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Entwicklungspädagogik. Oliver Hechler
Читать онлайн.Название Entwicklungspädagogik
Год выпуска 0
isbn 9783170360686
Автор произведения Oliver Hechler
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
2 Pädagogische Grundlagen
Die Entfaltung der Entwicklungspädagogik erfolgt, wie bereits angemerkt, in einem zweiphasigen Prozess. Zunächst werden wir die pädagogischen Grundlagen der Entwicklungspädagogik skizzieren. Was für die Pädagogik im Allgemeinen gilt, gilt auch für die Entwicklungspädagogik im Besonderen: Bezugspunkt aller Überlegungen muss die Erziehung sein. Diese versuchen wir mit Blick auf ihre Relevanz für die Formulierung entwicklungspädagogischer Grundprinzipien zunächst zur Darstellung zu bringen, so dass eine anschauliche und belastbare Vorstellung von Erziehung entstehen kann. Wir fokussieren damit in gewisser Weise zunächst auf das »statische« Fundament der Entwicklungspädagogik und folgen der Frage, wie sich der pädagogische Zugang zum Menschen beschreiben lassen könnte. Auf diesem Wege lässt sich letztendlich gut der pädagogische Aufbau der Person zur Darstellung bringen. Dieser pädagogische Aufbau der Person wird dann durch einen lebensaltersspezifischen Bezug im Horizont verschiedener Lerndimensionen sukzessive angereichert. Der Grundgedanke ist folgender: In unterschiedlichen Lebensaltern stellen sich ganz unterschiedliche Lernaufgaben in ganz unterschiedlichen Lerndimensionen, die ganz unterschiedliche Lernhilfen erfordern. In differentialpädagogischer Hinsicht ist dieser Sachverhalt alles andere als trivial, denn nicht selten verweist eine Lernhemmung, die man vermeintlich ohne weiteres einer Lerndimension zuordnen könnte, auf eine ganz andere Lerndimension. Das aktuelle Lebensalter, in dem die Lernhemmung auftritt, muss auch nicht immer das Lebensalter sein, das für die grundlegende Organisation der Lernhemmung maßgeblich ist. Darüber hinaus ist zwar für eine Lernaufgabe zumeist eine Lerndimension primär relevant, doch gilt es immer zu beachten, dass eben auch die Inhalte der anderen Lerndimensionen sekundär für die Bewältigung einer Lernaufgabe aus einer bestimmten Lerndimension dringend erforderlich sind. Hemmungen im Bereich der sekundären Lerndimensionen beeinträchtigen dann die Bewältigung der Lernaufgabe im Bereich der primären Lerndimension, so dass sich dementsprechend auch die Lernhilfen gestalten müssen. Das heißt konkret, eine Lernhemmung im Bereich der Aneignung mathematischer Kenntnisse muss nicht unbedingt bedeuten, dass hier primär die Lerndimension des Wissens ursächlich im Fokus steht – das bietet sich an, muss aber nicht sein. Die Lernhemmung kann sich ebenso gut auf die Lerndimension des Wollens beziehen lassen. So kann der einschüchternde Unterrichtsstil des Lehrers zu einer ängstlichen Erwartungshaltung beim Schüler und damit zu einer Unmöglichkeit des Lernens führen. Eine Lernhilfe in Form eines Trainings bei Dyskalkulie würde so ins Leere laufen. Aber auch können vorschulische Fertigkeiten nicht in einem Maß erworben worden sein, deren teilweises oder gänzliches Fehlen jetzt in der Schulzeit die Aneignung mathematischer Zusammenhänge erschweren. Auch hier wäre ein Dyskalkulie-Training nicht angezeigt. Um die Komplexität noch etwas zu erhöhen, muss die pädagogische Lerndiagnostik unter Umständen in den Kontext von erschwerenden und besonderen Bedingungen gestellt werden. Das heißt, das an sich schon mehrfach determinierte Lerngeschehen, und damit auch der Versuch, dieses verstehend zu fassen, wird nicht selten durch personale, sozio-kulturelle, sozio-emotionale, sozio-ökonomische und/oder sozio-physio-emotionale Beeinträchtigungen erschwert. Vor dem Hintergrund der Komplexität der pädagogischen Aufgabe kann ersichtlich werden, warum pädagogisches Verstehen und pädagogisches Handeln als Kunstlehre und Interventionspraxis aufgefasst werden muss. Eine Standardisierung verbietet sich hier, weil sie den Gegenstand der pädagogischen Bemühungen nur unter den Bedingungen der Trivialisierung zu fassen vermag und ihn damit aber kategorial verfehlt.
2.1 Form der Erziehung
Was Friedrich Schleiermacher in seinen Grundzügen zur Erziehungskunst 1826 noch behaupten konnte: »Was man im allgemeinen unter Erziehung versteht, ist als bekannt vorauszusetzen« (Schleiermacher 1983, 7), gilt heute so ohne weiteres nicht mehr. Erziehung als zentraler Gegenstand einer Pädagogik, die sich zu den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften zählt, lässt sich nicht so einfach bestimmen und fixieren wie die Gegenstände der Naturwissenschaften. Ihre Faktizität ist zwar evident, doch sie zeigt sich beim Versuch des direkten Zugriffs als immens flüchtig. Erziehung gibt sich im Grunde nur durch ihre spezifische Form zu erkennen, weil sie als soziale Handlung vieles von dem teilt, was auch andere soziale Handlungen auszeichnet. Jenseits aller Bestimmungsversuche der Erziehung über anthropologische Begründungsfiguren, Definitionen bis hin zu metaphorischen Zugängen (Brumlik et al. 2013) tritt Erziehung relativ belastbar und konstant durch ihre eigentümliche Form in Erscheinung. Das, was Erziehung formal ausmacht, ist ihre triadische Struktur, die besser bekannt ist als »Didaktisches Dreieck«. Wenn also von Erziehung gesprochen wird, dann hat man es formal mit einem triadischen Gebilde zu tun, das aus den Teilen »Erzieher«, »Zögling« und »Thema« besteht. In diesem Sinne kann auch nur dann von Erziehung gesprochen werden, wenn diese drei Teile kopräsent gegeben sind und strukturell aufeinander verweisen.
Das didaktische Dreieck geht auf den bereits zitierten Johann Friedrich Herbart zurück, der in seiner Replik auf Jachmanns Rezension der »Allgemeinen Pädagogik« aus dem Jahr 1814 feststellt:
»Und da die Ausbreitung der Kraft dadurch geschieht, dass man den Zöglingen eine Menge von Gegenstände darbietet, die ihn reizen und in Bewegung setzen, so muß, um die Aufgabe zu erfüllen, etwas Drittes zwischen Erzieher und Zögling in die Mitte gestellt werden als ein solches, womit dieser von jenem beschäftigt wird. So etwas heißt unterrichten (kursiv im Original). Das dritte ist der Gegenstand, worin (kursiv im Original) unterrichtet wird. Der hierher gehörige Teil der Erziehungslehre ist die Didaktik« (Herbart 1965, 262).
Diesem Verständnis nach kann nur dann begründet von Erziehung gesprochen werden, wenn mindestens zwei Personen über Themen miteinander in Kontakt treten, wobei der eine Themen vermittelt und der andere sich die Themen lernend aneignet bzw. aneignen soll. Das ist das, was mindestens gegeben sein muss, um überhaupt in einem ersten Schritt von Erziehung sprechen zu können. Hier wird freilich noch keine Aussage über »gute« und »schlechte« Erziehung oder über den Sinn und Unsinn der dargebotenen Themen getroffen, sondern zunächst nur Erziehung strukturformal bestimmt.
2.2 Operationen der Erziehung
Das didaktische Dreieck stellt also in strukturformaler Hinsicht einen Rahmen bereit, der es erlaubt zu bestimmen, wann überhaupt von Erziehung gesprochen werden kann und wann eben nicht. Allerdings ist die triadische Struktur der Erziehung eine notwendige, für die Erziehung aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung. Verweist die Struktur auf die Statik der Erziehung, so muss nun noch die Dynamik der Erziehung in den Blick genommen werden – das heißt, es gilt, den Rahmen, den das didaktische Dreieck konstituiert, gewissermaßen dynamisch auszukleiden.
Erziehung entsteht in der Koordination von zwei ganz grundsätzlich zu unterscheidenden Operationen, die sowohl aufeinander Bezug nehmen als auch durch den Bezug auf ein gemeinsames Thema zusammengehalten werden. Immer, wenn erzogen wird, finden wir nicht nur wenigstens zwei Akteure, deren Aufmerksamkeit sich auf ein gemeinsames Thema richtet, sondern immer auch spezifische Handlungsformen. Auf Seiten des Erziehers lässt sich immer eine Zeigegeste erkennen, die versucht, zunächst die Aufmerksamkeit des Zöglings zu gewinnen, um diese dann auf das Thema, das es zu zeigen gilt, zu lenken. Die Zeigeoperation und ihre theoretische und interventionspraktische Einbindung in die pädagogische Disziplin und Profession sind gemeinsam als die didaktische