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Sinne lassen sich zum einen ihrem Charakter nach in Nah- und Fernsinne unterteilen. So fällt das Sehen und das Hören unter die Kategorie »Fernsinne«, die anderen dann, also Schmecken, Tasten und Riechen, unter die Kategorie »Nahsinne«. Zum anderen werden sie ergänzt durch vier weitere Sinne, die sich auf die Körperwahrnehmung (Propriozeption), die Wahrnehmung der Temperatur (Thermorezeption) und des Gleichgewichts (vestibulärer Sinn) und auf die Wahrnehmung von Schmerz (Nozizeption) beziehen. Für alle Sinne gilt, dass sie zwar als biologische Reaktionsbereitschaft zur Verfügung stehen, in ihrer Funktionalität aber durch Verwendung erst ausgebildet werden müssen.

      Lerndimension Wissen

      Mit Bezug auf die Lerndimension Wissen gilt seit Platon, dass Wissen als wahre und gerechtfertigte Meinung aufzufassen ist: Wissen »ist mit Erklärung verbundene richtige Vorstellung« (Platon 2007, 237). Das heißt: Wissen hebt auf Kenntnisse ab, die sich einerseits durch einen hohen Grad an Gewissheit und damit durch Verbindlichkeit und Gültigkeit auszeichnen und die andererseits durch die Verfügbarkeit von Tatbestands- und Sachverhaltswissen in Erscheinung treten. Können die Fertigkeiten der Lerndimension des Könnens weitestgehend als ein »knowing how« bezeichnet werden, so zielen die Kenntnisse der Lerndimension des Wissens auf ein »knowing what«. Gemeint sind hier Kenntnisse, die in der Lage sind, die Welt zu erklären und damit auch verstehbar und handhabbar zu machen. Wissen zeichnet sich in diesem Verständnis in hohem Maße durch Reflexivität aus – eine Reflexivität, die sowohl in der Lage ist, Wissensbestände abrufbar zu gestalten, als auch diese zum Gegenstand des eigenen (Nach- und auch Vor-)Denkens zu machen. Wissen ist damit eng mit metakognitiven Prozessen verbunden und ermöglicht so, dass die zukünftige Lebenspraxis nicht allzu ungewiss bleiben muss. Es sind nämlich gerade die reflexiven Wissensbestände, die in der Lage sind, Gewissheiten zu formulieren, auf die sich dann moderne Errungenschaften bei ihrer Entwicklung stützen konnten und können. So wäre beispielsweise ohne das Wissen um Thermo- bzw. Aerodynamik, Statik, physikalische Mechanik und Informationstechnologien ein Flug in den Urlaub ebenso unmöglich wie ein Flug zum Mond, der Bau von Hochhäusern und Brücken oder das Surfen im Internet. Wissen zeichnet sich durch eine »Entweder-Oder-Logik« aus. Sind die Gesetze der Physik in der Lage, Rahmenbedingungen herzustellen, die einen tonnenschweren Gegenstand in der Luft oder über Wasser halten können? Ja oder Nein? Wir überlassen es üblicherweise nicht dem Zufall oder dem »Sowohl-als-auch-Prinzip«, wenn wir in ein Flugzeug steigen oder eine Kreuzfahrt unternehmen. Jedoch darf nicht unterschlagen werden, dass viele Gesetzmäßigkeiten, die heute als gültige Wissensbestände imponieren, durch Ausprobieren und durch die Tat entdeckt und in Ansätzen formuliert werden konnten. Doch es waren dann zumeist vorauslaufende Laborbedingungen, die den (technischen) Fortschritt ermöglicht haben.

      Lerndimension Wollen

      Die Lerndimension Wollen schließlich repräsentiert Haltungen und Einstellungen, die der Mensch ausbilden muss, um sein Wissen und Können sinn- und bedeutungsvoll mit Hinblick auf sich selbst, die Anderen und die Welt aktualisieren zu können. Die Entwicklung spezifischer Haltungen und Einstellungen zielt letztendlich auf die Herausbildung einer individuellen Lebensform. Zum einen trägt diese individuelle Lebensform den Menschen in seiner Existenz und, mit Paul Moor (1960) gesprochen, gibt ihm inneren Halt. Zum anderen ermöglicht sie die Stilisierung der eigenen Person unter Einbezug der jeweiligen Fertigkeiten und Kenntnisse. Im Grunde entsteht durch das Hinzutreten des Wollens etwas Drittes, das nicht einfach im Sinne einer Kompetenz den anderen beiden (Fertigkeiten und Kenntnisse) additiv hinzugefügt wird, sondern über die Summe der einzelnen Teile hinausreicht und erst so die Herausbildung einer Gesamtpersönlichkeit ermöglicht. Obwohl das Wollen als Element des pädagogischen Aufbaus der Person mit den psychologischen Persönlichkeitskonzepten hinsichtlich des Merkmals der Konsistenz übereinstimmt, geht das Wollen über die Beschreibung von Merkmalen hinaus. Spricht die Psychologie von Persönlichkeit als der Summe der Verhaltensweisen, mit denen ein Individuum charakteristischer Weise agiert und mit anderen Personen und Objekten in Interaktion tritt (vgl. Zimbardo 1983), so umfassen die Charaktererziehung (vgl. Kerschensteiner 1923) und die Persönlichkeitspädagogik (vgl. Gaudig 1923) auch die Frage danach, wie sich der Mensch verhalten sollte und verweisen damit auch auf eine normative Dimension des Erlernens von spezifischen Willenseinstellungen. Der hier anklingende Tatbestand bezieht sich auf die Notwendigkeit einer Erziehung und Bildung der Seele und ist für die Pädagogik im Grunde auch nichts Neues (vgl. Niemeyer 1970/1797). Ausdrücklich hat sich 1811 Vinzenz Eduard Milde (1965) in seinem »Lehrbuch der allgemeinen Erziehungskunde« für die Bildung der Gefühle und des Begehrungsvermögens ausgesprochen, und Alexander Mitscherlich stellt fest: »Die Kultur der Affekte ist das eigentlich schwerste Bildungsziel« (Mitscherlich 2003, 34). Darüber hinaus zählen zu der Lerndimension Wollen auch die Elemente, die der Schweizer Pädagoge Peter Schmid mit Blick auf eine pädagogisch-anthropologische Begründung von Verhaltensstörungen als relevant erachtet (Schmid 1985): die Bereiche des Antriebs, der Beziehungen, des Willens, der Werte, der Affekte, der Stimmungen und des Erlebens. Auf den Punkt gebracht ist festzuhalten, dass sich die Erziehungsbedürftigkeit des Menschen nicht nur auf den Erwerb von Fertigkeiten und Kenntnissen bezieht, sondern auch und besonders auf die seelische Verfassung. Denn wie bei fast allen Funktionsbereichen des Menschen liegen auch im Bereich des Wollens zwar biologisch verankerte Dispositionen und Reaktionsbereitschaften vor, die sich jedoch nicht entsprechend eines Reifungsmodells ungehindert und gemäß einer genetischen Vorgabe entfalten, sondern sich im Grunde durch spezifische (Erziehung) und durch unspezifische (Sozialisation) äußere Einflüsse ausbilden bzw. ausbilden lassen.

      2.3 Ziel der Erziehung

      Erziehung gibt sich als eine Notwendigkeit zu erkennen. Sie antwortet auf den Tatbestand der Erziehungsbedürftigkeit des Menschen, knüpft an dessen Bildsamkeit an und ermöglicht Lernprozesse in unterschiedlichen Lerndimensionen und in verschiedenen Lebensaltern, die letztendlich ganz unspektakulär dazu führen sollen, »die Probleme der Wirklichkeit selbst zu bewältigen« (Heitger 1961, 111). Sicherlich ist hier noch nichts darüber gesagt, wie die Probleme der Wirklichkeit bewältigt werden können. Reicht es aus, einfach genügend entsprechend funktionale Kompetenzen additiv und spezifisch auf die jeweiligen, im Laufe des Lebens sich stellenden Herausforderungen zu erwerben – im Sinne: Neue Herausforderung/neue Kompetenz? Oder zielen wir mit der Erziehung auf die so genannte Bildung, die letztendlich das schnöde Geschäft der Erziehung, die mitunter auch als Zumutung aufgefasst wird, adelt und den Menschen zum Wahren, Schönen und Guten emporbildet? Ziel der Erziehung, um noch einmal auf Wolfgang Sünkel (2011) zurückzukommen, ist die Vermittlung von Tätigkeitsdispositionen. Hierzu gehören Fertigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen und Haltungen, die sich beim Menschen nicht als Ergebnis genetisch vorgegebener Reifungsprozesse ergeben, sondern durch Lernen erworben werden müssen. Diese zu erwerbenden Tätigkeitsdispositionen werden als geeignet und brauchbar angesehen, um das eigene Leben führen zu können, also die Probleme der Welt, wie Marian Heitger sagt, selbst bewältigen zu können. Zwar kommt diese Auffassung ohne »die üblichen Pathosformeln« (Prange 2010, 23) aus, doch bleibt der Verweis auf die Funktionalität etwas blass und blutleer. Es scheint so zu sein, dass die funktionalistische Zieldimension um eine ethisch-moralische Zieldimension erweitert werden muss. In diesem Sinne können wir das Ziel der Erziehung probeweise auch darin sehen, ein Leben in personaler Selbstbestimmung führen zu können. Dieser Begriff erweitert nun die Operationen von Zeigen/Vermitteln und Lernen/Aneignen um eine ethisch-moralische Perspektive. Personale Selbstbestimmung meint zunächst nicht Selbstverwirklichung, die es gewissermaßen auf größtmögliche (Gewinn-)Maximierung der eigenen Vorteile abgesehen hat und die ihrem Wesen nach nicht selten selbstbezogen in Erscheinung tritt. Gedacht ist hier also nicht an den so genannten »Amerikanischen Traum«, demzufolge »jeder seines Glückes Schmied« ist und mit Erfolg belohnt wird, wenn er sich nur gut genug anstrengt. Selbstverwirklichung mag dann gut klingen, wenn das Leben überwiegend als Erfolgsgeschichte geschrieben werden kann. Problematisch wird die selbstbezogene Selbstverwirklichung dann, wenn das Leben strauchelt, in die Krise gerät oder gar vom Scheitern bedroht ist. Dann entsteht nicht selten der Eindruck, man sei für diese Misere selbst verantwortlich. Wenn alles im Leben auf Selbstverwirklichung gesetzt ist, kann Misserfolg einsam machen und Verzweiflung hervorrufen – ganz zu schweigen von den Zeitgenossen, die das Mantra der Selbstverwirklichung teilen

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