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kennt. Von ganz jung bis ganz alt habe ich schon Dutzende Geschichten gehört von Männern, die sich zu viel Pornografie im Internet anschauen. Aber das mit dem Tapetenmesser ist definitiv der falsche Weg, dieses Problem in den Griff zu kriegen! Ich würde dir gern einen Tipp geben, tue ab sofort Folgendes: Danke Gott jeden Tag für deine Sexualität. Kämpfe nicht länger dagegen an, das macht dich nur krank. Nimm sie dankbar an und freue dich darüber. Sexuelle Gefühle sind ein Geschenk Gottes. Sie sind etwas Wundervolles. Du kannst sie genießen und dich daran freuen. Versuche nur positiv damit umzugehen. Es ist sicher eine Kraft, bei der du lernen musst, sie in die richtige Richtung zu lenken. Du kannst sie nicht abstellen, abschneiden oder einen Pfropfen draufmachen, sodass sie nicht mehr rauskommt.

      Aber du kannst diese Energie in die richtigen Bahnen lenken. Das ist eine Aufgabe, die Gott jedem jungen Menschen stellt. Und das Lernen im Umgang mit Sex soll dir Spaß machen und dich nicht in eine Verdammnis führen. Die Bibel sagt, dass die dunkle Seite, die auch um uns herum wirkt, dich dazu verführt, gerade das Verbotene zu tun. Sogar Paulus schreibt, dass er genau das tut, was er nicht tun will. Er schreibt, das Gesetz verleitet ihn dazu. Aber dann feiert er in dem biblischen Text, dass Gott ihn von diesem Gesetz befreit hat. Ich würde an deiner Stelle diese Negativität aus deiner Sexualität rausnehmen. Und zwar ganz. Sei dankbar für das, was Gott dir geschenkt hat. Danke Gott für deine Sexualität, jeden Tag. Für die irren Gefühle, die dabei entstehen, für den Rausch, für die Entspannung. Deine dunkle Seite will dich kleinhalten und dir ein schlechtes Gewissen machen. Aber Jesus ist nicht so. Er will uns Kraft geben, uns ermutigen, uns befreien!«

      Anschließend beten wir noch lange zusammen und am Ende segne ich ihn. Ich hoffe sehr, dass ich dem jungen Mann seine Pläne mit dem Tapetenmesser ausreden konnte. Das ist wirklich schlimm. Diese enge Sexualmoral in einigen Kirchen hat so viel Unheil angerichtet. Sie macht Menschen kaputt, sorgt für eine kranke Sexualität. Und letztendlich bringt sie die Christen weg vom Glauben an Gott.

      Nachdem ich noch einige Gespräche geführt habe, fährt mich der Pastor in ein schönes Hotel. Wir schwärmen beide während der Fahrt von dem tollen Event. Er ist auch sehr zufrieden mit dem Ablauf und freut sich wie verrückt, dass so viele junge Menschen gekommen sind. Ich bin total platt und kraftlos. Nachdem wir im Hotel ankommen, suche ich schnell mein Bett auf und lege mich hin. Vor dem Einschlafen muss ich noch lange über die moralischen Werte und ihre negativen Auswirkungen auf die Christen nachdenken. Was ich immer wieder verrückt finde: Der Gründer des Christentums, Christus selbst, war so überhaupt nicht moralisch. Jesus hat nie sexuelle Sünden verurteilt, nicht ein einziges Mal. Sogar als eine stadtbekannte Prostituierte bei ihm war, hat er sie für ihre sexuellen Verfehlungen nicht kritisiert. Das ist doch erstaunlich. Warum tun das nur die Christen immer wieder, warum ist das Thema in der Kirche so groß?

      Ganz im Gegenteil wurde durch seinen Apostel Paulus die Freiheit von dem Gesetz ausgerufen. Jesus selbst wird in der Bibel so zitiert: »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist …, ich aber sage euch …« (Matthäus 5,21-22). Das war wie ein ständiger Spruch auf seinen Lippen. Was die Alten sagten, war eine Gottesbeziehung, die sich durch Belohnung und Bestrafung, durch Segen und Fluch, durch das Befolgen von Regeln ausgedrückt hat. Taten die Nachfolger Gottes das, was er verlangte, wurden sie von ihm beschenkt. Taten sie es nicht, wurden sie von ihm bestraft. Und zwar richtig hart, da wurden zum Teil ganze Familien ausgerottet.

      Doch mit Jesus hat sich das radikal verändert. Alles wurde anders durch ihn. Auch wenn viele Familien und Völker das bis heute noch nicht verstanden haben. Christus hat den sogenannten »Fluch des Gesetzes« auf sich genommen, so beschreibt es die Bibel. Alles Negative, alle negativen Folgen unserer Taten auf unsere Gottesbeziehung, hat er radikal zum Positiven verwandelt. Gott hat durch Jesus klargemacht, dass er sich Freunde wünscht und keine Soldaten. Jesus nennt seine Nachfolger Freunde und nicht Diener. Gott möchte keinen Befehlsgehorsam, sondern eine liebevolle Beziehung zu uns.

      Wenn mir ein moralisches Christentum begegnet, bin ich innerlich immer sehr zerrissen. Ich kann bei vielen moralischen Forderungen dieser Geschwister nicht mehr mitgehen. Auch wenn Christus in genau dieser Bibelstelle, welche in meiner Predigt genannt wurde, davon sprach, alles zu verkaufen. Es geht mir heute nicht mehr in meine Vorstellung, dass er damit auch einen hohen moralischen Lebensstil einfordern wollte. Also frei nach dem Motto: Alles zu verkaufen bedeutet einen harten Weg der Nachfolge Christi zu wählen und alles was mich ausmacht, meinen Willen und meine Begabungen, mein Geld, meinen Besitz, alles was mir guttut, komplett abzugeben. Das wäre ja die naheliegende Deutung der Moralisten. Du musst alles verkaufen, dich radikal und ganz aufgeben, deine Wünsche, dein Leben, deine Freuden, deine Sehnsüchte, deine Sexualität, alles muss Gott geweiht sein. Erst dann erhältst du den Schatz, die Belohnung, vorher nicht. Im Umkehrschluss bedeutet das ja: Behältst du nur ein klein wenig für dich, gibst du dich ihm nicht zu hundert Prozent hin, dann wirst du auch nicht den ganzen Segen, den ganzen Schatz bekommen können. Ich selbst habe das jahrelang so vertreten und geglaubt. Doch was für ein krankes Gottesbild steckt dahinter? Als würde es Gott doch nur um unsere Taten gehen und nicht um unser Vertrauen, unseren Glauben, unser Herz.

      Ich vermute, dass es Christus in dieser Geschichte um unseren tatsächlichen Reichtum ging, um unser Geld. Geld hat so eine Macht in der Gesellschaft und das war schon immer so. Es gibt noch einige Bibelstellen mehr, in denen Jesus sich gegen Besitz und die Macht des Geldes ausspricht. Was er sagen will, ist, dass wir unser Herz nicht an Geld hängen sollen, nicht an Besitz und Reichtum. Es ist die kleine Perle, die wir so gerne haben wollen, die wir unbedingt brauchen, sie ist letztendlich viel mehr wert. So würde ich es heute auslegen und verstehen.

      Im Rückblick tut es mir sehr leid, wenn durch meinen Dienst Jugendliche unter einen moralischen Druck gekommen sind. Ich bin kein konservativer Christ. Ich möchte junge Menschen ermutigen, sich von dem Druck zu befreien und die Freiheit zu entdecken, die der Glaube an einen Gott schenken will. Wir sind zur Freiheit berufen, so steht es in der Heiligen Schrift.

      Auf dem Rückweg denke ich noch weiter über den Gottesdienst nach. Mir wird deutlich, dass ich so eine Predigt nicht noch einmal halten würde, auch wenn es sich in der Situation richtig angefühlt hat. Ob es jetzt für die Gemeinde in Chemnitz falsch gewesen ist, ich weiß es nicht. Vielleicht hat es einigen wirklich geholfen. Die Reaktion der Jugendlichen war ja überwältigend groß. Nur möchte ich nicht mehr Menschen zu einem Glauben führen, der letztendlich nur ein gutes Gefühl gibt, wenn man alles richtig macht. Sich nur aufgrund guter Taten, guter christlicher Werke gut zu fühlen führt auf Dauer nur zu einem enormen moralischen Druck.

      WAS ICH VON DIESER REISE MITGENOMMEN HABE

      Eine Gemeinde braucht nur einige wenige Menschen, die eine Vision haben, dann kann daraus etwas Großes entstehen. Moral im engeren Sinne hat die Kraft, Menschen innerlich kaputt zu machen. Ich möchte niemand sein, der Jugendliche geistlich und moralisch unter Druck setzt. Mein eigenes Leben war in dem Sinne auch nie von hohen moralischen Werten geprägt. Ich wollte als höchstes Gut immer nur die Liebe propagieren. Der Liebe muss sich alles unterordnen, auch die Moral. Und diese Botschaft der Liebe, die über den christlichen Glauben weit hinaus funktioniert, soll auch meine Predigt werden, für die ich bekannt bin. Bekannt in der Kirche, aber auch darüber hinaus. Und ich stelle fest, dass ich auf Jugendveranstaltungen nicht immer einwandfrei funktioniere. Meine Ängste stehen mir immer wieder im Weg, sie behindern mich, sie lähmen mich. So wie es auch auf der folgenden Reise in Essen noch viel zerstörerischer passiert ist.

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      ESSEN

      November 2009

      Warum gehen die Kids? Großer Jugendgottesdienst in der Essener City

      Heute geht es mit dem Auto von Köln aus in den Pott. Essen liegt mitten in der Metropolregion Deutschlands, dem Rhein-Ruhr-Gebiet,

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