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Bartuschke mit nervösen Fingern durch den rotblonden Vollbart und heftete unter dem schiefhängenden Zwicker seine leidenden, hellblauen Augen teilnehmend auf eine kleine, ältliche Frauensperson mit einem scheuen Spitzmausgesicht, die ihm weinerlich schnupfend gegenübersass. Er sagte mitleidig:

      „Sie haben nun ’mal die sechs alten Sèvrestassen heimlich aus der Kunsthandlung mitgehen heissen . . .?“

      „Ich konnt’ sie doch nicht zahlen! Was sollt’ ich denn machen?“

      „. . . Und dazu noch eine fünfzig Zentimeter hohe Bronze-Venus unter den Röcken . . .“

      „Ich bin doch so kunstsinnig! Es heisst doch: Schmücke dein Heim!“

      „Aber nicht mit fremden Federn! Also gestehen Sie alles glatt vor dem Untersuchungsrichter ein! Darauf bestehe ich!“

      „Gewiss doch! Ich will ja in Gottesnamen meine Strafe ’runtermachen!“

      Dr. Bartuschke schüttelte träumerisch den Kopf. Er war schmalschulterig und kleiner als sein Bruder August. Er hielt sich beim Sitzen gebeugt. Er warf gereizt den rötlichen Haarschopf aus der gefurchten Stirn.

      „Wenn Sie bestraft sein wollen — warum kommen Sie dann eigentlich zu mir? Zum Glück sind Sie zum drittenmal rückfällig . . .“

      „Ja, leider! Hätte ich mich nur ein einziges Mal hinreissen lassen . . .“

      „Dann stände die Sache schief! Aber die Wiederholung der Delikte bezeugt bei Ihnen den krankhaften unwiderstehlichen Trieb. Es handelt sich jetzt vor allem um ein ärztliches Attest!“

      Aber ich bin doch bei ganz klarem Verstand!“

      „Glaubt Ihnen Professor Oxenius so wenig wie ich. Die Psychopathiker bilden sich immer ein, sie seien gesund, liebe Frau!“

      „Ich will aber nicht in die Gummizelle!“

      „Dafür sind Sie auch lange nicht reif. Sie bewegen sich auf dem interessanten Grenzgebiet des Unterbewusstseins! Durch erbliche Belastung sind die normalen Hemmungen bei Ihnen ausgeschaltet. Sie konnten eben nicht anders!“

      „Nein.“ Die Frau mit dem Spitzmausgesicht fing an zu weinen.

      „Sie mussten eben — sagen wir schon: stehlen, obwohl Sie nicht wollten!“

      Das war stärker als ich! . . . hu . . . hu . . .“

      „Wahrscheinlich gingen bei Ihnen Schleierzustände dem Erlöschen der Willenskraft im Sensorium voraus. Hatten Sie nicht ein Dämmerungsgefühl, bevor Sie auf Ihre Beutezüge ausgingen?“

      „Ja — nun dämmert’s mir . . .“

      „Na — sehen Sie! Krank! Nicht schuldig! Auf das Gutachten von Oxenius sprechen die Gerichte glatt frei!“

      „Herr Doktor — wie soll ich Ihnen danken?“ Drüben liefen jetzt die Tränen.

      „Danken Sie nicht mir, sondern der Wissenschaft!“ Gotthold Bartuschke legte der Kleptomanin schonend die Hand auf die Schulter.

      „Hu . . . Hu . . . Herr Doktor? . .Und . . . und . . . das Honorar?“

      „Mein Honorar ist, dass ich Sie vor dem Gefängnis bewahre, in dem Ihre reizbare Psyche nur weiter geschwächt wird!“

      „Aber Herr Rechtsanwalt können doch nicht umsonst . . .“

      „Früher musste ich in solchen Fällen Geld für meine Bemühungen nehmen, weil ich darauf angewiesen war“, sagte Dr. Bartuschke. „Die Verhältnisse meiner Familie haben sich im Krieg zum Günstigen geändert.“

      „Das weiss jeder in Berlin, was die Herren Bartusche heutzutage verdienen!“

      „Seitdem kühle ich mich verpflichtet, meinen Mitmenschen um der guten Sache willen zu dienen! Nun flott zu Oxenius! Hier seine Adresse! Adieu!“

      Gotthold Bartuschke blickte versonnen der Diebin nach. Dann auf die Uhr. Ein Klingeldruck. Er wurde geschäftsmässig. Er wandte den blassen, nervös lebhaften Kopf nach dem eintretenden Bureaugehilfen.

      „Ich lasse die Herrschaften vom Wahlausschuss bitten!“

      „Na — bei Ihnen hier wird auch feste geschoben!“ sagte Fräulein Zwicknagel draussen entrüstet und vertraulich zu dem bleichen Jüngling.

      „Jeschoben? Als wie bei uns? Das ist ’ne optische Täuschung, Fräulein: Da müssen Sie ’ne Hausnummer weiterjehen — zum Bruder — zum Herrn August! Der hat schon manche. Kiste uffgemacht . . . Aber der Doktor da drinnen — der ist ja ’n Mensch wie ’n Kind! . . . Der läuft mit ’ner weissen Weste durch die Welt!“

      „Doch wird geschoben!“ beharrte Alwine. „Wir sitzen uns hier die Beine klamm, und inzwischen haben Sie hintenrum einen ganzen Verein Wanderlust zu dem Herrn Doktor reingelassen . . .“

      „Pscht! Reden Sie sich man bloss nicht die Schwindsucht an ’n Hals! Det sind jrosse Tiere . . . Vom Parteiausschuss. Der Doktor kommt doch auf die Kandidatenliste für die Nationalversammlung!“ Ganz vornhin! Der kann sich dreist als jewählt betrachten!“

      Alwine Zwicknagel nickte achtungsvoll und gähnte durch das Näschen.

      „Komm’ ich nun bald ’ran? . . . Nee! . . . Da strömt schon wieder einer ’rein!“

      Durch die auffliegende Flurtür schritt ein grosser, breitschulteriger junger Mann selbstbewusst gleich auf das Allerheiligste zu — blond, blühend, rosig, die Zigarre schief im Mund, den Hut ungezwungen auf dem Kopf. Er nickte Fräulein Zwicknagel kordial zu.

      „’Tag, Püppchen! Was machen Sie hier für Geschäfte?“

      „Vorläufig schlag’ ich hier Wurzeln, Herr Bartuschke!“

      ,,Na — ich leg’ drinnen bei meinem Bruder ’n Wörtchen für Sie ein!“

      In seinem Sprechzimmer sass Dr. Gotthold Bartuschke jetzt allein, rauchend, das Strohfeuer der Nervosität im Flug der Stimmungen erloschen, und träumte in das nasskalte Novembergrau hinaus, in dem der frühe Winterabend über der trüben Strasse dämmerte. August, der Gemütliche — August, der immer Aufgeräumte, mit sich und der Welt glatt zufriedene — sein Bruder August ermunterte ihn mit einem Handklatsch auf die Schulter. Er brachte in seinem feuchten, modischen, zimtbraunen Schiebermantel einen Hauch von Frische und Kälte und Wind von draussen mit. Er feixte fidel unter seinem flott aufgezwirbelten blonden Schnurrbart.

      „Gotthold . . . haste wieder ’nen Klaps? . . . Olle Leiche auf Urlaub! . . .“

      „Ach, lass mich! Das kommt bei mir und geht! Platze Nützlichkeitsmenschen wie du . . .“

      „War immer meine Rede!“ August Bartuschke setzte sich im Mantel, den Hut schief im Genick, den Stock vor sich, rittlings auf einen Stuhl. „Der Gotthold . . . Respekt . . . Erstklassige Kraft! Leistet bloss nischt! Da steckt der Schönheitsfehler!“

      „Na — weisst du: Eure Leistungen . . .“

      „Unser dusseliger Sanitätsrat hat mir noch vorige Woche gesagt: Ihr Bruder Gotthold . . . Typ des hochbegabten Neurasthenikers . . . Neurastheniter . . . Was Feines! Für die besseren Stände!“

      „Quatsch’ doch nicht so!“

      „,Auf und ab wie ’n Wasserfall!’ hat das Doktorchen gesagt. „. . .,So recht ein Kind unserer zerrissenen Zeit!’ . . . Zerrissene Zeit ist übrigens gut! . . . Du, hör’ mal, übrigens . . .“

      August Bartuschke wurde eifrig und kramte zwischen den Tausendmarkbündeln in seiner Rocktasche einen Pack Papiere hervor.

      „Kiek mal als Familienjurist in den Zimt da! Offerte freibleibend bis morgen mittag um zwölf! An sich kleine Chose! Lausige paar Millionen! Nur mit Vorsicht! Ich will nicht wegen dem Dreck etwa Scherereien mit dem kleenen. Beamten mit dem schwarzen Barett kriegen!“

      Gotthold Bartuschkes leidende blaue Augen prüften misstrauisch die Papiere. Der Bruder wurde unruhig.

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