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Träume der Ellen Stein. Georg Hermann
Читать онлайн.Название Träume der Ellen Stein
Год выпуска 0
isbn 9788711517253
Автор произведения Georg Hermann
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Die einzige Konzession, die dieser Salon von einst an die Gegenwart machte, war die Zentralheizung und das Tischtelephon, das sich aber auf einem Seitentisch vor dem Sofa zwischen allerhand Whistkästen und geschnitzten Reiseandenken aus Olivenholz und Perlmutter verbarg, weil es wusste, man würde es schon finden, wenn es um Hilfe schrie. Und die Zentralheizung hatte sich ebenso in eine Art von durchbrochenem schwarzen Schrank versteckt. Nur die Intimen des Hauses, und das waren ausser Johanna und Ruth nicht viele, wussten, dass weiter die beiden hohen Petroleumlampen mit den gemalten Porzellanbecken und den gemalten Glasschirmen und den vergoldeten Bronzefüssen mit Bronzegriffen und Ketten (wozu?!), die aus Paris stammten, und denen einst nachgerühmt wurde, dass die Kaiserin Eugenie in ihren Privatgemächern die gleichen gehabt hätte, nicht mehr von der Marmorplatte des Trumeaus weggeräumt werden konnten, weil sie nämlich für Elektrizität angeschlossen und dort festmontiert waren.
Man muss nebenbei nicht glauben, dass sie, Ellen Stein, diese Lampen besonders schön fand oder sich über die Palisandermöbel des Salons irgendwelchen falschen Vorstellungen hingab ... Gewiss, sie waren so das beste, was sich wohlhabende Leute vor sechzig und fünfzig Jahren als das Neueste und Modernste anschafften, aber sie waren trotzdem das Schlimmste, das damals seit vierhundert Jahren gemacht worden war, sofern man nicht an das dabei denken wollte, was nachher kam. Mit den Jahrzehnten aber hatten sie die Patina von Behaglichkeit bekommen, ebenso wie Mutters Nähtisch mit Troddeln, der wie neu war, da Madame Stein in dreissig Jahren nie eine Nadel in die Hand genommen hatte, und da ihre Tochter die Pietät soweit getrieben hatte, dass sie es auch in den folgenden fünfzehn Jahren nicht tat. Selbst das vergoldete Stühlchen, das mit dem Nähtisch verheiratet war, und dessen Vergoldung nirgends an Glanz eingebüsst hatte, weil niemand auf seine Zierlichkeit sich je zu setzen gewagt hatte, schien hier am Platze. Die Polsterstühle hingegen luden gerade dazu ein, und sie gleichen einer freundlichen, alten Kinderfrau, die gewiss keine Schönheit ist, aber bei der man sich geborgen fühlt. Nur dass eine Kinderfrau keine weiten Seidenkleider trägt mit vielen Falten und Knöpfen und einem Volant von Quasten. Auch würde Ellen Stein nie eine Alabasterschale sich hinstellen, auch wenn in ihr Früchte aus Gummipapier lägen, oder in Vasen künstliche Blumen mehr dulden. Und noch weniger würde sie etwa grosse Photographien von gleichgültigen Leuten sich hinhängen mit geschnitzten Holzrahmen aus Ranken und Blüten von Gartenwinden, nur weil die Urbilder vorgaben, mit ihr verwandt zu sein. Sogar über den künstlerischen Reiz der ovalen Ölbilder in ihren Goldrahmen gab sie sich keiner Täuschung hin. Diese Herren mit den flatternden Habsburger Koteletten, und jene mit der Fliege und dem dicken gedrehten Schnurrbart, wie man es heute nur bei Stallmeistern im Zirkus noch findet, waren doch menschlich gleichgültig, und nur dadurch belustigend, dass man heute eben nicht mehr so aussah ... wie vor sechzig Jahren und mehr man ausgesehen hatte, wenn man bekannt dafür war, der „schöne Mann“ zu sein. Aber ihre Frauen waren damals weicher und vor allem frauenhafter, als die heute ... mit einem verschleierten Blick der Augen unter sich senkenden Wimpern und mit einem Silberschimmer des Nackens, der mit einer leichten Drehung aus einem schwarzen Kantenschal emporwuchs. Man fühlte, dass der Maler sie verehrt und nicht nur begehrt hatte.
Man kann nicht sagen, dass Ellen Stein an allen diesen Dingen sehr hing, nur weil sie zwischen ihnen aufgewachsen war. Sie hatte vielmehr das Gefühl, man müsse ihnen Asylrecht geben, solange es ginge, und sie dürften nicht auf dem Trödel verkommen; und da niemand nachher da wäre, die Dinge zu pflegen, so wollte sie wenigstens die Dinge pflegen, solange sie da war. Das war alles! Ihre Schwester hatte doch für so etwas nichts übrig. Hatte, wie alle Menschen, die nicht wissen, wie reich sie sind, nur mit sich zu tun, und war doch heute nur noch eine Daseinsschauspielerin, über die die Welt, und vor allem die Männer — und ihr Geschmack war darin sehr jung geblieben! — sich endlich doch nur lustig machten, weil sie nicht in ein anderes Fach übergehen wollte; wollte doch immer noch die erste Liebhaberin spielen, statt der Salonschlange, die man noch vielleicht hätte gelten lassen, mit dem Hinweis, dass sie eigentlich eine vorzügliche komische Alte abgäbe. Also wer sollte all das zusammenhalten, wenn sie es nicht täte?! Sie hatte lange mit sich gekämpft, ob sie nicht wenigstens die Geschenke von der silbernen Hochzeit verschwinden lassen sollte, die Widmungen trugen und Jahreszahlen, wie Sportpreise ... riesige Porzellankaskaden von Tafelaufsätzen, die man eigens in der königlichen Manufaktur für sie hatte entwerfen und malen lassen — also Unika an Scheusslichkeit — und die Mutter so stolz oben auf den Silberschrank gestellt hatte. Ach was, die Eltern hatten sich damit gefreut — sollten sie stehenbleiben! — — —
Doch als Ellen Stein — sie legte gerade eine himmelblaue Teetischdecke auf, zum fünftenmal ihren Schlachtruf „Johanna“ ausstiess, und mehr für sich, weil leise, ein „Herrgott noch mal, wo bleiben Sie denn?“ ihm folgen liess, da war Johanna plötzlich da; war wie Doktor Mirakel aus einer Tapetentür gekommen. Sie war wie ein Wesen einer heute fast ausgestorbenen Rasse. Weisshaarig, schwerfällig, von mächtigen Körperformen, scheinbar treuherzig und dabei sehr bauernschlau. Bald fünfzig Jahre Grossstadt und mehr hatten nichts an ihr gemodelt und geändert oder ihrem Charakter eine andere Färbung gegeben. Noch heute ist sie ganz Berechnung und voller Hinterhalt. Hat aber, denn sie ist klug in solchen Dingen, eingesehen, dass es besser ist, sich zu verstellen, und verschanzt sich also, wenn es nicht anders geht, hinter Schwerhörigkeit und Kurzsichtigkeit, die sie sonst kaum stören. Treuherzig duzt sie alle Familienmitglieder, und auch dass jene mit Betonung „Sie“ seit Jahren zu ihr sagen, scheint sie zu überhören, oder als schuldigen Tribut für ihr würdiges Alter zu betrachten.
Ellen Stein war es unangenehm gewesen, als Johanna nicht da war; aber nun merkt man es ihr an, dass es ihr noch unangenehmer ist, dass sie jetzt gekommen ist.
Aber Johanna hat eine feine Nase für so etwas. „Na, wat schreisten so, Ellen,“ sagt sie talig, kindisch und gutmütig. „Ick bin ja schon da, mein Kind. Eben bin ick erst mit Fifin ’raufgekommen.“
Aber gerade das ist der Ton, den Ellen Stein am wenigsten in diesem Augenblick brauchen kann. „Warum ist denn noch nicht mal hier gedeckt?“
„Ja ich wusste eben nicht, ob du ins Esszimmer oder im Salon nachher bleiben willst. Und wie ich’s da gemacht hätte, wär es dir nicht recht gewesen.“
Sie wird immer eine Ausrede haben, denkt Ellen Stein. Hatte sie nicht dreimal gesagt, dass sie hier decken sollte?! Aber das wird nicht anders mehr. Also wechseln wir den Gesprächsstoff. „Ist denn Fifi wenigstens im Körbchen? Wenn nicht, sperren Sie ihn ja in die Küche ein. Und haben Sie Lorchen auch fest zugedeckt, Johanna?“ — Ellen Stein betont das Sie, trotzdem sie weiss, dass es nichts nützt. „Sonst stört er uns nachher wieder.“ —
Johanna aber wird von einer geradezu schlammigen Ruhe und sieht Ellen freundlich aus kleinen, wie verschlafenen Augen an. „Entweder hat man solch Tierchen,“ sagt sie orakelnd und feierlich, „oder man hat es nich. Wenn man’s aber hat, muss man’s nehmen, wie’s is. Andere Papajeien schreien noch ville mehr.“
Ellen seufzt leise auf. Gegen diese Bauernzähigkeit ist sie wehrlos. „Salzmandeln,“ sagt sie, und schüttet den Inhalt der Tüten in kleine Schälchen. „Ingwer, bittere Schokolade ... Lindt ... Hoppjes ... Mandarinen ... petits fours ... Datteln! Wo sind denn die kandierten Weichselkirschen? Ach da!“
Johanna steht dabei, die Hände über der weissen Schürze auf den Bauch gefaltet und sieht ihr, ohne sich zu rühren, zu. Das ist ihre Taktik, wenn Ellen arbeitet. Ihre Regel lautet: ich tue entweder alles selbst ... oder ich tue gar nichts.
Heute aber scheint diese Taktik bei Ellen nicht angebracht, das merkt Johanna an dem Ton, mit dem jetzt die Fragen so ganz kurz wie Steinwürfe ihr rechts und links um die Ohren fliegen. „Sind auch die Brötchen fertig, Johanna? Sind die Käsestangen gekommen, Johanna?“ (Sie hat gar nicht Zeit zu antworten, kaum zu nicken.) „Geben Sie mal die vier Schälchen aus dem Silberschrank und die beiden grossen Körbe. Und die Leuchter. Aber die von den Grosseltern van Leuwen. Sind die Wachskerzen noch lang genug? Sonst stecken Sie neue auf.“
„Die jnädige Frau hat das nie jern gesehen,