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trieb sie ihren Felix so stürmisch an, dass er sie missverstand und aus dem Arbeitsgalopp in einen ganz hübschen Jagdgalopp fiel. Anne hielt sich wacker, aber dann kam ihr die Fortuna in die Quere, sie versuchte durchzuparieren.

      „Sitzenbleiben!“, rief Reuter noch, da lag sie auch schon in der Lohe. Das erste Mal ausgestiegen! Sie hielt aber den Zügel noch und rappelte sich sofort hoch.

      „Ola, ola, mein Felix“, und schon saß sie wieder oben. Reuter lächelte. Er wandte das Gesicht ab, damit sie es nicht sah. Er konnte nicht anders, sein Gesicht war ein einziger Glanz. Anne war richtig! Sie war goldrichtig. Anne und die Pferde ...

      Aber sie durfte es nicht merken.

      „So, nun die Abstände wieder ausgleichen“, befahl er möglichst gleichmütig. Keines der Mädel merkte, dass seine Stimme irgendwie anders klang. Sie waren viel zu beschäftigt mit ihren Pferden.

      „Herta, Sie sind hier bei der Wäsche?“, fragte Frau König erstaunt. „Was wird denn da aus unseren Nudeln?“ Sie war ins Waschhaus getreten, wo sie nur Anne und Margot vermutete.

      „Die Nudeln macht Erika“, sagte Herta und richtete sich auf. „Die Brühe kocht schon eine Weile.“

      „Na, ob das gut geht?“ Frau König schüttelte den Kopf. „Ich werde mal nachsehen. Tragen Sie diesen Korb hier auf die Bleiche, wir wollen den schönen Sonnenschein ausnützen.“

      Anne sah Margot an.

      „Du, wenn Erika jetzt ...“

      „Was kann denn an Nudeln schon schief gehen?“

      „Ich fürchte, allerhand!“

      „Aber sie hat doch das Rezept. Ich habe es ihr mit Kreide auf den Tisch geschrieben“, sagte Margot. Die beiden anderen lachten.

      Dann aber beugten sie sich alle drei wieder über die Waschbütte und rubbelten, dass es eine Art hatte. Je weiter sie mit der Wäsche kamen, um so größer war die Aussicht, dass sie heute Abend wieder einmal reiten konnten. In der letzten Woche war sehr viel zu tun gewesen, sie hatten bei der Heuernte helfen müssen, und das Reiten war bis auf den Sonntag ausgefallen.

      In Reuters Reitschule war um diese Jahreszeit am meisten los. Alle Einzelzimmer im Schloss waren belegt, der Schlafsaal auch voll, Peter wusste immer genau Bescheid. Er kam oft nach dem Reiten mit herüber aufs Gut, seine Eltern waren mit Königs befreundet. Er besaß ein Motorrad und war sehr nett. Genau wie die Mädel hatte er eine gesunde Wut auf all die „Stadtweiber“, wie Alfred, der Pferdepfleger, die Reitschülerinnen bezeichnete, die jetzt immer „ihre“ Pferde ritten.

      „Sie quälen sie, es ist nicht mit anzusehen“, entrüstete sich Herta, „die alte Frau, die neulich die Fortuna ritt ...“

      „Na, alt. Die ist vielleicht dreißig“, meinte Margot. Aber Anne rief empört: „Ist das etwa nicht alt? Hornalt! Warum muss man denn in diesem Alter unbedingt noch reiten lernen?“

      „Du reitest sicher noch mit siebzig!“, hatte Peter neulich zu Anne gesagt und vorgemacht, wie sie, zahnlos und mit wackelndem Kapotthütchen, auf Rossesrücken einherschweben würde.

      „Wisst ihr, was Kornelius versprochen hat? Heut Abend reiten wir aus!“, platzte jetzt Margot heraus. Ein lautes Freudengeheul erscholl. Gerade kam Frau König. Betreten schwiegen alle drei.

      Die Gutsfrau lächelte.

      „Meinetwegen schreit, wenn es euch Spaß macht“, sagte sie. „Aber ihr habt Recht, Erika bringt tadellose Nudeln zu Stande. In letzter Zeit ist sie wie umgewandelt, ordentlich lebendig geworden. – Seid ihr mit der feinen Wäsche soweit? Dann werde ich mit Herta schleudern, und Sie beide gehn auf den Rasen.“

      Anne und Margot zogen ab. Anne fühlte ein Prickeln im ganzen Körper – ausreiten! Über Wiesen und Koppeln, durch Wald, im Schritt, im Trab und galoppierend.

      „Gibt es etwas Schöneres?“, fragte sie Margot zum hundertsten Male, und Margot antwortete wie stets, überzeugend und einverstanden:

      „Nein, es gibt nichts Schöneres als die Pferde!“

      Es war ein milder Sommerabend, noch so hell, dass man getrost eine Stunde draußen bleiben konnte, und doch gedämpft im Licht, als sie das erste Mal zu Pferde ins Freie durften. Im Schritt ging es durch den Hof, Kornelius an der Spitze. Alle waren beklommen vor Glück. Anne hatte den Goldpeter, Erika den Satan, Margot zu ihrem Entzücken den Pascha, einen großen, hellen Falben mit Aalstrich. Auch Karl und Peter waren dabei.

      „Lasst den Pferden die Zügel lang, sie wollen sich erst einmal strecken“, sagte Reuter. „So, ja. Ihr tut das doch auch. Pferde sind keine Maschinen, denen es gleichgültig ist, durch welche Gegend man sie fährt, durch Vorstadtstraßen oder durch jungen Eichenwald oder über taufrische Wiesen. Pferde sind Wesen, die oft mehr sehen und fühlen als wir.“

      Anne fand das schön von ihm gesagt. Sie mochte ihn sehr gern, sobald er ernsthaft und nicht spöttisch war. Der Goldpeter ging weich und willig. Anne versank während des Schrittreitens in eine Art Wachtraum, der Wirklichkeit halb enthoben und doch wieder glücklich zugewandt. Keiner von ihnen sprach.

      Anne hatte nun schon jedes Pferd der Reitschule gefüttert, geputzt und getränkt, und geritten hatte sie auch schon verschiedene. Sie fühlte immer deutlicher, wie sehr sie an den Pferden hing, wie stark sie in ihr Leben eingriffen. Immer hatte sie sich gewünscht, mit Pferden leben zu können, jetzt aber merkte sie, dass es eine schmerzhafte, ja, ihr schien fast, eine lebensgefährdende Wunde geben würde, wenn man sie wieder herausreißen würde aus ihrem Leben. Mancher Mensch braucht Bücher fast so nötig wie das tägliche Brot, mancher den Umgang mit jungen Menschen, mancher eben Tiere, und sie speziell Pferde. Es war keine Spielerei von ihr, es war eine starke, tief verwurzelte Neigung. Bei Margot war es anders, sie hatten sich oft darüber unterhalten. Margot liebte einfach das Land und das Landleben. Sie konnte die gleiche Begeisterung über ein schönes Kalb empfinden wie über ein Fohlen oder über einen gut stehenden Weizenschlag. Sie liebte Pferde als Teil des Landlebens, sicher würde sie mal eine tüchtige Gutsfrau werden. Es lag bei ihr im Blut. Anne aber wollte Reitlehrerin werden und nichts anderes.

      Auf dem weichen, grasbewachsenen Waldweg galoppierten sie an. Es war gut, dass Reuter sie erst jetzt hinausreiten ließ, jetzt, da alle Anfangsschwierigkeiten überwunden waren. Undenkbar, sich etwa jetzt angstvoll an den Sattel zu klammern oder dem Pferd wehzutun durch einen Zügel, der ins Maul riss. Es war ein unsagbarer Zauber, hier zu reiten; allen war feierlich zu Mute, nicht nur Anne, sogar Erika. Jedenfalls strahlten aller Augen, als sie heimkamen, und keiner konnte sich gleich von seinem Pferd trennen. Zucker und Mohrrübenstücke wurden ihnen auf der flachen Hand gereicht, und jeder sprach und liebkoste und schäkerte mit seinem vierbeinigen Kameraden. Reuter trat zu Anne.

      „Wie ist das morgen früh? Kommen Sie wieder zum Füttern und Putzen?“

      „Wenn ich kann, natürlich. Frau König erwartet Besuch, da gibt es vielleicht am Vormittag mehr zu tun“, sagte Anne zögernd. „Aber zum Füttern bin ich ganz bestimmt hier.“

      „Nun, wenn es früh zum Reiten nicht mehr reicht, könnten Sie ja ausnahmsweise morgen Nachmittag mittun“, sagte Reuter. „Ich habe zwei Schülerinnen aus der Stadt hier, die nur sonntags Zeit haben. Wollen Sie?“

      „Gern“, sagte Anne glücklich. „Nachmittags kann ich bestimmt.“

      „Dann komme ich auch“, sagte Peter, der das letzte gehört hatte, „die Nixe ist nicht mehr die alte. Sie geht gar nicht mehr gern an den Zügel. Sie muss mal wieder richtig gearbeitet werden.“

      „Schön, kommt ihr beide also morgen“, sagte Reuter. Er tippte mit der Gerte an die Mütze und ging.

      Am nächsten Morgen war Anne noch mehr bestrebt als sonst, alle ihre Pflichten so genau wie möglich zu erfüllen. Sie hinterließ im Kühlraum eine geradezu märchenhafte Ordnung und Sauberkeit, half Herta dann in der Küche und deckte den Mittagstisch besonders schön mit Blumen in allen Vasen. Nach Tisch zog sie sich um, seelenvergnügt, fuhr in die schneeweiße Hemdbluse und freute sich an den spiegelblank geputzten

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