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Kinder der Zeit. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Kinder der Zeit
Год выпуска 0
isbn 9788711507209
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Wir sind hier nicht auf dem Mühlendamm!“ sprach Fräulein von Oderwolff herbe.
„Und gerade aus der Gegend stamm’ ich. In der Gertraudtenstrasse stand meine Wiege. Im Vertrauen, eigentlich ’n oder Reisekorb! Aber sagen Sie’s nicht weiter! . . .“
„Sie haben sich verzählt. Es fehlen fünftausend.“
„Sie denken wohl, Sie setzen Ihren Kopf durch?“
„Immer!“
„Bei mir nicht!“
„Bei Ihnen gerade!“
„Na — denn proste Mahlzeit!“
Bartuschke sagte es, aber er machte keine Miene, sich zur Tür zu verziehen. Durch die rannte die jüngste der drei Schwestern herein. Kaum sechzehn. Aber schon fast so lang wie Asta. Dünn wie ein Hering. Schwipp wie eine Gerte. Auf beängstigend schmalen Schultern ein unschuldiges, vildhübsches Kinderköpschen, in dem nur die Augen schon verräterisch liefen. Sie blieb beim Anblick des fremden Herrn mit einer eckigen, verlegenen Anmut der Bewegung stehen. Nickte ihm dann hochmütig zu und hielt der Schwester lakonisch die flache Hand hin.
„Geld! . . .“
„Nachher, Effi! Ich hab’ die grossen Scheine bei mir eingeschlossen!“
Ein niederträchtig gemütlicher Blick Bartuschkes: Deine grossen Scheine — die möcht’ ich mal bekieken! Sie ärgerte sich.
„Wozu brauchst du denn Geld? . . . Hintenrum zum Einholen beim Grünkramfritzen? Gerade jetzt?“
„Generalstreik!“ meldete die Kleine erfreut. ,,Ich hab’ gerade gesessen und an meinem deutschen Aufsatz: ,Der Geist der Befreiungskriege‘ gekliert — da hat der Vizewirt rumgeschickt und sagen lassen: In ’ner Viertelstunde gibt’s kein Wasser mehr! Kein Licht! Kein Gas! Die Elektrische streikt. Die Untergrund. Die Bäcker. Die Totengräber. Alles!“
„Ich komm gleich! Geh nur! Herr Bartuschke: ich habe wirklich keine Zeit mehr! Ich sehe, Sie wollen die Möbel nicht haben . . .“
„Haben Sie sie denn allein zu verkaufen? Fragen Sie doch erst Ihre Eltern, ob die nicht heilsfroh die fünfundvierzig Mille . . .“
„Hier im Hause geschieht, was ich will! Und wenn ich was will, kriegen mich keine zehn Pferde davon ab!“
„Die Jasbeleuchtung ist mir auch schon aufjejangen!“ sprach August Bartuschke und schaute sie mit stiller Bewunderung an. Sie hielt seinen Blick ruhig aus. Sie wurde nur ein bisschen blass, als merkte sie etwas. Dann ungeduldig. Sie machte eine zögernde, ungnädige Kopfbewegung einer grossen Dame, als wollte sie einen Bittsteller verabschieden. Er lächelte gutmütig und liess sie nicht aus dem Auge.“
„Also Spass beiseite! Ich nehme den ganzen Schwamm! Da: eins — zwei — drei — vier — fünf Bräunlinge als Restjeid! Stimmt’s, mein Fräulein?“
,,Danke!“ Asta Oberwolff sah den Haufen Tausendmarkscheine kaum an. Der Käufer knöpfte sich behaglich den Mantel zu.
„Glück haben Sie, dass Sie an ’nen Potsdamer wie mich geraten sind! Ich schlidder immer herein! Ich bin, wo’s ans Geleimtwerden geht, der sichere Mann! Guter Kerl — aber dumm . . . dumm . . . Na — die Hand können wir uns auf das Geschäft schon geben!“
Er schüttelte heftig und herzlich, sich in ihren frostigen, blauen Augen verlierend, ihre kühle, glatte Rechte, bis sie sie ihm mit einem entschiedenen Ruck entzog.
„Wann lassen Sie die Sachen holen? . . .“
„Möcht ich noch ein paar Tage hier stehenlassen! Jeht das?“
„Bitte!“ sprach Asta geschäftsmässig.
„Ich komm dann noch mal selber ’ran . . . dann berede ich das Nähere! An Ihnen ist ’n junger Mann fürs Geschäft verlorengegangen!“
Asta Oderwolff machte eine geringschätzige Bewegung. Dann wollte sie doch zum Abschied höflich sein.
„Wollen Sie einen Regenschirm?“ fragte sie. „Es giesst draussen in Kübeln, und die Strassenbahn geht nicht mehr!“
„Danke! Meine Limousine wartet unten! Müssen Sie sich das nächste Mal anschauen! . . . Zwanzigpferdige Mercedes . . . elektrischer Anlasser . . . Rothschild-Sitze . . . Läuft leise wie ’ne Maus . . . Feine Nummer . . . Na . . . Mahlzeit . . . Auf Wiedersehen!“
„Guten Abend!“
August Bartuschke stieg die Treppe hinunter. Er begann mit ganz wohltönender Stimme vor sich hinzufingen. Dann merkte er plötzlich, dass er verliebt war. Eigentlich spürte er es schon die ganze Zeit. Er war merkwürdig zufrieden mit diesem Zustand. Er kam sich gehoben vor. Er nahm langsam eine Stufe nach der anderen, um sich nur allmählich von Asta Oberwolff zu entfernen, und summte gefühlvoll und verklärt vor sich hin: „Berlin — du bist ein Juwel! Du hast die Schönste der Frauen“ . . .
„Töte mich!“ gellte oben eine helle Mädchenstimme durch die Oderwolffsche Wohnung. Asta nahm von der Sterbebereitschaft ihrer Schwester nebenan keine Notiz. Sie glättete die Tausendmarkscheine auf dem Tisch zu einem Päckchen und seufzte erlöst auf. Uff! Nun war das Familienschifflein wieder für eine Weile flott. Höchste Zeit . . .
Asta Oderwolff trat in das Nebenzimmer. „Töte mich!“ schrillte ihr Jo aus zitternder Kehle entgegen. Sie lag lang auf dem Kanapee, mit weit offenem Mund, kalte Augen in dem verzerrten, weichen Gesicht, und bemühte sich mit der lebendigen Jugend ihres blühenden Mädchenkörpers Sterbezuckungen der Arme und Beine glaubhaft zu machen. Der Vetter Simprecht, der angehende Tänzer, hatte sie eben mit einem Papiermesser umgebracht. Es war, als ob eine Frau die andere erstäche. Die Bewegungen seiner grossen Hände waren zart, die Biegung der Taille, der Schultern ganz weiblich. Wie er jetzt das Mordinstrument sinken liess und gesenkten Hauptes, erschüttert, vor der stürmisch atmenden Leiche seiner Geliebten stand, umspielte eine müde Anmut sein Wesen. Man sah nicht mehr, dass er eigentlich hässlich war — mit abnormen Ohren, grosser Nase, spitzem Kinn, geschlitzten Augen. Er verstand es, sein Äusseres mit einem eigenen herbstlichen Reiz der Entartung zu durchgeistigen.
„Dös war an Schmarr’n von ’nem Tod!“ sagte in tiefem Bass der Schauspieler Raoul Fortunaty, der bei der Film-Dilettiererei die Regie führte. Er hatte einen schwammigen, jugendlichen Wiener Faunkopf, bei dem zu dem krausgelockten Haar nur die Spitzohren und Bockshörner fehlten. Asta trat näher . . .
„Es ist Generalstreik!“ sagte sie.
„Simprecht bringt mich aus der Stimmung!“ schrie Jo klagend, ohne auf sie zu achten, und richtete sich auf. „Der Schuft hat, wie er mich erdolchte: ,Kicks — du süsse Maus!’ gemurmelt!“
„Wir brauchen Wasser — Licht — Lebensmittel!“
Der Vetter Simprecht lächelte nur diabolisch, verächtlich zu Astas Alltäglichkeiten. Sein kurzes Jäckchen spreizte sich, eng in die Taille geschnitten, über den schlanken Hüften und liess sie weiblich breit erscheinen. Unter den zu kurzen, engen Hosenröhren schimmerten gezwickelte Florstrümpfe und Halbschuhe mit Schnallen wie bei einer Frau. Neckisch flatterte ein winziges, Pfirsichblütenfarbenes Krawattenschleischen schiefsitzend aus dem vatermörderhohen Stehumlegkragen.
„Es wird bald Nacht! . . .“ beharrte Asta. „Wir müssen doch vorsorgen . . .“
„Also noch mal!“ Herr Fortunaty klatschte, die Zigarette schief zwischen den Panslippen, in die Hände.
„Töte mich!“
Asta ging. In dem grossen Berliner Zimmer umbraute Zigarrenrauch den eisgrau-spitzbärtigen, gefurchten Charakterkopf ihres Vaters. Der verwitterte Feldherr in schlichtem dunklen Bürgerrock hielt eine kurzstielige Lupe vor die weitsichtigen Augen.
„Papa . . .“
Die drei Generale fochten noch an der Marne. Der kleine,