. Aber er wirft es weg. zu klein, zu lächerlich sind diese Wünsche, von denen Juliane Krüdener spricht. Der Traum einer kleinen Frau, die eine Nebenbuhlerin verdrängen und selber die Freundin des Kronprinzen werden möchte. Belanglos, ungefährlich für Russland und den Grafen Pahlen!

      Juliane Krüdener den Arm bietend, geleitet er sie ritterlich zum Vorzimmer. „Ich bitte um das Glück, Sie heute abend zum Ball des Leibgrenadierregiments führen zu dürfen, Baronin.“

      ,,Seine Kaiserliche Hoheit, der Zarewitsch!“

      Sporenklirren, feste Schritte im Vorsaal, rasches, dienstliches Zurücktreten des Adjutanten — in der Uniform des Leibgrenadierregiments, den Hut im Arm, tritt Kronprinz Alexander in das Arbeitsgemach seines Vaters, hochgewachsen, schlank und elegant. Ein schöner Mann, der Zarewitsch. Man munkelt in Hofkreisen hundert Geschichten von Damen, die seinetwegen Herzschmerzen haben, und wahr ist es: Kronprinz Alexanders männlich schöne Züge sind das Idealbild der Schönen am Petersburger Hof. Er ist umschwärmt wie kein Zweiter, und nicht nur, weil man den Thronerben in ihm sieht. Sonderbar genug, dass dieser junge, blendende Zarewitsch bisher den Lockungen weiblicher Reize widerstanden hat. Da ist allerdings die junge Gräfin Natalie Narischkin, die in hohem Masse seine Gunst geniesst. Die Neider und Klatschbasen am Hofe haben daraus längst ein Liebesverhältnis gemacht, aber die

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