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Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik. Erwin Breitenbach
Читать онлайн.Название Psychologie in der Heil- und Sonderpädagogik
Год выпуска 0
isbn 9783170362161
Автор произведения Erwin Breitenbach
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Uhlemann (2011) stellt mit der Förderverlaufsdokumentation (FVD) ein Instrument zur kontinuierlichen Planung und Erfassung der Wirksamkeit pädagogisch-therapeutischer Maßnahmen vor, das inhaltlich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ausgerichtet ist (
Kap. I.7), sich sehr stark an der Vorstellung einer Förderdiagnostik, die als hypothesengeleiteter Prozess Diagnose und Förderung konsequent miteinander verbindet, orientiert und als Grundlage für das schulische Standortgespräch dient ( Kap. I.6.1.4).4.2.4 Vorgeordnete Theorien und Wertvorstellungen mitdenken
Die Notwendigkeit und Bedeutung vorgeordneter Theorien kam bereits im vorangegangenen Kapitel zur Sprache, soll hier jedoch noch einmal explizit aufgegriffen und thematisiert werden. Die Beschreibung der Förderdiagnostik als hypothesengeleiteter Prozess macht deutlich, dass sie notwendigerweise eingebettet sein muss in pädagogische, didaktische oder psychologische Theorien. Nur auf der Grundlage eines derartigen Fachwissens lassen sich an den entsprechenden Stellen des förderdiagnostischen Prozesses die erforderlichen Hypothesen gewinnen. Darüber hinaus ist Diagnostik allgemein ein interpretierendes Vorgehen, das an verschiedenen Stellen auf vorgeordnete Theorien zurückgreifen muss.
Bereits beim Erkennen und Aufnehmen von Daten muss bedacht werden, dass diese Daten dem menschlichen Verhalten nicht als solche anhaften. Der Diagnostiker findet die Daten nicht einfach als gegeben vor, um sie dann nur noch einsammeln zu müssen. Bereits die Datenaufnahme ist, wie Schlee (1985a) richtig feststellt, ein aktives Gestalten und Konstruieren. Diagnostische Daten treten als solche erst unter bestimmten Fragestellungen und Perspektiven in Erscheinung. Je nach Fragerichtung, Sicht- und Herangehensweise ergeben sich unterschiedliche Daten. Die lapidare Aussage, dass Intelligenz das ist, was durch den Intelligenztest gemessen wird, ist so betrachtet durchaus richtig und nachvollziehbar. Da Intelligenz ein hypothetisches Konstrukt ist, liegt der Konstruktion eines jeden Intelligenztests eine spezifische Vorstellung, ein Modell von Intelligenz zugrunde und dieses Intelligenzmodell bestimmt, welche Verhaltensstichproben als repräsentativ betrachtet und durch den Test erhoben werden.
In den abgenommenen Daten an sich steckt noch keine bedeutsame Aussage. Die Bedeutung ist den Daten nicht inhärent, sondern sie bedürfen der Interpretation, die ihrerseits ebenfalls theoretisch fundiert sein muss, will man Beliebigkeit vermeiden. Die Minimalinterpretation, dass ein Intelligenztestwert altersgemäß, über- oder unterdurchschnittlich ist, lässt sich nur unter Rückgriff auf die klassische Testtheorie und die mit ihrer Hilfe berechneten Vergleichsnormen vornehmen.
Schließlich lassen sich aus den interpretierten Daten nur dann sinnvolle Konsequenzen ziehen, wenn theoretische Konzepte vorliegen, die über entsprechende Zusammenhänge und Regelhaftigkeiten Auskunft geben. Ein unterdurchschnittliches Testergebnis könnte z. B. nur dann zu Veränderungen im Lernangebot führen, wenn mittels einer Theorie entsprechende Zusammenhänge zwischen Testergebnissen und Förderangeboten beschrieben und begründet vorlägen.
Diagnostizieren ist mit Schlees Worten immer eine »in vielerlei Hinsicht theoriegetränkte Tätigkeit« (Schlee 1985a, 258). Datenerhebung, Interpretation der Daten und die aus ihnen abgeleiteten Maßnahmen bedürfen notwendigerweise einer Fundierung durch vorliegende Theorien. Die Qualität einer diagnostischen Tätigkeit und ihre Ergebnisse können nicht besser sein, als die Qualität der zugrunde liegenden Theorien es zulässt.
Mutzeck und Melzer (2007) betonen in ihrem Modell zur Förderplanung, dass erstens mithilfe der Diagnostik nur Ist-Zustands-Beschreibungen vorgenommen werden können und dass eine Förderdiagnostik und Förderplanung zweitens nur sinnvoll ist, wenn sie unterrichtlichen, erzieherischen, therapeutischen und ethischen Sollwerten und Zielen nachgeordnet und von der Bedeutung her untergeordnet ist. »Förderplanung muss unbedingt in der Zusammenschau von Unterricht, Förderung bzw. Therapie und Diagnostik gesehen und durchgeführt werden unter Einbeziehung ideeller Faktoren (Werte, Ziele, Konzeptionen) und realer Bedingungen (Person-Umfeld-Faktoren)« (Mutzeck & Melzer 2007, 208).
Um diagnostische Daten zu interpretieren und um auf Diagnoseergebnisse mit pädagogischen Interventionen kompetent antworten zu können, bedarf es laut Kretschmann (2004) eines umfangreichen Metawissens über Entwicklungsverläufe und Störungsbilder sowie über Präventions- und Interventionskonzepte.
4.2.5 Sich an Kompetenzen orientieren
Eggert (1997) weist darauf hin, dass der Paradigmenwechsel in der sonderpädagogischen Theorie und damit das, was als Behinderung beschrieben wird, auch einen diagnostischen Blickwechsel fordert, der weniger die Schwächen oder Momente des Nicht-Könnens, sondern vielmehr die Stärken eines Kindes sucht und bei der Gestaltung von Lehr- und Förderangeboten an eben diesen Stärken und damit am Können ansetzt. Deshalb schlägt er vor, negative Aussagen über ein Kind zu vermeiden. Vorgefundene Probleme, Störungen und Schwächen können so umgedeutet werden, dass die Stärken des Kindes in den Mittelpunkt rücken und auf diese Weise auch zum Ansatzpunkt für Hilfe und Förderung gemacht werden. Auch für Eberwein und Knauer (1998) ist in der Sonderpädagogik eine grundlegende Revision diagnostischen Denkens und Handelns notwendig. Angemahnt wird ein radikales Umdenken gegenüber der traditionellen defizitorientierten sonderpädagogischen Diagnostik mit ihren Zuschreibungen und Platzierungen. Die Aufmerksamkeit solle nicht wie bisher auf die Defizite eines Kindes gerichtet sein, sondern auf seine individuellen Stärken und die im Umfeld liegenden Ressourcen. »Vom Defizitkatalog zum Kompetenzinventar« überschreibt Goll (1994) einen Artikel, in dem er ebenfalls entsprechende Veränderungen im diagnostischen Denken erläutert.
Die Diskussion darüber, ob in der Sonderpädagogik tatsächlich ein solcher Paradigmenwechsel vorliegt oder nicht, soll an dieser Stelle nicht geführt werden, da sie für den weiteren Gedankengang bedeutungslos ist. Der Verweis auf Hillenbrand (1999) soll ausreichen, der nach gründlicher Diskussion berechtigte Zweifel an der Existenz eines Paradigmenwechsels in der Sonderpädagogik hegt.
Zunächst ist festzustellen, dass Stärken und Schwächen genauso wie Kompetenzen und Defizite relationale Begriffe sind, die nicht ohne einen Bezugspunkt, eine Norm zu denken sind. Um diagnostische Informationen als Defizit oder Kompetenz interpretieren zu können, müssen sie in ein Bezugssystem eingeordnet werden. Stärken und Schwächen ergeben sich im Rahmen der Förderdiagnostik, indem kindliches Verhalten in Beziehung gesetzt wird zu intraindividuellen und lehrzielorientierten Normen. Neben dem Bezug zu einer Norm brauchen die Begriffe Stärke und Schwäche auch sich selbst als Bezugspunkt, denn Stärke lässt sich nur im Zusammenhang mit Schwäche denken und Schwächen werden nur sichtbar, wenn Stärken vorhanden sind. Deshalb sind diagnostisch relevante Fragen immer Zwillingsfragen, die gleichzeitig nach dem fragen, was eine Person weiß und was sie nicht weiß, was sie richtig macht und was falsch. Der diagnostische Blick fällt zwangsläufig gleichzeitig sowohl auf Stärken als auch auf Schwächen und deckt das Können und Nicht-Können gleichermaßen auf.
Neuropsychologische Erkenntnisse legen nahe, dass das Empfinden von Lust und Unlust nur möglich ist, wenn unser relational-dynamisches Lust-Unlust-System im Gehirn ausbalanciert ist, wenn sich das Erleben von Stress, mühevoller Anstrengung und Misserfolg regelmäßig abwechselt mit Erfolgserlebnissen, die Freude, Stolz und Entspannung mit sich bringen. Dysregulationen in diesem ausbalancierten System können entstehen, wenn durch anhaltende Misserfolge der Unlust-Schenkel