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allerdings gewagt, mir dies als möglich zu denken!«

      »Dann bedaure ich sehr! Man geht ungern auf Gottesäcker; bei solchen Veranlassungen nun ganz und gar nicht!«

      »Ich hatte das Gegentheil gehofft.«

      »Gehofft? Haben Sie einen Grund dazu?«

      »Ja. Es wurde erwartet, daß, wenn nichts auf den Gefangenen einwirken werde, doch der plötzliche und unerwartete Anblick Fräulein von Hellenbach's –«

      »Unsinn!« fiel der Oberst ein.

      Er stand im Begriff, eine kleine Strafpredigt zu beginnen; aber der Fürst legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und sagte:

      »Bitte, bitte, Oberst! Seien wir mehr objectiv als subjectiv! Ich habe alle Veranlassung, dem Herrn Assessor beizustimmen!«

      »Wie? Was? Ich soll nach dem Kirchhofe?«

      »Ja.«

      »Mit meiner Frau?«

      »Vielleicht.«

      »Und mit meiner Tochter?«

      »Die Anwesenheit von Fräulein Fanny ist die Hauptsache.«

      »Durchlaucht, ich gehe nicht!«

      »Das ist zu bedauern!«

      »Meine Frau auch nicht.«

      Der Fürst zuckte die Achseln.

      »Und Fanny am Allerwenigsten! Man gehört nicht zu den Leuten, welche einer jeden Leiche nachlaufen!«

      Der Oberst war ärgerlicher, als er sich merken ließ. Er hatte allerdings sehr Recht; dennoch aber sagte der Fürst:

      »Ich möchte fast behaupten, daß Fräulein Fanny die Bitte des Herrn Assessors erfüllen wird.«

      »Ich würde es ihr verbieten. Ich halte es unter meiner Würde –«

      Der Fürst machte eine beschwichtigende Handbewegung und fragte:

      »Würden Sie Ihr Verbot aufrecht erhalten, Herr von Hellenbach, selbst wenn ich sage, daß ich kommen werde, um das gnädige Fräulein abzuholen?«

      »Sie? Sie wollen auch mit?«

      »Ja.«

      »Durchlaucht!«

      »Ganz gewiß!«

      »Sie erlauben, daß ich das nicht begreife.«

      »Nun, so sehe ich mich gezwungen, von Dem zu sprechen, was ich erst morgen dem Herrn Assessor mittheilen wollte. Gnädiges Fräulein, können Sie sich der Worte entsinnen, welche ich aussprach, nachdem Sie mir die ›Nacht des Südens‹ vorgelesen hatten?«

      »Ja, Durchlaucht,« antwortete Fanny, leise erröthend.

      »Ich sagte, daß es ganz so sei, als ob Sie dem Dichter zu diesem Bilde gesessen hätten. Und jetzt habe ich erkannt, daß es wirklich so ist. Diese Nacht des Südens sind Sie!«

      Sie blickte ihn befremdet an. Er lächelte und fuhr fort:

      »Ich fand im Buchladen bei Zimmermann einen jungen Menschen, welcher vor Hunger kaum stehen konnte, und öffnete ihm meine Börse. Ich hörte, daß er für Zimmermann einen Band Gedichte geschrieben habe, und daß er Robert Bertram heiße und Wasserstraße Nummer Elf wohne. Das Letztere war mir entfallen, kehrte aber vorhin in mein Gedächtniß zurück. Da drüben an dem Fenster der ärmlichen Wohnung hat ein junger Mensch Abend für Abend gestanden, das Auge herüber auf dieses Haus gerichtet. Da hat es ein erleuchtetes Fenster gegeben, in dessen Rahmen zuweilen ein Frauenbild erschienen ist, so schön, so wunderbar, so entzückend! Es ist ihm gewesen, als sei eine Fee aus dem Märchenreiche erschienen oder ein Engel vom Himmel gestiegen. Er, drüben in der Mansarde, so arm, so elend, wie er ja singt in dem Liede, welches Sie selbst componirten:

      ›Es rauscht der Bach am Felsenspalt

      Sein melancholisch Lied.

      Hier ist's so eng; hier ist's so kalt,

      Wo nie der Nebel flieht!‹

      Und sie, da drüben, von Glanz und Reichthum umgeben. Er hat gewußt, wie hoch sie über ihm steht; aber die Sonne leuchtet auch dem Wurme, und er hat sie angebetet, wie der Parse die herrliche Königin des Tages anbetet. Die Erde hat ihn vernachlässigt; die Menschen haben ihn nicht bemerkt und beobachtet; das Leben ist hart und grausam gegen ihn gewesen; aber Gott hat ihm den Gesang verliehen, und als ihm das Herz zerspringen wollte vor Bewunderung und Verehrung des schier übernatürlichen Wesens, dessen Gestalt er täglich im Rahmen des Fensters erblickte, da hat er seinen letzten Pfennig für Papier ausgegeben und jenes unvergleichliche, hinreißende Gemälde gezeichnet:

      ›In ihren dunklen Locken blühn

      Der Erde düftereiche Lieder;

      Aus ungemess'nen Fernen glühn

      Des Kreuzes Funken auf sie nieder,

      Und traumbewegte Wogen sprühn

      Der Sterne goldne Opfer wieder.

      Und bricht der junge Tag heran,

      Die Tausendäugige zu finden,

      Läßt sie das leuchtende Gespann

      Sich durch purpurne Thore winden,

      Sein Angesicht zu schau'n und dann

      Im fernen Westen zu verschwinden.‹

      So hat er auch drüben gestanden und nach diesem Fenster herüber geblickt am Abende des Einbruches. Er hat den Verbrecher bemerkt und ist herüber gestürzt, die Herrliche zu retten. Der Lohn ist ihm dafür geworden: Er liegt im Kerker, gefangen, gefesselt, mit irrem Geiste. Er hat die ›Nacht des Südens‹, die unvergleichliche, gedichtet und ist in die gräßliche Nacht des Wahnsinns gefallen!«

      Er hatte still, fast leise gesprochen; aber sein Auge leuchtete und seine Lippen bebten dabei. Fanny hatte ihm wortlos zugehört; sie war bleicher und bleicher geworden. Zuletzt hatte sie die Hand auf die Lehne des Stuhles gelegt, und jetzt sank sie auf den Sitz nieder, still, wortlos. Sie hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und bewegte sich nicht.

      »Fanny, Fanny! Mein Kind!« rief ihre Mutter, indem sie herbeieilte und den Arm um sie schlang.

      »Fanny, Mädchen! Was hast Du?« fragte der besorgte Vater.

      Sie antwortete nicht; aber bald nahm sie die Hände weg; ihr Gesicht war blutleer; ihre dunklen Augen starrten unter dem Eindruck ihrer tief inneren Bewegung zu dem Fürsten empor, und fast tonlos fragte sie:

      »Durchlaucht, ist es wahr?«

      »Ich vermuthe es.«

      »Er ist Hadschi Omanah?«

      »Ja.«

      »Gott, mein Gott!«

      Jetzt löste sich der Druck von ihrer Brust; sie fiel in ein bitteres, herzbrechendes Schluchzen. Niemand störte sie; man ließ sie gewähren. Endlich bat sie mit zitternder Stimme:

      »Sprechen Sie weiter!«

      Der Assessor war den Worten des Fürsten mit vollster Aufmerksamkeit gefolgt. Es wurde ihm klar, was dieser meinte; er war voller Bewunderung über den Scharfsinn dieses seltsamen Mannes; er wendete sich zu ihm und bemerkte:

      »Eigenthümlich! Es hat sich als einziges Eigenthum des Gefangenen der Band von Hadschi Omanah vorgefunden, und zwar mit Randbemerkungen, deren Geistesreichthum mich erstaunen ließ.«

      »Ein neuer Beweis, daß ich Recht habe.«

      »Aber, Durchlaucht, wie kommen Sie zu dieser Sicherheit der Ueberzeugung, daß Bertram der Dichter jener Lieder ist?«

      »Aus drei Gründen. Erstens, weil er mir sagte, daß er für Zimmermann einen Band Gedichte geschrieben habe.«

      »Zweitens?«

      »Die Persönlichkeit Fräulein Fanny's, auf welche allein sich

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