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meiner Kinderphantasie war. Mein liebster Freund war während meiner ganzen Kindheit mein gleichaltriger Vetter (unsere Mütter waren Schwestern), Fritz Heß-Diller, Adoptivsohn des ruhmgekrönten Feldmarschalls Baron Heß und Sohn meines Onkels Baron Diller, des Vertrauten und Flügeladjutanten des Erzherzogs Franz Karl, Vater des Kaisers Franz Joseph, der erst 1878 starb, denn er verzichtete 1848 zugunsten seines Sohnes auf den Thron, den Kaiser Franz Joseph (geb. 1830) mit 18 Iahren bestieg. Der alte Erzherzog war somit durch 30 Jahre »Untertan« seines Sohnes.

      Das österreichische Milieu der Familien Diller und Heß, die in Wien eine Rolle spielten (denn der alte Feldmarschall Heß war einer der bedeutendsten Männer, die Österreich besaß), bildete in meiner Phantasie eine Art interessanter Märchenwelt, in die ich 1857 als 10jähriger Knabe bei einer Reise nach Reichenhall, Salzburg und Wien einen Einblick gehabt hatte, der mich begeisterte. Damals galt die österreichische Armee, nach den ruhmvollen Siegen 1848 und 1849 in Italien, als die Quintessenz aller militärischen Tugenden – und Eleganz. Und alles war geschart um die junge Heldengestalt Kaiser Franz Josephs, seines berühmten Feldmarschalls, des alten Radetzky und dessen Generalstabschefs Heß, – dem schon als jungen Offizier Napoleon 1805 persönliche Anerkennung zollte. Eine Welt von glücklicher Kindheit und Jugendphantasie ging nun vor mir auf – und darum konnte keine Persönlichkeit auf der Erde, unter allen Potentaten und Berühmtheiten, denen ich in persönlichem Verkehr begegnete, eine so eigenartige, innerliche Empfindung in mir wachrufen als dieser, jetzt so ehrwürdig gewordene Kaiser.

      War es wohl ein Hinüberwallen solcher Empfindung, daß der alte, wortkarge, stille und gütige Mann mir merkwürdig zutunlich bei unserer ersten Begegnung entgegentrat und auf der langen Fahrt zwischen den phantastischen Inseln so viel, so eingehend mit mir sprach, daß alles darüber staunte? Vielleicht war es nur, weil er fühlte, daß ich auch mit »hohen« Menschen immer nur als Mensch sprach, daß ich ihm von meinem ersten Besuch in Wien, vom alten Heß, vom Prater, von der Donau erzählte, Kindergeschichten aus Reichenhall, über die er herzlich lachte, – kein Wort Politik, keine leise Andeutung davon.

      Neben dieser ehrwürdigen Figur fiel die Familie Joseph sehr ab. Der Erzherzog, Sohn des berühmten Erzherzogs »Palatinus von Ungarn«, deutete durch seinen, mit ungarischer Bartwichse spitz neben der Nase wie zwei Stacheln in die Höhe aufgeschwänzten Schnurrbart an, daß er Ungar, nur Ungar sei. Er sprach auch ungarisch-deutsch – wenn er überhaupt sprach. Sein Schweigen war vielleicht weise Einsicht der eigenen Geistlosigkeit. Dafür sprach die Gattin zuviel, neugierig, uninteressant, und alles langsam durch die große, gebogene Nase der Mutter Orleans, Clementine, der hundertfach »gerissenen« Tochter des schlauen französischen Königs Ludwig Philipp.

      Ihre Tochter Dorothea 2 gefiel mir noch weniger. Das Merkwürdigste aber war der junge Ladislaus, noch langsamer als die Eltern sprechend, ungarisch-deutsch. Ich fragte ihn, in welcher Garnison sein Regiment stehe? Er sagte: »Ich – stehe – bei – der Infonterie. Ober ich werd' mich – zu – der – Kovallerie – transferieren – lossen. Denn – bei – der – der – In–fonterie muß man – laufen, und – bei – der – Kovallerie – reitet mon.«

      Er war dabei sehr ernst geworden. Später, vor der Insel Veglia, wo viel Adler horsten (und Kaiser Wilhelm natürlich eine Jagdpartie plante), fragte ich den armen Ladislaus, ob er schon einen Adler geschossen habe? (denn Josephs bewohnen zeitweise, wie ich bereits sagte, eine große Villa bei Fiume, ihr eigentlicher Wohnsitz ist Pest und Alcsut).

      »Nein«, erwiderte der arme junge Ladislaus, »denn – mit – dem – Stutzen - hat – man – eine Kugel, – die fliegt – holt immer – vor – bei. Und – mit der – Flinten - hot's viele, – sser kloane – Kügerln – ober – die fliegen – holt net – hoch – gnug.«

      »Ja«, sagte ich, »daß ist halt sehr traurig«. Er nickte sehr ernst. Man begegnet nicht alle Tage jungen Leuten, die so gottvoll dämlich sind wie der kleine Ladislaus 3.

      Nach der Heimkehr um ½6 Uhr begab man sich hinüber auf das Schiffsjungen-Schulschiff »Moltke«, das reizend dekoriert war – wie ein großer Salon von Flaggen und Blumen. Dort war eine große Gesellschaft aller hier anwesenden notabeln Österreicher und Ungarn mit ihren Damen geladen.

      Die Majestäten waren sehr liebenswürdig, und ich lernte viele Menschen kennen. Um 7 Uhr hatte man reichlich genug. Die Majestäten verließen das Schiff, und während noch alles an Bord war, liebenswürdig kausierend und lächelnd – wurden plötzlich etwa 50 Kanonenschüsse abgefeuert! Salut für Kaiser Franz Joseph, der von Bord ging. Die Damen rannten wie die Wahnsinnigen hin und her und natürlich immer dahin, wo gerade wieder geschossen wurde, denn abwechselnd fiel ein Schuß an Steuerbord und einer an Backbord. Ein ganzer Haufen Damen lief sogar nach oben auf die Kommandobrücke des Kapitäns. Natürlich war aber doch alles »entzückt« und »geschmeichelt« – denn bei solchen Gelegenheiten sind selbst 50 Kanonenschüsse zu vertragen.

      Zu Hause zog man sich um und erschien zum Souper bei den Majestäten.

      Die Unterhaltung war keine sehr lebhafte, da der Kaiser Franz Joseph einsilbig ist.

      Die Kaiserin trug bei dem Souper ein mattrosa Kleid mit Samtpuffärmeln – dazu sehr hohe Frisur, und den Schmuck, den ihr Kaiser Franz Joseph als Pate von Prinz Joachim geschenkt hat: eine große Schleife von Rubinen und Diamanten.

      Um 1/2-9 Uhr erfolgte die Abreise. Kaiser Wilhelm brachte seinen Gast bis Matuglie. Alles andere ging schlafen.

      30. März 1894.

      Ausfahrt mit den Majestäten auf der »Cristable« um die Insel Veglia, von früh 3/4-11 bis abends 1/2-7 Uhr. Eine zauberhafte, schöne Fahrt! Nachmittags landeten wir an der dalmatinischen Küste bei der kleinen Stadt Zenk. Ich ging mit der Kaiserin und den beiden Damen an Land, wo die ganze Bevölkerung auf dem hübschen Marktplatz zusammenlief. Es war wie auf dem Theater, so unwahrscheinlich malerisch. Die Kaiserin führte 8 barfüßige Jungen in einen Schuhladen und kaufte ihnen rote Lederschuhe, verteilte auch Brot und Orangen. Sie war so gut und heiter dabei!

      Gegen Abend kehrten wir heim. Die Küste ist merkwürdig öde und tot. Aber schön sind die Farben der Felsen und des Wassers.

      Ich hatte unterwegs leider allerhand Politik mit dem Kaiser zu besprechen. Es geht immer der furchtbarste Ernst zwischen den bunten Eindrücken spazieren.

      31. März 1894.

      Morgens stets Vortrag beim Kaiser und viel Arbeit. Nach dem Essen um ½4 Uhr großes »Tennis«. Ich spiele gegen den Kaiser und eine Komtesse Pálffy, die vortrefflich spielt. Daneben die Kaiserin mit den Prinzen.

      Die Kaiserin geht um 10 Uhr zu Bett. Wir Herren bleiben bis 11 Uhr zusammen. Unbequem ist es für mich, daß ich etwa 5 Minuten zu meiner Villa Laura zu gehen habe. Alle Augenblicke kommen Depeschen, die ich oben erledigen muß, dann wieder muß ich zum Kaiser und dazwischen mich umziehen. Morgens: Promenaden-Kostüm, zum Frühstück: schwarzer Überrock. Geht man zur Yacht: Yachting-dreß, geht man zum Tennis: Tennis-dreß, zum Abendessen: Frack und schwarze Krawatte. Es ist häufig alles so eilig, daß ich, während ich mich wasche, Kistler oder Hofrat Taege die wichtigsten Depeschen in die Feder diktiere.

      Pola

      6. April 1894.

      Wir hatten uns gestern abend auf die »Tristable« begeben und saßen mit dem Kaiser, Bier trinkend, noch eine Stunde zusammen. Lyncker, Leuthold, Plessen und ich. Vor Tagesanbruch fuhren wir nach Pola. Vorher noch war der Kaiser hinüber auf die »Moltke« gefahren, um als Admiral auf der Kommandobrücke des »deutschen Kriegsschiffes« all den Kanonendonner als Salut in gehobener Stimmung in Empfang zu nehmen, mit dem sich wahrhaftig die Marine bisweilen lächerlich macht. In Pola war es nahezu unerträglich. Ging Se. Majestät an Bord der »Moltke«: 25 Schuß. Nun Besichtigung aller im Hafen liegender Kriegsschiffe. Sobald er ein Schiff bestieg: 25 Schuß. Ging er von Bord dieses Schiffes: 25 Schuß. Mit einer Pinasse zu dem nächsten Schiff: 25 Schuß – von Bord: 25 Schuß usw., usw. So ging es den ganzen Tag. Warum in aller Welt nicht Salut bei Ankunft der »Moltke« und Salut bei Abfahrt von Pola? Wäre das nicht genug?? Ich sah mir währenddessen die

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