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warten die Leute auch gar nicht!“

      Joachim von Nemerows regelmässiges, in festen Linien geschnittenes Gesicht war sehr ruhig in dem darüber spielenden Flackerschein der Kerze.

      „Ich bleibe Soldat! Ich bin jetzt im Freikorps Windeck. Ich krieg’ bestimmt nachher eine Anstellung in einer regelmässigen Formation. Ja — die schönen, alten Regimenter werden es nicht sein!“ Er wandte sich an die Generalin, die bekümmert und missbilligend das Haupt schüttelte. „Darauf kommt’s jetzt auch nicht an, sondern dass wir den Kopf oben behalten und unsere verfluchte Pflicht und Schuldigkeit tun! Dann müsst’ es doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir Deutschland nicht wieder hochbrächten! Vergnüglich wird die Zeit nicht. Wir werden gehörig die Zähne zusammenbeissen und auf viele Dinge im Leben verzichten müssen!“

      „Dabei gähnt die Jo . . .“

      „Sie will nur filmen!“ schrie Effi rachsüchtig. „Und ich darf erst mit achtzehn . . .“

      „Liebe Viola . . .“ Der Hauptmann von Nemerow war der einzige im Kreis, der Jo Oderwolff bei ihrem rechten Namen nannte. Er bewahrte eine vielsagende, hoffnungsstille Zurückhaltung. Nur in der Stimme schwang tief und gedämpft ein inniger Unterton. „Wir haben uns ja schon oft darüber unterhalten . . .“

      „Gott . . . ja . . .“, sprach die schöne Jo müde und dehnte die Arme. „Das ist ja alles wahnsinnig langweilig! Was hat man dann schliesslich vom Leben?“

      Draussen rauschte der Regen auf die stockdunklen Strassen. Keine Laterne. Alle Häuser tot, mit schwarzen Fensterhöhlen. Kein Tritt eines Menschen auf dem triefenden Pflaster. Pechfinstere Nacht über Berlin. Hundekälte im Zimmer. Noch ein Zoll Kerze. In einer Stunde — um halb neun — musste alles in die Klappe — der Reihe nach, mit dem letzten Stück Licht. Die anderen sassen inzwischen im Dunkeln und holten es sich dann wieder ab.

      „Natürlich, bei den Kriegsgewinnlern drüben sind die Fenster hell!“ Effi presste die Nase an die Scheibe des Vorzimmers. „Die haben Petroleum . . .“

      „Bei dem Käseschieber . . .?“

      „Ach wo! Der hat viel zu viel Angst um seine Speisekammer . . . ’n Märchen soll die sein . . . sagen sie unten im Grünkram! Nein, das junge Ehepaar darüber! Er war doch in der Etappe in Rumänien. Sie trinkt Aether . . . Ach Gott . . . ach Gott . . . ach Gott — da schaut doch . . . Da drüben tanzen sie! Hurra!“

      Undeutlich hüpften und huschten die Schatten hinter den hellen Vierecken der Vorhänge im Schwarz der Nacht.

      „. . . und in den Hinterzimmern spielen sie!“ ergänzte Jo. Die Kleine fasste sie begeistert an Hand und Schulter. Sie waren angesteckt von dem Spiegelbild der Lebenslust über der Strasse. Sie schoben sich wiegend im Tanz über das Parkett des dunklen Salons — vor- . . . und rückwärts . . . stiessen an die Möbel . . . Die Kleine summte den Takt. Die Ältere mit. Aus dem Berliner Zimmer kam die mütterliche Verwarnung:

      „Gleich hört ihr auf! Was ist denn das für ein neumodischer Tanz? . . . Und diese Melodie?“

      „Nichts für dich, Mama!“ rief der Backfisch und bemühte sich, die dünnen Beine auf seltsame Weise zu verrenken. Jo blieb stehen und sang ausser Atem:

      „Wenn ein Mädel einen Herrn hat,

      Der sie liebt und den sie gern hat . . .“

      „Es ist ja empörend! Wo habt ihr denn das wieder her?“

      „Gott, Mama — davon stirbt man nicht! . . . Tu mir den einzigen Gefallen und komm nur nicht wieder mit der ernsten, grossen Zeit!“ Die weiche, sanfte Jo wurde plötzlich böse. „Achtzehn war ich, wie’s losging — jetzt bin ich zweiundzwanzig und hab’ mir die schönsten Jahre ans Bein gebunden . . . für nichts und wieder nichts . . . Die Asta ist vierundzwanzig und hat ihre Jugend verplempert. Nichts haben wir von der besten Zeit unseres Lebens gehabt . . .“

      „Still jetzt!“

      „Wenn’s wenigstens was geholfen hätte! Aber da sitzen wir jetzt! Und du hältst grosse Reden, Mama, wie herrlich es zu deiner Zeit war und wie elend es jetzt für uns kommen wird. Danke schön! Sehr nett von euch! Aber wir sind auch noch auf der Welt!“

      „Schämst du dich denn nicht vor deinen Schwestern?“

      „Vor der Effi? . . . Schau doch mal der ihre fidele Visage! Und die Asta? Das ist ein stilles Wasser!“

      „Geht jetzt lieber schlafen! Ich mag euch gar nicht mehr sehen!“

      Die Mädchen hatten das Licht mitgenommen. Sie sass mit ihrem Mann im Dunkeln, Hand in Hand.

      „Du, Leopold: Armeen kannst du kommandieren. Aber drei Mädel, die der Hafer sticht, nicht mehr! Du musst jetzt einmal Ordnung schaffen! Ich verlange das als Mutter!“

      „Ordnung, Mama?“ sagte die Stimme ihres Mannes neben ihr in der Finsternis. „Es ist genug befohlen worden. Es wird nicht mehr gehorcht. Der äussere Gehorsam ist gebrochen. Der innere fehlt.“

      „Manchmal redest du doch rein chinesisch . . .“

      „Die Führung ist nicht mehr herzustellen. Von uns aus, aus unserer zerbrochenen Welt, nicht. Erkenntnis — Lebensgang — Glück — Unglück — alles muss der jungen Welt aus ihrem eigenen Inneren kommen . . .“

      „Dann können wir uns also begraben lassen . . .“

      „Wir sind alt, Mutter! Wir wissen nicht, was die Jungen gelitten haben — vier lange Jahre — draussen und drinnen. Nun fordern unsere Kinder ihr Recht.“

      Gespenstig verbogen und schoben sich, ruckten und zuckten hinter den matt erleuchteten Vorhängen drüben die Schatten der jungen Männer und Frauen im Takt des Tanzes, als führten sie eine feierliche Grabzeremonie auf. Rings um die halbhellen Rahmen ihrer stumm verschlungenen Gestalten rauschte die regenströmende Winternacht.

      III

      Die junge Dame zog die blechern und kränklich schrillende Klingel im zweiten Stock des Hauses hinter der Haltestelle der Elektrischen in der Gertraudtenstrasse, da, wo Alt-Berlin am ältesten war und drüben der Mühlendamm vom Fischmarkt zum Molkenmarkt das schmutzige Wasser der Spree im Novemberdämmern überspannte. Sie stand in einem fliederfarbenen Cape aus dem Warenhaus und einem sehr fussfreien Rock über den Lackstiefelchen und wartete. Ihr Federhütchen brachte ein schwaches Bunt in das graue Grämeln des Zwielichts über der staubigen Stiege und dem wurmstichigen Flurabsatz. Sie sagte zu dem öffnenden Bureaugehilfen:

      „Mahlzeit! Herr Rechtsanwalt Dr. Gotthold Bartuschke erwartet mich! Ich soll mich vorstellen. Fräulein Alwine Zwicknagel.“

      In dem grossen finsteren Warteraum brütete Essensgeruch, das Zeichen, dass sich Gotthold Bartuschkes Junggesellenwohnung in seinem Bureau befand. Auf Holzbänken dösten schweigsam Menschen vor sich hin. Alwine Zwicknagel setzte sich und betrachtete misstrauisch von der Seite ihre Nachbarn. Ob die ganze Blase schon kriminell war? Reif für den grünen Wagen?

      „Was sind denn das für Leute, die da sitzen?“ fragte sie leise den jungen Mann, der sich in ihrer Nähe zu schaffen machte. Haben die schon gesessen? Klauen sie?“

      „Bilden Sie sich man keine Schwachheiten ein, Fräulein! Was glauben Sie, wer zu dem Herrn Doktor kommt?“

      „Kann ich mir ungefähr vorstellen!“

      „Können Sie nicht! Was denken Sie, in wieviel jemeinnützigen Gesellschaften Herr Doktor Mitglied ist! Was der sich allein für den Verein für entlassene Strafgefangene die Beine ausreisst . . . Und in der Fürsorge-Erziehung . . . mit die Lausebengels, und im reuigen Magdalenenwesen. Da sitzt gleich drüben ein Pastor von der inneren Mission. Und da ein Hausvater — und dort zwei wohltätige Damen.“

      „Weiss ich doch nich! Ich dachte in meiner Unschuld, dass sie hier bloss die ollen Strafsachen . . .“

      „Wir übernehmen nur janz saubere Fälle! Und auch die nich! Wo sich der Doktor doch nu so mächtig in die Politik jekniet hat! Der wird’s

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