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gelegentlich sogar regelrecht den Hof, aber wenn man glaubt, ihn ertappt zu haben, wendet er sich mit herzlicher Freundlichkeit an seine Gemahlin, die stille, zurückhaltende Kronprinzessin Elisabeth. Schwer, sehr schwer zu deuten ist das Wesen Alexanders und macht am meisten Kopfzerbrechen dem, der in dem blühenden, bestechenden Nachfolger täglich das langsam, aber unerbittlich herannahende Ende seiner eigenen Tage sieht.

      Grämlich, misstrauisch hebt Zar Paul I. den Kopf und mustert über den mächtigen Schreibtisch hinweg seinen Sohn, der in der vorschriftsmässigen, dienstlichen Haltung vor ihm erstarrt ist.

      „Bitte kurz, Alexander. Ich habe wenig Zeit.“

      „Majestät!“ Die Züge des Kronprinzen drücken höchste innere Erregung aus. „Sie wollen wirklich den französischen Gesandten empfangen? Erlauben Sie mir, noch einmal zu sagen: Es tut nicht gut! Dies Bündnis mit revolutionären Königsmördern an der Seine ist unserm Volk verhasst.“

      „Bist du der Anwalt des Volkes?“ In unverhohlenem Argwohn ruhen die unsteten Augen des Zaren auf dem Kronprinzen. „Mische dich gefälligst nicht in meine Politik, sondern kümmere dich um deine militärischen Obliegenheiten.“

      „Majestät, ich komme in letzter Stunde. Nicht zu meinem Vater, nicht zum Selbstherrscher aller Reussen, sondern zu Zar Paul, dem letzten Ritter ohne Furcht und Tadel, dem Grossherrn des Johanniterkreuzes — und ich weiss, er wird das Gebot der Ehre und des Rechts hören.“

      „Nicht so unrichtig, nicht so unrichtig.“ Paul I. erhebt sich, geschmeichelt wie immer, wenn man ihn an diese Würde erinnert, geht wie beiläufig zu dem zwischen zwei Fenstern angebrachten hohen Spiegel und liebäugelt mit dem breiten Ordensband, das sich über seine Brust zieht. „Ich höre, Alexander. Was hast du mir zu sagen?“

      „Das Bündnis mit Frankreich . . .“

      Der Kronprinz bricht ab, denn Paul I. hat eine kurze Handbewegung gemacht und lauscht. Fanfarengeschmetter dringt von der Strasse herauf, Räderrollen, Hufgeklapper. Dazwischen aber noch andere Laute: ein dumpfes, anschwellendes Brausen, aus dem sich laute Schmährufe lösen. Paul I. tritt an das Fenster und wirft hinter den Gardinen einen finsteren Blick auf den Schlossplatz hinunter, wendet sich dann stirnrunzelnd um.

      „Was hat das zu bedeuten?“

      „Wahrscheinlich der französische Gesandte, der mit allem Pomp zur Audienz fährt.“ Alexander zuckt die Achseln. „Das Volk bereitet ihm auf seine Weise eine kleine Ovation.“

      Ausgelöscht die selbstgefällige Eitelkeit und die bereitwillige Freundlichkeit im Gesicht des Zaren. Wut und Grausamkeit verzerren seine Züge.

      „Ich werde die Garde in das Pack feuern lassen! Ich werde . . . Du wolltest etwas sagen, Alexander?“

      „Nur, dass die Truppe die Gefühle des Volkes teilt, Majestät.“

      „Du meinst wohl, meine Herren Offiziere! Die Offiziere deines Regiments!“ Mit einem hässlichen Lachen setzt Zar Paul sich an seinen Schreibtisch und wirft jagend einige Zeilen auf ein Blatt, klingelt heftig.

      „Dem Ministerpräsidenten Graf Pahlen“, zischt er förmlich den eintretenden Adjutanten an. „Ordre, das wachhabende Regiment abzulösen. Pahlen bestimmt künftig, welche Truppenteile die Wache im Schloss beziehen!“

      „Zu Befehl, Majestät!“ Der Adjutant nimmt das Blatt entgegen und schlägt noch einmal die Hacken zusammen. „Der französische Gesandte Ew. Majestät. Er wartet im Audienzsaal.“

      „Majestät! Vater!!“ flehend, beschwörend die Stimme des Kronprinzen. Paul I. mustert scharf seinen Sohn.

      „Nichts mehr. Du hörst, ich habe zu tun!“

      Durch die breite Flügeltür, Sie der Adjutant aufreisst, geht Paul I. mit festen Schritten in den Audienzsaal, ohne seinen Sohn noch eines Blickes zu würdigen.

      Hoffnungslos, mit hängenden Armen bleibt Kronprinz Alexander allein im Arbeitsgemach zurück. Von unten her dringen noch immer Rufe und erregtes Gemurmel herauf, ein paar schneidende Kommandostimmen dazwischen. Alexander zuckt bitter die Achseln. Umsonst. Der Zar hört dich nicht, russisches Volk, weder dich noch die Stimme des leiblichen Sohnes.

      Der Zar. Der Vater. — Sorgenschwer wandern die Blicke des Kronprinzen über das Gemach zu den lebensgrossen, in kostbaren Goldrahmen steckenden Gemälden an der Wand, aus denen die Gestalten der russischen Herrscher herabschauen. Man munkelt, dass der Wahnsinn auf dem Zarenthron sitzt, und es ist wahr: Das unstete, jähzornige, misstrauische Wesen Pauls I., seine willkürlichen Urteile, die Hinrichtungen und Verbannungen, seine Rasereianfälle und seine komödiantenhafte Eitelkeit sind nicht mehr auf vernünftige Weise zu erklären. Aber kann es anders sein? Kann ein Mann, der im Schatten der grossen Katharina aufgewachsen ist, der die Ermordung des Vaters erlebt und von Kindheit auf für sein eigenes Leben gezittert hat, anders sein als argwöhnisch, grausam, gewalttätig, selbst den engsten Verwandten gegenüber? Doch wenn dieser Wahnwitz, diese Gewalttätigkeit übergreift auf das Geschick des ganzen Volkes, Russland an den Rand des Abgrunds führt, dann . . . dann . . . Kronprinz Alexander seufzt tief auf. Schwer, unsäglich schwer wird es sein, eines Tages diese Krone zu tragen, deren Rubine leuchten wie unverwischbare Blutflecke! Nur eines wird sie leichter machen können: Das Bewusstsein, dass man sie trägt für Russlands Wohl.

      Draussen geht das Murmeln unter in lauten Schreckensschreien. Wilde Massenflucht fegt über den Schlossplatz. Hufe donnern. Die Gardekosaken reiten an.

      „Pahlen“, denkt Kronprinz Alexander. „Der allmächtige Ministerpräsident, der einzige wirkliche Vertraute Zar Pauls I. Und dabei doch . . . Dieser Mann, der jetzt so prompt den Befehl seines Zaren ausführt, mitleidlos die Kosaken einhauen lässt auf das Volk, das ist derselbe Mann, der schon vor Wochen in geheimer Beratung mit dem Zarewitsch Alexander das Wort gesprochen hat:

      „Die Abdankung des Zaren und die Übernahme der Herrschaft durch Eure Kaiserliche Hoheit ist die einzige Rettung Russlands!“

      2.

      Hell strahlen die Kerzen der grossen Kronleuchter im Offizierskasino des Leibgrenadierregiments. Im grossen Ballsaal flutet die beste Petersburger Gesellschaft, vorwiegend Offiziere der kaiserlichen Garde mit ihren Damen, dazwischen Hofleute, hohe Beamte, Minister, der halbe Gouvernementsadel. Ganz im Hintergrunde, über der Empore der Musikkapelle, eine mächtige Samtdraperie, auf der das Wappen und der Namenszug des Zaren prangen.

      „Du willst wirklich fort, Natalie?“

      „Ich muss! Du hörst ja, Alexej . . .“ Ungeduldig wehrt die schöne junge Dame den Gardeleutnant ab, der sie am Eingang des Saales zurückhalten will, nimmt aus der Hand eines Lakaien Schal und Mantille.

      „Gut. Dann begleite ich dich! — Lakai! Säbel und Mantel!“

      „Das wirst du nicht, Alexej!“ Ärgerlich sieht Natalie Narischkin den jungen Mann an. „Ich sagte dir doch, dass ich eine Verabredung habe . . .“

      ,,Mit dem Zarewitsch!“ knirscht der Leutnant.

      „Ich halte das nicht mehr aus, Natalie! Ich dulde nicht, dass du dich wegwirfst!“

      „Keine Szene, bitte!“ Natalie Narischkin drückt verstohlen zärtlich die Hand des jungen Mannes. Einen Augenblick ruhen ihre mandelförmigen, dunklen Augen fast betrübt auf seinem vor leidenschaftlicher Eifersucht geröteten Gesicht. „Wann wirst du endlich begreifen, Alexej, dass ich nur für dich handle! Der Zarewitsch liebt mich, — vielleicht. Nun gut. Folgt daraus, dass ich ihn wieder lieben muss?“

      „Er zeichnet dich aus! Er empfängt dich! Nie, wenn du nicht an meiner Seite bist, weiss ich, ob du nicht bei ihm weilst! Ganz Petersburg erzählt sich, dass der Zarewitsch dich mit seiner Gunst beehrt.“

      „Und ich lasse es mir gefallen, nicht wahr? Weisst du denn noch immer nicht, Alexej, dass ich dich liebe? Ihr Männer seid nie zufriedenzustellen! Was man auch immer euch gibt, stets wollt ihr weitere, neue Beweise unserer Liebe. Soll ich den Zarewitsch vor den Kopf stossen? Begreif doch, Lieber! Für dich, für unsere Zukunft lächle ich Seiner Kaiserlichen Hoheit!

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