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Dissertation geschrieben! Und nun erschwerte er ihr das Mündliche so unnütz! Und sie konnte ihm doch nicht gut etwas sagen. Nun, zum Glück sass er jetzt in der zweiten Stunde weiter abseits! Da kamen die anderen daran. Da musste sie nun sehen, wie sie sich mit denen abfand! ... Und Suse Trautvetter zuckte, als sie das von ihrer Gefährtin hörte, die Achseln und versetzte despektierlich: „Gott ... die alten Knöpfe!“

      Eine Weile schwiegen die beiden Mädchen und standen still nebeneinander in dem unwirtlichen und zugigen Vorplatz, den der eigentümliche Dunstkreis der Hörsäle, ein Geruch von Staub, Gas, Menschen und nassen Mänteln jetzt noch erfüllte. Dann sagte die kleine Trautvetter plötzlich: „Na — wenn auch! Ihr habt’s doch gut — mit eurer Philosophie! Zwei Stunden werdet ihr im Doktorexamen gepiesakt und dann ist’s alle! Aber in der Medizin — au — wenn ich bloss an mein Physikum denke! — Das blüht mir nächstes Jahr — und dann gar das Staatsexamen! Wochenlang haben sie einen da in der Mache und rupfen und zausen einen — und dann bin ich immer noch nicht Doktor, sondern das Vergnügen kommt noch extra! Da ist die Hedwig doch wahrhaftig besser daran. Die steigt jetzt mit ihrem „magna cum laude“ in der Tasche die Treppe herunter und ...“

      „... ‚cum laude‘ kriegt sie — mehr nicht!“ meinte die Philosophin und die Medizinerin widersprach: „Nein! Sie behaupten alle, sie müsse ihren Doktor magna cum laude machen! Ihre Dissertation sei so ausgezeichnet, dass ...“

      „Aber es hapert in dem einen Nebenfach! Schliesslich — sie sagt mit Recht: Und wenn ich nur mit ‚rite‘ durchschlupf’, was ja auf alle Fälle sicher ist — Doktor bleibt Doktor ...“

      „Ob sie mir dann fünfzig Mark borgen kann?“ meinte die andere hoffnungsvoll. Fräulein Ritter erwiderte ihr nichts darauf. Es war bekannt, dass die kleine Trautvetter trotz ihres reichlichen Zuschusses von zu Hause stets in den verwickeltsten Finanznöten stak. Das kam von den ewigen Landpartien nach Neckarsteinach, den Theaterfahrten nach Mannheim, den teuren Toiletten — dem ganzen Sausewindtreiben. Ihre Gefährtin missbilligte das durchaus. Aber schliesslich mochte jede hier selbst sehen, wie sie sich ihre Freiheit und ihr Leben einrichtete.

      „Guten Abend!“ sagte vom Eingang her eine weiche, leise Stimme. Die da kam, war keine Studentin. Sie trug die schwarze Tracht der Krankenschwestern und, in seltsamem Gegensatz dazu, ein Büschel exotisch-bunt-schillernder, abenteuerlich geformter Orchideen halb verhüllt unter dem Mantel. Unter der weissen Haube schaute ein auffallend hübsches, schmales, nicht mehr ganz junges Gesicht heraus.

      „Komm’ ich noch zurecht?“ frug sie, ihren nassen Schirm zuklappend und den anderen die Hand reichend. Und die begrüssten sie respektvoller als es sonst die ungebundene Art ihres Verkehrs untereinander war: „Jawohl, Fräulein von Behla! Das Examen ist noch nicht zu Ende!“

      Und die gottlose kleine Trautvetter setzt hinzu: „Sie sitzt noch oben und schwitzt Blut und Wasser. Und zum Schluss gibt ihr Helmstorff den Segen — feierlich — wie ein Hohepriester. Ach ...! ’s ist aber doch wundervoll ... Doktor! ... Wenn ich’s nur schon wäre ...“

      Dann entstand eine Pause. Es war wie etwas Unausgesprochenes zwischen den dreien — eine stumme Frage, die auf allen Lippen lag —, und endlich löste die junge Medizinerin die Spannung und forschte laut und unbekümmert: „Wo steckt denn eigentlich Riedinger? Warum haben Sie Ihren hohen Chef denn nicht mitgebracht, Fräulein von Behla?“

      Die schöne Krankenschwester lächelte und die beiden Studentinnen lächelten mit. In diesem Kreis brauchte man sich nicht erst zu erzählen, was zwischen der Doktorandin droben und dem Dr. med. Hermann Riedinger bestand. Das war ja schon lange her und im übrigen ganz natürlich. Waren sie doch Nachbarskinder und Jugendgespielen, von klein an in dem finstern Barockhaus in der Heidelberger Altstadt aufgewachsen, das jetzt noch Hedwigs Vater und seit vielen Generationen schon, seit dem Wiederaufbau der Stadt nach der Zerstörung, der alten Humanisten- und Predigerfamilie der Solitander gehörte. So sagte denn auch Demut von Behla, die seit einem halben Jahr in der Riedingerschen Privatklinik als Probeschwester tätig war, ganz gleichmütig: „Ja — er wollte auch kommen, aber im letzten Moment haben sie uns einen schweren Fall von auswärts gebracht. Da konnt’ er nicht weg.“

      „Was war es denn?“ erkundigte sich Suse Trautvetter.

      „Ach — nichts Besonderes. Influenza-Pneumonie bei ausgesprochen phthisischem Habitus!“

      Die junge Medizinerin pfiff leise durch die Zähne. Es lag Bedauern und Sachverständnis in diesem Laut. Sie kam sich bei solchen Gesprächen sehr wichtig vor und schaute dann wieder nach oben. Dort klangen Schritte — aber schwer — von Männerstiefeln. Der Pedell stieg die Treppe herab, um irgend etwas zu holen, und grüsste im Vorbeigehen die Gruppe, deren Versammlungszweck er ohne weiteres an den bereit gehaltenen Blumen erraten konnte. „Jetzt hot sie’s bald geschafft!“ versetzte er tröstend mit einer Bewegung des schnurrbärtigen, roten Kopfes nach der Richtung des Prüfungszimmers und verschwand quer über den Platz. Dabei grüsste er ehrerbietig eine Dame, die in einiger Entfernung, auf dem Bürgersteig der Grabengasse, einen Augenblick im Gehen halt gemacht und forschend nach dem erleuchteten Eingang der Universität hingesehen hatte, um dann mit raschen Schritten ihrer noch ziemlich jugendlichen, schlanken und eleganten Gestalt ihren Weg fortzusetzen, und Suse Trautvetter sagte: „Kinder — ich glaube, das war Frau von Helmstorff. Die denkt, ihr Mann könnte jetzt auch schon allmählich nach Hause kommen — zum Abendessen ...“

      Sie schaute ihr nach und bemerkte dabei jetzt erst hart neben ihnen am Eingangstor ein junges Mädchen, das schon vor einiger Zeit gekommen, aber schüchtern beiseite geblieben war. Sie trug ein einfaches, billig im Konfektionsladen gekauftes Mäntelchen und ein Kopftuch um das zarte, ein wenig blasse und scheue Gesicht. So wie sie da aussah, so standen überall gegen Abend in den Gassen der Altstadt die kleinen Heidelberger Bürgermädchen unter der Türe oder huschten zueinander über die Strasse und wisperten und lachten in dunklen Fluren und erzählten sich in den Kramlädchen ihrer Eltern, in denen sie als Verkäuferinnen tätig waren, die wichtigsten Neuigkeiten über ihre Liebeshändel mit den Studenten ins Ohr und schmiedeten ihre Pläne für die in nächster Zeit kommende Fastnacht und klatschten über die unnahbare, eisig abgeschlossene Welt der Professorentöchter, die sie von Herzen hassten.

      Käthe Butterweck hatte etwas Feines, Zurückhaltendes. Als Buchbindermeisterstochter wollte sie sich den beiden Studentinnen, obwohl sie mit ihnen in dem Solitanderschen Hause wohnte, und mehr noch der vornehmen adeligen Krankenpflegerin nicht aufdrängen. Aber Suse Trautvetter war nicht so. Die rief unbekümmert: „Kommen Sie doch! Was stehen Sie denn da wie’n Häufchen Unglück? Zeigen Sie ’mal Ihre Blumen! Herrgott — das ist ja die reine Verschwendung!“

      „Ach, für ’nen Tag wie heut!“ sagte Käthe Butterweck gepresst und drehte die regenfeuchten Rosen zwischen den Händen, „’s ist immer noch besser, man trägt sein Geld in den Blumenladen als ins Scheppe Eck.“

      Das Scheppe Eck kannten sie alle. Das war eine Wein- und Bierstube in der Kapuzinergasse. Da sassen die kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, die in Menge in der engen Gasse wohnten, und tranken schon des Morgens zum „Neun Uhr“ ihren Alkohol und schrien beim Frühschoppen und kamen des Nachmittags wieder und rückten Nachts auf den Bänken zusammen, damit keiner vor der Polizeistunde um Mitternacht heim dürfe.

      „Der Vatter is jetzt wieder mehr dort als in der Buchbinderei,“ fuhr die Kleine fort. Und die Studentin meinte: „Aber heute nachmittag war er doch daheim! Ich hab’ mir wenigstens die Ohren zuhalten müssen, um zu lernen bei dem Mordsskandal unten.“

      Eine leichte Röte flog über Käthe Butterwecks schmales Gesichtchen. „Ja — da is er eigens aus dem Wirtshaus ’rübergesprungen, weil der Schilling mit mir im Lädchen war, der Schlosser, und hat gekrischen: Er wär’ ein ehrlicher Handwerker und brauchte keinen solchen roten Lump von ’nem Sozialdemokraten zum Schwiegersohn — und nix wie ’naus oder ich hol’ den Polizeidiener! — Und der Schilling ist doch auch so hitzig ... Und die Mutter is vor den Vater hin und hat geschrien: ‚Hebet den Babbe! Hebet ihn, ihr Leut’!‘ — Und da haben ihn dann der Göckler, der Barbier, und der Flaschner Boos fest gekriegt und der Nathan Löwenhaar is auch aus seinem Trödelkram beigelaufen und der Stadelberger hinterdrein und hat ganz pomadig

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