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du musst mit Vater sprechen!“

      „Ja, Kind, natürlich.“ Wie oft hatte sie diese Worte schon gesagt, beruhigend, tröstend, immer bereit, zu helfen, zu vermitteln. „Ich spreche mit ihm, aber wie konntest du ...“

      „Ich erkläre es dir später. Mutter, Vater darf Herrn Reuter nicht so anschreien“, flüsterte Anne erstickt, „bitte, Mutter, sonst ...“

      „Ja, ja, Kind. Du hättest nur eher ...“

      „Ach, Mutter, ihr hättet mich ja alle für verrückt erklärt! Geh, bitte, und beruhige Vater!“

      „Ja, komm aber gleich nach!“

      Die Mutter, gewöhnt, sich als Friedensengel zwischen den aufbrausenden Mann und die eigenwilligen und freiheitsdurstigen Kinder zu schieben – sie kannte das, ach, wie sie das kannte bei drei Töchtern und zwei Söhnen! –, hastete den beiden Männern nach. Hier, so fühlte sie, würde es schwer halten, das Ganze wieder zurechtzurücken, andererseits aber fühlte sie auch eine glückliche Wärme in sich. Das war doch eine Aufgabe, zwischen den Generationen zu vermitteln, sie einander näher zu bringen, beiden zu zeigen: der andere hat auch Recht. Sie liebte ihren Mann, aber sie war auch stolz auf ihre Kinder, und sie verstand, dass diese eigene Wege gehen wollten. Ihr eigenes, jung gebliebenes Herz nahm Partei, sie wollte sich das nicht zugeben und wusste es trotzdem. Schnell, beinahe laufend, folgte sie den Männern.

      Anne sah ihr nach. Dann ging sie zu Goldpeter und nahm Peter seinen Zügel aus der Hand. Peter sah, dass Annes Hand zitterte. Er sagte nichts und tat, als habe er nichts gesehen. Schweigend gingen sie miteinander zum Stall hinüber und sattelten ab.

      Am Abend dieses aufregenden Tages hockten Anne und Margot nebeneinander auf dem Fensterbrett ihres Zimmers, während der Mond den Park direkt feenhaft anstrahlte.

      Die beiden Mädel aber hatten zurzeit kein Verständnis für die Schönheit nächtlicher Landschaft, zu sehr beschäftigte sie, was vorgefallen war. Margot war genauso bei der Sache wie Anne.

      „Ein einziges Glück, dass die Königin so vernünftig ist. An der Ruhe, die sie entwickelt, würden sich noch andere Orkane brechen“, sagte sie vergnügt. Sie war stets bereit, auch in den verfahrensten Situationen noch das Positive herauszufinden. „Wie sie deinen Vater rumkriegte!“

      „Ach ja, wenigstens so weit, dass ich hierbleiben darf – das ist in diesem Fall schon ein großer Sieg. Aber damit wird sich’s wohl auch haben“, sagte Anne sorgenvoll.

      Frau König hatte Herrn und Frau Birkner eingeladen, bis zum nächsten Tag zu bleiben. Sie tat das manchmal, wenn Lehrlingseltern kamen, um den Betrieb nicht nur sonntags, sondern auch während der Arbeit zeigen zu können. Herr Birkner hatte ursprünglich die Absicht gehabt, bis Montag zu bleiben. Er begann gerade seinen Sommerurlaub. Als er aber die Reitgeschichte in ihrem vollen Umfang erfuhr, kam er so in Ärger und Zorn, dass er am liebsten die Tür von draußen zugemacht hätte.

      „Bescheiden bist du nicht. Es wäre wohl ein bisschen viel verlangt, wenn sich die Königin nun auch noch hätte versprechen lassen, dass du Reitlehrerin oder Jockeiin – oder heißt das Jokeuse? – werden darfst“, meinte Margot gedankenvoll.

      „Ach, Margot, ich habe so Angst, dass nun nie etwas daraus wird“, flüsterte Anne. „Vater überzeugen – das werde ich nie fertig bringen. Jedenfalls nicht, solange ich keine Erfolge vorweisen kann. Wenn ich wenigstens schon eines der Abzeichen hätte!“

      „Zehn Hürden, jede ein Meter zehn hoch – und die Dressur – nee, mein Kind, so weit sind wir noch nicht. Ich möchte Kornelius’ Gesicht sehen, wenn wir ihn fragten, ob wir’s mal probieren dürften! Auf dem Pascha womöglich.“ Margot lachte.

      „Ja, siehst du. Und so hab ich gar nichts aufzuweisen.“

      „Doch. Du hast ein einfach blendendes Zeugnis von Reuter – dass er es abgab, als er noch nicht ahnte, dass dein Vater hinter ihm stand, macht die Sache noch gewichtiger. Und eine gute Beurteilung von der Königin. Sie hat selbst gesagt ...“

      „Ach ja, aber denkst du, mein Vater hat das überhaupt mit Bewusstsein gehört? Wenn er so ärgerlich ist, hört er nicht zu; wie oft hat mich das schon gekränkt. Deshalb sag ich dann auch gar nichts. Es ist so schwer, von den Eltern gerecht beurteilt zu werden. Sie sehen lebenslänglich das Baby in ihren Kindern.“

      „Na, weißt du, und deine Mutter? Der kannst du das doch wahrhaftig nicht vorwerfen.“

      „Nein, Mutti nicht. Die ist in Ordnung“, sagte Anne schnell und beschämt. Unten pfiff es. Beide beugten den Kopf übers Fensterbrett.

      „Ach du, Peter. Was gibt’s denn?“

      „Ich wollte nur mal fragen, ob der Sturm verweht ist.“

      „Ach, du hast eine Ahnung, Petrus! Es stürmt und schneit noch immer im väterlichen Herzen“, sagte Margot, „mindestens Windstärke zehn.“

      „Was hat er denn gesagt?“

      „Warte, wir kommen runter. Du schreist ja das ganze Haus wach!“

      Margot und Anne fuhren in die Trainingsanzüge und liefen die Treppe hinunter. Die Haustür war ordnungsgemäß versperrt, aber zum Küchenfenster konnte man mühelos hinaussteigen. Peter stand schon dort und wartete.

      „Ich finde das gar nicht so hoffnungslos, wenn dein Vater doch hier geblieben und nicht im Zorn weggefahren ist“, sagte er nachdenklich, als sie berichtet hatten, „da könnt ihr doch morgen noch mal versuchen, ihn zu überzeugen.“

      „Ich weiß nicht. Du kennst meinen alten Herrn nicht. Den überzeugen, das könnte höchstens Großvater. Der ist der einzige, auf den er hört. Wir behaupten oft, er hat Mutti nur geheiratet, weil er Großvater so schätzt.“

      „Ja, ist denn dieser schätzenswerte Herr nicht zu beschaffen? Ruft ihn doch an, los!“

      „Anrufen? Das nützt nichts. Hier müsste er sein und mit Vater reden ...“

      „Dann holt ihn doch her. Geht das nicht? Man könnte deine Eltern vielleicht hier ein wenig aufhalten.“

      „Vater will morgen mit einem Sonderzug ins Walsertal fahren, mit Mutti. Es müsste also bis Mittag schon entschieden sein.“

      „Verflixt, ist das dumm! Ist das – ist das –“ Peter ging auf und ab, die Hände in den Taschen, die Absätze bei jedem Schritt in den Sand bohrend. Anne lehnte an der Wand neben dem Küchenfenster.

      Die Tränen standen ihr in den Augen. Zum Glück sah man es nicht.

      „Er hat gesagt, ich dürfte überhaupt nicht mehr reiten, er zöge seine Erlaubnis zurück“, würgte sie hervor. „Zu Kornelius hat er das gesagt. Und da kann Kornelius doch nicht mehr ...“ Sie brach ab, um nicht loszuschluchzen.

      „Kornelius lässt dich auch so reiten“, sagte Margot. „Wollen wir wetten?“

      „Und wenn dann was passiert?“ Die Versicherung galt nur, wenn die elterliche Erlaubnis vorlag, solange die Reitschüler noch nicht mündig waren. Sie wussten das alle drei.

      „Was soll mir denn passieren!“, sagte Anne schnell und sich selbst überredend. „Ich bin noch nie oder vielmehr erst ein einziges Mal ausgestiegen, und ...“

      „Ach, Menschenskind, das kann jeden Tag passieren. Die Helga Köhler hat siebzehnmal das Schlüsselbein gebrochen, und die reitet ja noch etwas besser als wir!“

      „Aber ein Schlüsselbein – das kostet doch nicht die Welt!“ Sie lachten alle drei los.

      „So kommen wir nicht weiter“, sagte Peter, „ich bin dafür, dass wir deinen Vater herumkriegen. Wo wohnt denn der sagenhafte Ahne mit dem weißen Gelock und dem jungen Herzen?“

      „Du, mach dich auch noch lustig“, drohte Anne, „in Neuhausen. Kennst du nicht? Neulich bist du erst dran vorbeigefahren.“

      „Na ja, ich kann ja nicht alle Dörfer auswendig wissen, an denen ich mit der Maschine

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