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Träume der Ellen Stein. Georg Hermann
Читать онлайн.Название Träume der Ellen Stein
Год выпуска 0
isbn 9788711517253
Автор произведения Georg Hermann
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
„Ach“ — meint Johanna, und streicht dabei, wie sie das in Zesternik bei Bukow gewohnt einst war, — das aber war ihr seit Jahrzehnten nicht abzugewöhnen! — an der Stiefelsohle ein Schwefelholz an, das sie aus der Schürzentasche nimmt, und beginnt die Kerzen in den Girandolen anzuzünden. „Ach die, die sind überhaupt fortgegangen. Gross in Gala ... Sie mit ’n Chinchilla bis uff de Erde. Ordentlich nachgeschleppt hat er ihr. Aber mich uff de Treppe etwa grüssen, oder dir de Miete bezahlen, des tun se nich; dazu sind sie (sie zog das Wort wie eine Zuckerstange ... gerade solange, wie draussen die Glocke schrillte) sin’ se ville zu fein und zu vornehm.“
Das Wort „vornehm“ aber ist schon nicht mehr ganz verständlich, denn Johanna spricht es, während sie das elektrische Licht ausknipste, in den Korridor hinein. Das Zimmer aber bekommt in dem milden Gold der Kerzen — auch auf der Etagere sind sie angezündet — einen Hauch von ehedem, wird wirklich sehr warm und einladend und von einer fast patrizierhaften, wenn auch ganz leicht spiesserlichen Vornehmheit.
Ellen Stein geht aber noch einmal an den gedeckten Tisch und sagt absichtlich, während sie die Blicke noch einmal über die Dinge da unter ihr kritisch wandern lässt — so wie ein Feldwebel eine Kompagnie noch ein letztesmal abschreitet vor der Abnahme durch den Herrn Hauptmann, innerlich fluchend, weil jetzt nichts mehr zu ändern ist: ja, und wer bekommt den Tratsch — natürlich nur er! — sagt also dabei ganz laut für sich, aber für jene da draussen bestimmt (vielleicht hört sie es doch mal!): „Wenn man das alte Biest doch nur auf irgendeine anständige Art los würde,“ und dann legt sie ihr Gesicht in die freundlichen Falten, mit dem man einem Besuch, und wie erst dem allerersten, halboffiziellen Besuch eines jungen Brautpaares, entgegengeht.
III. Das Brautpaar
Johanna aber geleitet die beiden herein, als ob sie die Brautmutter wäre, und strahlt dabei Ruth mit kleinen Augen seitlich an, und sagt nichts wie: „Na, Rüthchen, ich gratuliere, du hast dir aber een hübschen Mann ausgesucht.“
„Johanna wir klingeln dann“ (so etwas fehlte ihr noch!), sagt Ellen sehr leise, aber mit einer schneidenden Unliebenswürdigkeit.
Und Johanna wirft Ruth einen Blick zu: ‚Also so behandelt man hier einen Menschen von meinem Verdienst‘, und entschwindet wie weiland Doktor Mirakel durch die Tapetentür. Ruth aber geht mit einer Mischung von Ironie und Zärtlichkeit in den lächelnden Zügen auf ihre Tante zu, während jener schlanke und überaus gut gekleidete, duftende und beringte junge Mann, den sie mitgebracht hat, und der die brünette Schönheit eines südfranzösischen Weinreisenden hat, auf die Frauen immer hereinfallen, und die nur viel Verpackung und kein Inhalt ist, zum mindesten kein nennenswerter (man denkt nur Wunder was!) ... während der auf halbem Wege, etwas scheu und lächelnd, denn dieser Besuch ist gefährlich, das fühlt er, und kann nicht ohne ernste Folgen für sein Leben sein (er weiss, hier sind Widerstände zu überwinden), scheu, aber mit seinem Lächeln Nummer eins — für sehr komplizierte Situationen! — etwas hinter Ruth zurückbleibt. Er hat sich auch vorgenommen, diesen Abend sehr wenig zu sprechen (denn es ist ihm bekannt, dass dieses ältere Fräulein überaus gescheit und vielwissend ist), und nur seine Person wirken zu lassen, und etwa nicht den Eindruck eben dieser fahrlässig zu zerstören.
Ruth aber ist wirklich auffallend hübsch und gross für ihre neunzehn Jahre. Sie hat sich sehr gut für heute abend, aber nicht besonders angezogen. Denn sie weiss genau, dass das eine die Tante Ellen liebt und das andere hasst. Also nur ein kleines Abendkleidchen, ein doppeltes Diminutiv einer Bescheidenheit, die viel Geld kostet. Sie ist glänzend gebobbt, und nicht einmal das Monokel verbirgt ihren Mangel an Dummheit, oder nimmt ihrem klaren Gesicht den Zug von Drollerie. Weil’s andere machen, schminkt sie sich auch, und zieht etwas die Lippen nach, ohne dass es ihr bisher, trotz aller Mühe, gelungen ist, die natürliche Frische ihrer Farben zu verderben, für die Tennis und Hockey und in letzter Zeit ihre Bemühungen auf dem Golfplatz, die der Steuerstufe der Eltern auch mehr entsprechen — denn das andere ist ja fast schon proletarisch geworden! — immer wieder täglich und von neuem sorgen. Mit Bildung hat sie nicht viel vor; aber nicht etwa, weil es ihr an Begabung mangelt — sie war eine Musterschülerin —, sondern, weil sie Gewesenes nicht interessiert. Sie nennt gern Bücher alte Schwarten, und die Museen Räucherkammern für Schinken; denn sie ist stolz darauf, ganz im Heute zu leben. Malerei fängt bei ihr bei van Dongen und Otto Dix an und hört gleich dahinter auf. Doch geht sie ins Theater, weil das mühelos ist, und liebt den Sportpalast und das Sechstagerennen. An all diesen Stätten ist sie wie zu Hause, kennt jeden Kulissenklatsch, duzt sich mit Prominenten beiderlei Geschlechts. In ihren Erzählungen aber treten sie nur mit Vornamen auf, und sie ist entsetzt, wenn zum Beispiel Tante Ellen nicht ahnt, wer mit Gustav, Max oder Elisabeth gemeint ist, ob ein Boxer, eine Freistilschwimmerin oder eine erste Liebhaberin. In Automarken oder in Barmischungen wird ihr so leicht keiner etwas vormachen. Den Eifer ihrer Altersgenossen für Politik teilt sie nicht. Auch hat der Zionismus stets umsonst bei ihr angeklopft, wenn er auch bei manchen Freundinnen ihrer Kreise zum guten Ton gehört. Solange ihre Eltern noch reich genug sind (und das sind sie durchaus), ist die Politik die rechte, und das andere eine unnütze Verschwendung seelischer Kräfte. Trotzdem soll man sie nicht etwa unterschätzen und für lebensschwach nehmen. Sie würde, gezwungen, sich selbst zu erhalten, sich jederzeit in der schwierigen Welt mit Sicherheit und Ellenbogenkraft zurechtfinden. Bislang aber hat sie es noch nicht nötig. Natürlich ist sie beneidenswert gesund, und deshalb markiert sie auch nicht die Perverse oder die Halbweltdame, denn sie weiss, dass ihr das nicht stehen würde, sondern einfach das ewig lächelnde Chorgirl. Und wie jenes, hat sie auch Tanzen zu einer Funktion ihres Daseins gemacht. Am liebsten aber tanzt sie — wie sie gern behauptet — ihren Eltern auf der Nase herum. Auch dass ihr diese Verlobung so einfach konzessioniert worden ist, trotz einiger Bedenken, findet sie totschick, und ein Beweis, wie sie — doch Tante Ellen ist hierüber durchaus anderer Meinung! — ihre Eltern sich gezogen hat. Und deshalb sieht sie — alles in allem —, diese Ruth Bergheim, wie sie hier steht, äusserlich und innerlich genau so aus, wie tausend sehr hübscher junger Mädchen aus den reichen Häusern heute aussehen. Ruth erhebt also, sich aufreckend, ihre hübsche, schlanke und sportfeste Hand mit vorgekehrter Handfläche bis zum Kronleuchter, — sie grüsst neuerdings nur nach Faszistenart — und ruft „Ala Ala Alalah, wir sind erschienen, Tante Ellen“.
Als sie aber bemerkt, dass Fred etwas hinter ihr zurückgeblieben ist, wendet sie sich um, packt ihn am Handgelenk und zieht ihn vor, so wie die Schauspieler auf der Bühne den Autor zur Verbeugung an die Rampe zerren.
Wie gesagt, Doktor Fred Meirowitz ist ein hübscher, schlanker, auf Taille gearbeiteter Bursche, und man sieht ihm an, dass er eigentlich ganz gut befähigt ist. Und wenn er das auch nicht sein sollte, er wird aus vielen Gründen schon als Arzt sein Glück machen. Die Patientinnen in dem Sanatorium, in dem er, weil sein zukünftiger Schwiegervater da mit Geld an der Sache interessiert ist, nunmehr zweiter Assistent ist, sollen sehr eingenommen von ihm sein; was so die Psychoanalyse Fixierung an den Arzt nennt. Da er aber ein leichtsinniger Hund dabei ist (vielleicht gar kein schlechter Kerl, aber eine Jeuratte), und da er früh gelernt hat, von Frauen Vorteile zu haben — weiss der Teufel, wie er so früh in eine gute Gesellschaft hineinkam, in die er eigentlich nicht hineingehörte! — so ist ihm bislang eben noch nicht viel Zeit geblieben, seine ärztlichen Kenntnisse auszubauen.
Aber hat keinen Grund, diesen negativen Seiten seines Wesens böse zu sein. Denn ihnen dankt er alles, was er bisher in seinen acht- oder neunundzwanzig Jahren erreicht hat ... einschliesslich dieser Verlobung, die ihn, so sie wirklich zu einer Heirat führt (was ja heute nie so sicher), in eine Sphäre absoluter Lebenssicherheit führen wird, der er je anzugehören, nicht einmal zu träumen gewagt hat. Jedenfalls vermeidet er es daraufhin schon seit Jahren, an seine Herkunft sich zu erinnern. Also ... und wenn er wie ein Kuli geschuftet hätte, und begabt wie ein Virchow gewesen wäre, mehr hätte er auch nicht erreicht — aber weniger.
Aber während sich Fred noch verbeugt und noch verlegen — er weiss, das steht ihm — „Guten Abend, gnädiges Fräulein“ sagt, ruft schon Ruth: „Nun, wie gefällt er dir, Tante!?“
„Das werde ich dir nachher unter vier