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seine Feinde ... hör ’mal, Hedwig, mein Kind: Warum sitzt du denn so da und redst kein Wort? An dir wär’ es doch gerade, deinen Freund Riedinger zu verteidigen!“

      Hedwig Solitander hatte die ganze Zeit stumm vor sich hingeschaut. Jetzt blickte sie auf und erwiderte nur: „Ich glaube, eben kommt er!“

      Und wirklich hörte man draussen das Rasseln eines in die Ecke gestellten Stocks und eine Männerstimme: „Na, Baas — wie ist’s? Ist das Fräulein heut durchgefallen?“ und die entrüstete Antwort der Baas: „O mei! Herr Doktor, sell glauwe Sie ja selwer net! Sie hot ’en, den Doktor — sie hot ’en!“

      „So — sie hot ’en!“ sagte Hermann Riedinger eintretend. „Na — dann gratulier’ ich auch schön!“ Er lachte dabei über sein gesundes, schnurrbärtiges Gesicht. Nur die mit einem Zwicker bewaffneten Augen bewahrten, in seltsamem Gegensatz zu seinem Mienenspiel, den ruhigen forschenden Ernst des Arztes. „Bscht — bleib hübsch still sitzen!“ sagte er kurz zu Hedwig, die sich halb nach ihm umwandte, griff in die Tasche und setzte ihr behutsam einen kleinen, aus Lorbeerblättern geflochtenen Halbkranz auf den Kopf. Das war ein vielfach geübter Brauch an der Universität. Hedwig hatte nur mit Mühe schon ihre Freundinnen davon abbringen können, dies Ehrenzeichen für sie bereit zu halten. Aber jetzt, aus Riedingers Händen, freute es sie doch — oder mehr noch die Tatsache, dass gerade er, der so gar nichts auf solche Sinnbilder oder andere Äusserlichkeiten des Lebens gab, daran gedacht hatte und sie jetzt befriedigt musterte. Das matte tiefe Grün des Lorbeers stach seltsam prächtig von dem reichen Rotgold ihres Haares ab und darunter rötete sich auch ihr feines, weisses Gesicht und in die grossen grauen Augen kam ein warmer Schimmer. Sie war mädchenhaft schön in diesem Moment, während sie dankend zu ihm hinaufsah und ihm die Hand drückte. Alle am Tisch fühlten es. Aber gleich darauf legte sich wieder ein herber verschlossener Zug um ihre Lippen, auch Hermann Riedingers Antlitz verfinsterte sich unwillkürlich etwas und er sagte trocken: „Ja — es tut mir leid — aber ich habe nicht früher kommen können — Schwester Demut hat’s ja wohl bestellt! Und jetzt kann ich gerade nur einen Augenblick hier heraufschauen, eh’ ich wieder zu dem Patienten in die Klinik muss — und Sie mit, Schwester, wenn ich bitten darf. Also wie hast du denn das Examen gemacht, Hedwig — rite — was?“

      „Cum laude“ sagte sie kurz. Es war schon wieder Spott in seinen Worten. Eigentlich immer. Auch vorhin, als er ihr den Lorbeerkranz auf den Scheitel gedrückt, war in seinem Gesicht etwas Ungewisses gewesen, als mache er sich innerlich halb und halb nicht über sie, aber über sich selber lustig, dass er solch eine Komödie aufführe. So war er nun einmal. Sie kannte ihn ja und seinen, von seinem eigentlichen Wesen und Willen ganz unabhängigen, schneidenden und alles ironisch zersetzenden Verstand. Nur heute gerade tat es ihr weh. Aber sie bezwang sich. „Nimm doch Platz!“ sagte sie heiter. „Trink doch wenigstens ein Glas Wein mit uns.“

      Hermann Riedinger schüttelte den Kopf. „Nur ein Glas im Stehen, auf das Wohl unseres jüngsten Doktors. Kinder ... redet nicht ... ich muss wahrhaftig weiter ... ich bin gehetzt heute abend ... gerade heute natürlich ... die Schwester Demut macht sich auch schon fertig zum Gehen. Sie brauchen Ihren Schirm nicht aufzuwickeln, Schwester! Es ist ganz schön draussen geworden!“

      Alle schauten nach den Fenstern. Wahrhaftig — da war klarer Nachthimmel und Mondschein. Weithin schimmerten in seinem friedlichen Blau die dürftigen Dächer, die stillen Höfchen, das niedere Häusergewirr der Altstadt, über das der Solitandersche Stammsitz mit seinem hohen, an anno dazumal, vor Jahrhunderten, erinnernden Giebel weit hinausragte.

      „Ach ... ist das schön!“ sagte Suse Trautvetter. Sie liebte leidenschaftlich die Heidelberger Mondscheinbummel. Wann sie konnte, verleitete sie ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen zu einer nächtlichen Massenwanderung auf das Schloss. „Heute hat man den ganzen Tag nicht herauskönnen — bei dem Hundewetter! Wenn Sie nett sind, Dr. Riedinger, dann nehmen Sie mich jetzt mit zur Klinik und liefern mich dann nachher wieder hier am Haustor ab. Sie wohnen ja ganz in der Nähe. Es ist für Sie kaum eine Minute Umweg.“ Und ohne erst seine Bejahung abzuwarten, wandte sie sich, ganz erfüllt von ihrer Idee, an die beiden anderen: „Und ihr geht auch mit! Das wird fein! Was?“

      „Ich geh’ schlafen!“ versetzte Olga Ritter. Aber Hedwig Solitander nickte. „Da haben Sie ’mal ausnahmsweise eine vernünftige Idee, Suschen!“ sagte sie, „mir brummt der Kopf noch von den zwei Stunden Examen. Wie zerprügelt bin ich. Die kalte Nachtluft wird mir da gut tun.“

      Ohne dass sie es wollte, traf dabei ihr Blick auf den Riedingers. Eine Sekunde schauten sich die beiden an. Es war ein Einverständnis: Am heutigen Abend wollten sie nicht so flüchtig, nach ein paar scherzenden Worten unter fremden Menschen, auseinander. Da hatten sie sich mehr zu sagen und unter vier Augen und Ernsteres. Namentlich sie. Er merkte es an dem plötzlich trübe und starr gewordenen Ausdruck ihres Gesichts.

      So nahmen sie denn alle von den beiden alten Herren Abschied, die sich noch einmal zusammen hinsetzten und — das wussten sie selbst — in Kurzem über irgend etwas heftig miteinander streiten würden. Denn ein jeder von ihnen hatte seinen eigenen Haufen Steckenpferde und erkannte die des anderen nicht für voll an. Und wenn Gryphius Solitander mit Vorliebe Käfer und Insekten seit vielen Jahren sammelte, interessierte sich der alte Evangelist von Thiengen ebenso brennend für die Geschichte der Kreuzzüge, und es war ihm ebenso unmöglich, die Bedeutung Gottfried von Bouillons und eines frisch auf dem Speyerer Hof gefangenen Hirschkäfers richtig gegeneinander abzuwägen, wie der alte Solitander seinerseits wieder erklärte, jede Kellerassel und jeder lebende Tausendfuss sei interessanter und ästhetisch erfreulicher als ein Dutzend längst vermoderter Bischöfe und Äbtissinnen zusammen.

      Und als der kleine Trupp auf die Strasse hinaustrat, hörte man von oben durch das offene Fenster schon einen etwas gereizt werdenden Wortwechsel der beiden greisen Freunde, und die Jungen unten mussten lachen.

      II

      Als sich die Gesellschaft in Bewegung setzte, gingen Demut von Behla und die kleine Trautvetter sofort zehn Schritte voraus. Das taten sie aus Diskretion, ohne sich erst miteinander darüber zu verständigen. Sie wollten die beiden anderen allein lassen und gaben ihnen nur die Wegrichtung an: nach rechts, am nahen Neckar entlang. Dort war es schöner und stiller als in der noch vom nächtlichen Studentenleben erfüllten Hauptstrasse.

      Am Uferstaden war kein Mensch. Der Mond schien hell. Silbern schimmerten in seinem Licht die kleinen Zitterwellen des Flusses. Darüber glänzte auf der andern Seite undeutlich weiss die lange Reihe der in steilen Gärten eingebetteten Landhäuser und schloss der Heiligenberg als ein riesiger, vor dem Sternenhimmel stehender Schattenriss die Fernsicht ab.

      Hedwig und ihr Gefährte gingen langsam — absichtlich langsam. Es war, als scheuten sie sich beide vor dem ersten Wort aus dem Mund des andern.

      Endlich sagte Herman Riedinger geflissentlich etwas Alltägliches. Er sah auf die Uhr und meinte: „Eigentlich müsst’ ich mich mehr eilen! Sonst komm’ ich wieder erst Gott weiss wann ins Bett!“

      Diese ewige Unruhe kannte Hedwig an ihm. Er äusserte oft selbst, er stände schon morgens um halb sieben mit einer Viertelstunde Verspätung auf und hole sie den ganzen Tag nicht wieder ein. Das war eine Folge seiner übergrossen Praxis. Er war überlaufen von Hilfesuchenden — namentlich auch aus der Umgegend. Die Pfälzer hatten zu ihm, der ihr Landsmann war, der ihre Sprache redete und selbst von kleinen Leuten stammte, ein besonderes Zutrauen.

      Stumm gingen Riedinger und Hedwig weiter den Neckar entlang, liessen sich den feuchten Westwind von der Rheinebene her ins Gesicht wehen und sahen die Sterne über ihren Häuptern funkeln. Endlich hub er wieder an: „Na — nun hast du’s ja also erreicht!“

      Das war herzlicher als sonst seine Art war, gesprochen. Es lag eine unwillkürliche Anerkennung darin. Aber sie schüttelte den Kopf: „Was hab’ ich denn eigentlich erreicht?“

      „Na — dass du Doktor bist! Glücklich von fünf Professoren mit vereinten Kräften promoviert! Nun brauchst du bloss noch fünfhundert Mark für den Druck deiner Dissertation zu spendieren — dann kriegst du die Anerkennung deiner Gelehrsamkeit schwarz auf weiss ins Haus geschickt.“

      Sie

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