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verfehlten. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm vernommen. Auch Börne war auf dem Lande.

      277. Philarète Chasles114

      Herbst 1834?

      Als ich ihn zum zweiten Male sah, wie herrlich, wie strahlend erschien er mir da, wie siegend mitten unter den Pariser Schöngeistern! Aber er war noch ganz wie damals: auch jetzt fiel das lange, blonde Haar an Wangen nieder, blühend wie Engelswangen auf einem spanischen Heiligenbilde, auch jetzt blickte hinter der strotzenden Fülle eine gewisse Kränklichkeit hervor. Wenn diese blauen, germanischen Augen mit dem Munde lachten, dem ein Epigramm entfiel, so drängte sich einem die Wehmut in so köstlicher Laune schmerzlich auf, man sah, diese üppige Blüte war siech, und dieser Scherz war ein melancholischer Scherz...

      278. August Traxel135

      Ende 1834

      ... Ein geistreicher Franzose, der Heine genau kennt, versichert, daß Heine sich nach Deutschland sehnt. Sagen wird er dies wohl nicht, denn er machte demselben Freunde seine Vorliebe für Deutschland zum Vorwurf. Aber die Symptome zeigen sich gewiß; denn ein freiwilliges Exil par dépit trägt sich oft schwerer als ein wirkliches Verhängnis. Was soll auch der deutsche Schriftsteller in Paris? Die französischen Romantiker zeigen ihm ja täglich, wie man Buchstaben zu Gold macht und wo ihn selbst der Schuh drückt...

      279. Ernestine Goldstücker, geb. Zadig90

      Januar 1835

      [Ernestine Goldstücker an Helmina v. Chezy, Paris, Jan. 1835:] ... Alles duftet um mich herum, Blumen, Poesie, Rückerinnerung, alles lächelt mich freundlich an, das danke ich Ihnen! Daß ich diese Nacht wachend träumte und träumend wachte, und liebliche frohe Bilder mich dabei umgaukelten – das danke ich Ihnen! Daß ich Sie las und mich freute, Heine hörte und bewunderte, das danke ich Ihnen!... Sie halte ich fest! Wie aber fange ich Durstige es an, mich an Heines silberklarem, übersprudelndem Geistesquell zu erlaben?... Liebe, Gute, bieten Sie alles auf, was Ihnen Natur so reich an Witz und Liebenswürdigkeit verlieh – locken Sie – versprechen Sie (Ihnen glaubt er eher als mir, und da hat er ganz recht), lassen Sie alle Minen springen, führen Sie Heine zu mir! So gewissenlos bin ich, daß ich mir kein Gewissen daraus mache ihn coute que coute, selbst listig, zu erfassen – und, einmal erfaßt, ihn künstlich festzuhalten versuchen werde...

      N. S. Zeigen Sie nicht, ich bitte, an Heine den Brief – Ihnen erlaube ich coquette mit ihm zu sein – mir verbiete ich es – ich kenne den liebenswürdigen Mann allzuviel, den nachsichtigen Mann allzuwenig – ich bin Frau! Warum nennt sich Heine nicht hain? Er erinnert daran – wie aber sollen die Franzosen es anfangen, ihn richtig – auszusprechen? Ohne Apostrophe müssen sie haim sagen und mit – aimé.

      [Ernestine Goldstücker war die Frau eines Spekulanten und Kaufmanns; sie lebte später, fromm geworden, in Paris, wo ihre Tochter Jeannette, verheiratete Lozaouis, als französische Schriftstellerin dilettierte. Heines Verkehr mit Helmina v. Chezy beweist sein Brief an sie vom 9. Januar 1835.]

      280. Philarète Chasles209

      15. Januar 1835

      [Nach Mitteilung von Philibert Audebrand:] 1835, nach der Veröffentlichung seines Buches „De l’Allemagne“, war die Popularität dieses neuartigen Historikers auf ihrem Höhepunkt, wenigstens in der literarischen Welt, die sich damals für alles Neue begeisterte. Die Revuen beschäftigten sich angelegentlich mit allem, was er tat. Sehr geschätzt als Schriftsteller, war er nicht weniger gesucht als Causeur. Obgleich in seiner Aussprache noch immer ein Rest deutschen Akzentes störte, legten die Damen der Gesellschaft ihren Freunden eifrig ans Herz, ihn mitzubringen; Heine war ein sehr hübscher Kerl und für einen Mann der Arbeit ziemlich elegant, aber das Drum und Dran der westeuropäischen Umgangsformen erschien ihm als abgeschmackte Lüge und widerte ihn an; wenn er sich auch nicht wie eine Schnecke in sein Haus verkroch, so war ihm doch der Lärm der Salons unerträglich. Er gab daher Absagen, und ziemlich schroff. Ein Grund mehr, um sich viel mit seiner Person zu beschäftigen. Achille Déveria hatte ihn gemalt, der sonst nur Frauen porträtierte.

      An dieser Skizze eines großen Künstlers hatte man noch nicht genug; man verlangte nach einer Biographie, die dieses Bild würdig ergänzen sollte. Eine der großen aktuellen Revuen beauftragte Philarète Chasles, sich zu dem Humoristen zu begeben, um den Plutarch zu spielen. Als der Besucher bei ihm eintrat, saß oder vielmehr lag Heine auf einem Sofa, um ein Schläfchen zu machen.

      Heine (sich erhebend): „Lieber Kollege, Sie kommen gerade zur rechten Zeit!“

      Chasles: „Warum?“

      Heine: „Weil ich eine Minute später eine Seite Nodier gelesen hätte, um einzuschlafen.“

      Chasles: „Ist das der Eindruck, den Nodier auf Sie macht? – Sie schwärmen also nicht für diesen Biedermann, diesen Tacitus und Sterne in einer Person?“

      Heine: „Doch, doch! Ich bin ganz vernarrt in diese köstliche, nur zu köstliche Prosa. Aber diese Blätter, in denen es von lauter Diamanten wimmelt, verursachen mir mit ihrem steten Blitzen Augenschmerzen; ich fühle mich geblendet und werde schläfrig. Aber welcher glückliche Zufall führt Sie her?“

      Chasles: „Achille Déveria forderte Ihren Kopf, ich fordere Ihr Leben.“

      Heine: „Im Ernst?“

      Chasles: „Durchaus im Ernst! Ich muß wenigstens dreihundert Zeilen über Sie bringen.“

      Heine (in Lachen ausbrechend): „So ernst nimmt man mich, daß man eine Biographie von mir bringen will, und dazu noch aus der Feder eines bedeutenden Schriftstellers?“

      Chasles: „Ganz gewiß. Wundert Sie das?“

      Heine: „Zunächst, lieber Freund, wundere ich mich über nichts; dann – halt, mir kommt eine recht ergötzliche Idee –“

      Chasles: „Und die wäre?“

      Heine: „Als ein Kapitel der Literaturgeschichte improvisieren wir, Sie und ich, wie wir da sind, einen kleinen Roman, dessen Hauptperson ich sein müßte.“

      Chasles: „Warum denn nicht!“

      Heine: „Ich komme sehr weit her, denn ich bin ein Flüchtling aus Preußen. Was könnte ich Ihnen für Wunderdinge erzählen!“

      Chasles: „Wir müßten aber immer möglichst bei der Wahrheit bleiben.“

      Heine: „Wahr ist alles an dem Tag, da es gedruckt wird. (Heine tut, als wolle er diktieren.) ‚Heine wurde 1800 in Düsseldorf geboren, als Sohn eines ziemlich vermögenden Kaufmanns. Aber war Herr Heine wirklich sein Vater? Man erzählt sich, daß der berühmte Räuberhauptmann Schinderhannes eines Tags durch Düsseldorf kam und ein unbekanntes Kind in dem Flur des Hauses niederlegte, das der ehrenwerte Herr Heine bewohnte.‘ Was meinen Sie zu diesem Anfang?“

      Chasles: „Sehr pikant wäre das, aber Findelkinder sind nicht mehr recht Mode“...

      Heine: „Das könnte stimmen. (Er klingelt.) Joseph, Tee und zwei Tassen! Aber Butter und Brot nicht vergessen, nach deutscher Sitte. – (Fortfahrend.) Übergehen wir also die Kindheit! Beschäftigen wir uns mit meiner Jugend. Einverstanden?“

      Chasles: „Wie Sie wollen, lieber Herr Kollege.“

      Heine: „Ich brauche eine stürmische, bewegte, abenteuerliche Jugend. Nicht umsonst habe ich mir den anspruchsvollen Titel ‚Vetter Byrons‘ zugelegt. Ich brauche also unbedingt etwas von dem Format dieses revolutionären Titanen, der den ‚Manfred‘ schrieb.“

      Chasles:„Nichts einleuchtender als das. – (Holt ein Notizbuch aus der Tasche.) Also diktieren Sie, ich schreibe.“

      Heine: „Einen Augenblick. Erst müssen wir wenigstens eine Tasse Tee trinken.“ (Der Diener

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