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sich auf und streckte ihm die Hand hin.

      „Ich wollte Ihnen nur danken!“ sagte sie schnell und fühlte, wie sie im Dunkeln heftig rot wurde.

      Der Mann im Schatten drüben drückte ihr herzhaft die Rechte. Es war ein Händedruck aus dem Schützengraben. Die Finger taten einem nachher weh. Trotzdem . . .

      Das Fräulein von Oderwolff atmete beruhigt auf. Sie schloss die Augen. Sie versuchte zu schlummern. Aber die körperliche Ermüdung war jetzt überwunden, und die seelische Aufregung Gieb. Wuchs mit ihren Gedanken in dem stillen Abteil und der dunklen Nacht. Der verflossene Tag drehte sich vor ihr. Rote Fahnen. Zivilisten mit Flinten. Lachende Leute im Thronsaal. Wie im Fieber . . . Wenn man sich jetzt ins Ohrläppchen kniff . . . Um Ende träumte man das alles und sass mit der Prinzess am Nachmittag im Schlosspark auf der Bank und war ein bisschen eingenickt, die Hände im Schoss. Es schickte sich nicht für eine Hofdame. Aber das Prinzesschen war nur mal langstielig zum Sterben . . .

      Plötzlich schnellte Asta von Oderwolff von ihrem Sitz empor und fasste sich mit beiden Händen an die Schläfen. Ihr Gegenüber war eilig aufgesprungen, versuchte sie zu stützen.

      „Was haben Sie denn?“

      „Das ist doch nicht wahr . . .“

      „Was denn?“

      „Alles . . .“ Sie stammelte. Dann schrie sie verzweifelt auf. „Alles, was heute passiert ist . . . das ist ja alles so . . . so . . . das kann ja gar nicht wahr sein! . . . Sagen Sie: Bin ich verrückt geworden?“

      „Sie nicht.“

      „Wie komm’ ich denn auf einmal hierher, mitten in der Nacht . . . mutterseelenallein . . .?“

      „Stimmt schon, gnädiges Fräulein!“

      „Ja — was wird denn aus uns allen? Was wird aus Deutschland?“

      „Das wissen die Götter!“

      Das Fräulein von Oderwolff war in ihre Ecke zurückgefallen. Sie konnte sich nicht helfen. Sie brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Sie schluchzte verzweifelt, den Kopf auf den Knien, die Hände vor die Stirn geschlagen.

      „Ich kann das gar nicht fassen! Ich kann’s einfach nicht . . .“

      „Ich glaub’s!“

      „Ich bin sonst . . . sonst . . . gar nicht so, dass ich gleich heule! . . . Aber das ist unbegreiflich. Es wird einem erst allmählich klar, was passiert ist! Nein — nicht klar. Das geht einfach über meinen Horizont . . .“

      „Das geht jedem so!“ sagte der Feldgraue. Er stand auf und schaute durch das Fenster. Draussen verfärbte sich allmählich das bleischwere Schwarz der Novembernacht in fahles Zwielicht. Morgenfrösteln. Schweigen. Asta Oderwolff trocknete sich die nassen Augen. Sie fragte erschöpft:

      „Sie sagten vorhin, Sie seien aus Mexiko?“

      Der Fremde drehte sich zu ihr um. Er nickte. Plötzlich lief die Abenteuerlust über seine bartlosen, hageren Züge.

      „Ich war zufällig gerade in Mexiko, als die Bombe platzte!“ sagte er. „Ein paar Monate vorher erst aus Südamerika herübergegondelt.“

      „Da waren Sie auch schon?“

      „Von China her.“

      „Sie kennen, scheint’s, die ganze Welt?“

      „Gross ist sie ja nicht.“

      „Sie waren doch nicht . . .“ Fräulein von Oderwolff kämpfte mit dem Wort, doch nicht etwa Matrose?“

      Der Feldgraue lachte.

      „So hoch verstieg sich — heutzutage in Deutschland gesprochen — mein Ehrgeiz nicht! Nein, gnädiges Fräulein, nur ganz gemeiner Ingenieur.“

      „In deutschen Diensten?“

      „In meinen eigenen . . . als Deutscher. Ich richtete gerade so nette Filialen drüben für die Fabriken meines alten Herrn in Deutschland ein. Die hat wahrscheinlich schon wieder der Teufel geholt.“

      Ein Ingenieur . . . Der Vater Grossindustrieller . . . Fräulein von Oderwolff schaute betreten aus ihren grossen blauen Augen unter den dunkelbraunen Brauen zu dem schlichten Krieger im Soldatenmantel empor. Sie hatte Schatten unter den Augen. Sie war bleich und übernächtig und zerzaust. Sie sah so unvorteilhaft aus wie möglich — dachte sie sich im stillen und merkte trotzdem die ganze Zeit, dass sie dem Feldgrauen sehr gefiel.

      Er blickte an ihr vorbei durch das Fenster. Im Kot der Landstrasse wanderten ein paar Krieger, hochbepackt, auf Knotenstöcke gestützt, frisch, blond, rüstigen Schrittes der Heimat zu.

      „Bleibt, zum Donnerwetter . . . bleibt . . .!“ murmelte er zwischen den Zähnen. Die Heimkehrenden schauten nicht nach dem Zug. Marschierten weiter . . . weiter ins Land. Er zuckte die Achseln.

      „Da gehen wir!“ sagte er heiser zu dem Fräulein von Oderwolff. „Und die Feinde kommen!“

      „Es ist doch jetzt Waffenstillstand . . .“

      „Weiss ich . . .“

      „Und bald Frieden . . .“

      „Weiss ich auch . . .“

      „Die Männer haben doch so Furchtbares durchgemacht. Sie haben gefochten wie die Helden. Sie können doch einfach nicht mehr . . .“

      „Weiss ich alles! Besser als Sie! Ich hab’s mitgemacht. Drei Jahre. Die ganze Hölle. Todmüde sind wir. Verhungert sind wir. Hoffnungslos sind wir! . . . Zehn gegen einen kommt uns die Menschheit übern Hals . . .“

      „Nun eben . . .“

      „Gerade deswegen dürfen wir doch jetzt nicht auseinandergehen. Ja: Über den Rhein zurück! Gut! . . . Keinen Schuss mehr! Schön! Kein Blut mehr! Nein!“

      „Ja, also . . .“

      „Aber beisammenbleiben, bis der Friede unterzeichnet ist . . .“, schrie der Feldgraue wild durch das Rasseln der Räder Asta Oderwolff ins Gesicht. „Eine Macht bleiben — im Rücken unserer Unterhändler — und den Kerlen das Rückgrat steifen — Gewehr bei Fuss — Handgranaten am Koppel. Das fleckt! Die drüben haben eine Mordsangst vor uns — immer noch — wissen wohl, warum . . .“

      „Da braucht man Sie nur anzusehen!“ sagte Fräulein von Oderwolff unwillkürlich.

      „Die wissen, solch ein Heer wie das deutsche war noch nicht da! — Und wenn sie wissen, es ist noch da — dann wissen sie auch, dass sie Deutschland nicht mit ’nem Tritt vor den Bauch erledigen können! Dann kriegen wir mit Gottes Hilfe noch ’nen menschenmöglichen Frieden! Aber wenn wir jetzt uns trennen, dann können sie mit uns machen, was sie wollen! Dann begehen wir Selbstmord! Nein: wir bleiben leben! Aber fragt mich nur nicht, wie!“

      Der Feldgraue warf sich in seine Ecke. Auf seiner Stirn ballten sich Gewitterwolken. Es wetterleuchtete in seinen tiefliegenden Augen. Fräulein von Oderwolff sass schweigend und blass da. Sie sah ihm verstohlen wieder auf die Hand. Da war kein Trauring. Sie dachte sich: Er ist nicht verheiratet. Die anderen wollen heim zu Weib und Kind . . .

      Das erste Zwinkern von Galgenhumor plinkerte drüben über das Schützengrabengesicht. Er sagte gutmütig:

      „Nun hab’ ich Sie schön erschreckt! Sie sind ganz bleich geworden.“

      „Es ist ganz gut, dass man endlich mal hört, wie ernst die Zeit ist! Bis heute mittag hing uns ahnungslosen Gemütern ja noch der Himmel voller Geigen!“

      „Na — in Berlin werden uns die Augen erst aufgehen! Wir sind gleich dort.“ Er stand auf und ordnete seine Habseligkeiten. Dabei öffnete er seinen Mantel. Asta Oderwolff machte grosse Augen. Der Waffenrock, den der Feldgraue unter dem zerrissenen Unterfutter trug, war in knappem Taillenschnitt gearbeitet. Auf der linken Brustseite hafteten noch die aufgenähten Ösen für eine lange, unsichtbare Ordensbänderspange, auf den Schultern die leeren Halter für die Achselstücke.

      „Sie

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