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Der du von dem Himmel bist. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Der du von dem Himmel bist
Год выпуска 0
isbn 9788711507100
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Wer sie sah, der sah zunächst nur ihr Haar — ein wunderbares, leuchtendes Rotgold, das in schwerer, fast zu schwerer Fülle seiner seidenen Flechten den Kopf krönte und bis in den Nacken herniederlastete. Selbst jetzt, im ungewissen Dämmerschein des Gasgeflackers, ging ein warmer Glanz von Leben von ihm aus und erhellte das Antlitz darunter — ein feingeschnittenes, auffallend weisses Mädchenangesicht an der Schwelle der dreissig, mit einem leichten Zug von Überarbeitung oder Müdigkeit. Zwei grosse graue Augen waren darin — kühl und ernst. Und der Gegensatz zwischen ihnen und dem lachenden Feuerblond des Haares — der war das Bestimmende an Hedwig Solitanders äusserem Menschen. Der prägte sich auf den ersten Blick ein. So behielt sie jeder im Gedächtnis, der sie einmal gesehen.
Sie war ganz gelassen, als sei gar nichts besonderes vorgefallen, schüttelte den Freundinnen die Hand und sagte nur: „Na also, Kinder, ‚cum laude‘ mit Gottes Hülfe, mehr nicht ... und nun ist’s überstanden!“
Ein Jubelschrei antwortete ihr. Die Mädchen waren ja alle von dem glücklichen Ausgang des Examens überzeugt gewesen. Wenn man so mit den Professoren stand und solch eine Dissertation geschrieben hatte wie Hedwig Solitander, dann war das ein von vornherein entschiedener Sieg. Aber doch erfüllte sie die vollendete Tatsache jetzt mit aufgeregter Rührung, dass Hedwig ihr Ziel erreicht und sie, die Studentinnen, es wohl auch einmal erzwingen und am Ende so vieler Jahre und Mühen und innerer und äusserer Kämpfe als Doctores medicinae oder philosophiae et magistri liberalium artium durch dies dunkle Tor da erhobenen Hauptes in das weitere Leben hinaustreten würden. Suse Trautvetter weinte einfach vor Begeisterung. Die Tränen liefen ihr dick über ihr rotwangiges Kindergesicht. Und auch Olga Ritter, die Ältere, hatte feuchte Augen und Käthe Butterweck, die eigentlich von der ganzen Geschichte nichts begriff, stand scheu-staunend da. Die einzige, die die Examinandin zwar herzlich beglückwünschte, aber dann in dem ganzen Jubel sehr ruhig blieb und schliesslich zu dem Frohlocken der Studentinnen sogar seltsam lächelte, war Demut von Behla.
Endlich war man so weit, dass man wenigstens den Heimweg antreten konnte, Hedwig in der Mitte, mit Blumen beladen, aber immer ganz gleichmütig, die übrigen um sie her. Der Regen hatte aufgehört. So konnten sie ihre Schirme zugeklappt halten und sich eng um die Heldin des Abends drängen und hören, was die, endlich zu Worte gekommen, vom Verlauf des Examens erzählte. Also die erste Stunde war ganz gut gegangen — das wusste man ja schon aus dem Gespräch mit Olga Ritter in der Pause — aber dann die zweite! Da kam die Nervenabspannung. Man wurde ganz dumm im Kopf. Man wusste die Sachen ja genau — aber man fand die Worte nicht, um sie zu sagen! Und das nun gerade bei dem einen wackeligen Nebenfach. Aber alle Herren waren sehr nett gegen sie gewesen. Sie kannten die Examinandin ja lange genug aus den Seminaren. Es war alles wirklich mehr eine Formalität. Dann, nachdem die Fragerei glücklich zu Ende, habe sie, Hedwig Solitander, noch ungefähr zehn Minuten im Vorzimmer gewartet und als dann der Pedell sie wieder hineingelassen, habe der Dekan schon gelacht und ihr die Hand gegeben und sie im Namen der philosophischen Fakultät der Ruperto-Carola zum Doktor beglückwünscht, und die anderen Professoren hätten auch gelacht, und es sei ein allgemeines Händegeschüttel und eine plötzliche Gemütlichkeit gewesen und sie, die Kandidatin, die sich heilig von vornherein schon seit Monaten gelobt habe, um keinen Preis in diesem entscheidenden Augenblicke das Frauenzimmer zu spielen und etwa Freudentränen über ihren Erfolg vor den versammelten fünf Hochschullehrern zu vergiessen — sie habe mit Erstaunen bemerkt, dass dies Zähnezusammenbeissen gar nicht nötig gewesen. Das sei ihr auf einmal alles ganz selbstverständlich erschienen, und so habe sie den Professoren noch einmal die Hand gegeben und herzlich gedankt und dem Pedell draussen zehn Mark geschenkt und sei in aller Gemütsruhe weggegangen ...
„Und hat Ihnen der Helmstorff nicht zum Schluss die Hände aufs Haupt gelegt und Sie gesegnet?“ frug die kleine Trautvetter harmlos neugierig. „So dächte ich mir das bei ihm, das sähe ihm ähnlich, dem Komödianten!“ Und Hedwig Solitander lachte: „Jawohl — der dankte seinem Schöpfer, dass die Geschichte zu Ende war! Ich glaube, er wünschte mich heimlich ins Pfefferland! Aber er war natürlich liebenswürdig wie immer.“
„Na — mir ist er verhasst!“ sagte die kleine Trautvetter. „Ich möchte ihm zu gerne einmal sagen: Ätsch, Herr Geheimrat — Ihr Vater war doch Bierbrauer in Nürnberg und hat Ihnen das viele Geld hinterlassen! — Da soll er so schrecklich traurig werden, wenn man ihn daran erinnert — nun ja — von Helmstorff — das klingt ja auch so schön muffelig, wie der älteste Kreuzzugsadel — puh — vor knapp zehn Jahren ist er’s geworden.“
Während sie so schwatzte, hatte sich der kleine Trupp schon ziemlich weit von der Universität entfernt. Sie waren an der Augustinergasse, wo noch ein einsames Licht in dem Studentenkarzer Sanssouci brannte, vorbeigegangen, hatten den kleinen Platz vor der Jesuitenkirche überschritten und kreuzten jetzt den nassen Asphalt der Hauptstrasse, um in das finstere, bis zum Neckar reichende Gässchengewirr der Altstadt einzudringen. Und hier öffnete die Freiin von Behla zum ersten Male wieder den Mund und sagte, in ein zufälliges allgemeines Schweigen hinein: „Riedinger kommt erst später!“
„Schade!“ versetzte Hedwig Solitander ganz harmlos. Ihr Verhältnis zu Riedinger war so, dass sie ruhig davon, wie vom Wetter oder dem Examen oder sonst einer ganz natürlichen Tatsache sprach. Sie waren ja als Kinder zusammen aufgewachsen — er als einziger Sohn eines nun pensionierten badischen Lokomotivführers und seiner Frau, die viele Jahre in ein paar Hinterstübchen des weitläufigen, von kleinen Mietern wimmelnden Solitanderschen Hauses gewohnt hatten, und hatten sich immer „Du“ genannt und waren dabei geblieben, auch jetzt, wo er — der Stolz seiner Eltern — Privatdozent der Medizin und sie seit wenigen Minuten Doktor der Philosophie der Universität Heidelberg waren.
Eine Enttäuschung war es ihr ja freilich gewesen, als sie ihn beim Herunterkommen aus dem Examenszimmer nicht unter der Gruppe der Wartenden bemerkt hatte. Aber das gestand sie kaum sich ein — geschweige den anderen — und wandte sich an die zu ihrer Linken gehende Olga Ritter, die als Philosophin die einzige war, die etwas von den Einzelheiten des nun glücklich beendeten Frage- und Antwortspiels um den Doktorhut verstand, und erzählte ihr eine Menge Zwischenfälle aus der Prüfung, und wie einmal zu ihrem Glück sogar der alte Trenkle und der andere Examinator des Hauptfachs über ein zweifelhaftes Thema uneinig gewesen seien. Dadurch hätte sie unverhofft viel Zeit gewonnen und lange schweigen dürfen, bis endlich der Dekan zur Sache gebeten habe. Und die anderen, die vorsichtig hinterher durch das halbdunkle, nur spärlich von Laternen erhellte Kapuzinergässchen stiegen, hörten zu und begriffen, so gut sie konnten, und so erreichte die kleine Gesellschaft alsbald die Schwelle des Solitanderschen Hauses.
Das dreistöckige Barockgebäude, in dem Hedwigs Vater wohnte, stand nun gerade zwei Jahrhunderte im Herzen der Altstadt. Die war vor der Einäscherung durch die französischen Mordbrennerbanden eine kleine, vornehme, ein wenig zopfige Residenz gewesen mit Mauern und Zinnen, mit breiten Strassen und Plätzen, mit vielen Klöstern und Edelhöfen der in Pfalz und Neckartal schlossgesessenen Ritterschaft und mit prunkenden Marställen und Kornkammern der kurfürstlichen Haushaltung oben auf dem Schloss. Dann, nach dem Abzug Mélacs, waren die rauchgeschwärzten Trümmer der „Heidelberga deleta“, auf die der Allerchristlichste König auch noch hatte eine Denkmünze prägen lassen, ein Jahrzehnt verödet dagelegen, und als man endlich, verwildert und verstört durch die Not der Zeit, mit dem Wiederaufbau begann, da hatten sich die von oben, aus den Ruinen der gesprengten Türme und ausgebrannten Renaissancepaläste herabgerollten Steintrümmer als willkommenes Material geboten. So hatte auch Äneas Solitander, der Magister der Theologie und Urahn der Familie, sich sein wohlhabendes Heim geschaffen. Ähnliche Bauten erhoben sich umher. Aber kleines Volk, niedere Häuser in planlos gezogenen Linien drängten sich dazwischen. Sie mehrten sich, wie sich die armen Leute mehren, und als um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der Blitzschlag zerstörte, was noch am Schloss oben bewohnbar war, und der Kurfürst und sein Hof nach Mannheim zogen, da war der Übergang Alt-Heidelbergs in ein hässliches, verräuchertes,