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zum Tode verurteilt. Wollen Sie das jetzt wirklich fertigbringen? Ich habe die Operation auf mich genommen, weil ich Leute wie Sie kenne, dumm, vernagelt, ein Brett vor dem Kopf. Anstatt zu helfen, brüllen Sie hier herum … Dankbarkeit erwarte ich gar nicht — danken Sie Gott, daß alles gutgegangen ist … gehen Sie! Gehen Sie jetzt! Los, gehen Sie!«

      Die letzten Worte schrie er dem erschrocken zurückweichenden Mann ins Gesicht, am ganzen Körper zitternd, und er hörte nur, wie durch einen Nebel, den anderen sagen:

      »Schon gut. Sie haben sich da ja was geleistet. Sie haben eigenmächtig … ich kenne die Gesetze! Wir werden uns noch sprechen. Aber nicht hier, das sage ich Ihnen!«

      »Gehen Sie!«

      In diesem Augenblick trat Dr. Eva Hochhoff ins Zimmer.

      2

      Kurz nach vier Uhr landete der viermotorige Clipper auf dem Flugplatz von Helsinki.

      Als Professor Hornstein und seine Frau Iris aus der Maschine stiegen, nahm ihnen die eiskalte Winterluft einen Augenblick fast den Atem. Es war bereits dunkel. Die Rollbahn wurde von riesigen Scheinwerfern taghell erleuchtet. Frau Iris kuschelte sich in ihren Nerzmantel, ein Geschenk ihres Mannes zum zwanzigsten Hochzeitstag, und stellte den Kragen auf. Auf dem Dach des Flughafengebäudes lag frischgefallener Schnee.

      An der Sperre wurden sie von Dr. Rono Rissanen, einem ehemaligen Schüler des Professors, empfangen. Er führte sie zu seinem Wagen, ließ Frau Iris hinten einsteigen, während der Professor neben ihm auf dem Vordersitz Platz nahm.

      Dr. Rissanen war bis vor fünf Jahren Erster Assistent des Professors gewesen. Seit seinem Ausscheiden aus Hornsteins Klinik hatten sich die Männer nicht mehr gesehen.

      »Wie geht’s dem kleinen Martin, Herr Professor?«

      »Klein ist gut! Der Kerl ist mir bereits über den Kopf gewachsen, in jeder Hinsicht. Macht mir Sorgen.« Martin war sein Sohn, jetzt achtzehn Jahre alt.

      »Ist er immer noch so lustig?«

      »Lustig — ja. Aber sonst…«

      »Du übertreibst«, sagte Frau Iris. »Ein bißchen schwach in der Schule ist er wirklich. Aber ich finde das nicht so furchtbar schlimm.«

      »Du nicht«, sagte der Professor. »Du bist ja auch verliebt in den Bengel.«

      »Ich muß Ihnen recht geben, gnädige Frau«, lachte Dr. Rissanen. »Wenn ich daran denke, was für Zeugnisse ich nach Hause gebracht habe, puh! Und mein Vater, na — heute noch tun mir gewisse Körperstellen weh in der Erinnerung an die Folgen. Wenn man sich so umsieht — die meisten Mediziner waren keine Vorzugsschüler.«

      »Das verlangt ja auch kein Mensch von ihm«, murmelte der Professor unbeteiligt. Wenn nur diese Fahrt endlich zu Ende wäre! Wenn er doch schon im Hotel wäre … diese Kopfschmerzen und wieder der leichte Schwindel, der die Straße vor ihm, die Häuser, die Scheinwerfer der entgegenkommenden Wagen, die Straßenbahn, die Menschen auf den Gehsteigen, alles, was er sehen konnte, aber auch die eigenen Gedanken mit einem seltsamen, zitternden Nebel umgab. Wie aus weiter Ferne vernahm er die Frage des Dr. Rissanen:

      »Darf ich Sie zuerst zu Ihrem Hotel bringen, Herr Professor?«

      Professor Hornstein nickte. Und es kostete ihn große Überwindung zu fragen:

      »Wie geht es Ihrem Patienten, Kollege?«

      Dr. Rissanen schien nur auf diese Frage gewartet zu haben, und dennoch dauerte es einige Sekunden, bevor er antwortete:

      »Professor Kueinen, unser Nobelpreisträger, wie wir ihn alle nennen, liegt seit zwei Wochen in meiner Klinik. Sein Befinden ist sehr schlecht.«

      Er verstummte. Und sie sprachen nichts mehr, bis sie Dr. Rissanen in einem vornehmen Hotel in der Alexanderstraße absetzte, in dem er ein elegantes Apartment für seine Gaste reserviert hatte.

      Professor Hornstein schloß sich sofort ins Bad ein und nahm zwei Tabletten gegen die fast unerträglichen Kopfschmerzen, die ihn kaum einen klaren Gedanken fassen ließen. Wahrscheinlich kann ich das Fliegen nicht mehr vertragen, dachte er, während er im Spiegel sein Gesicht betrachtete, die Schatten unter den Augen, die tiefen Falten um die Mundwinkel. Die schnelle Luftdruckveränderung … schließlich bin ich ja auch nicht mehr der jüngste!

      Er zog sich aus und duschte sich. Unter dem eiskalten Wasser schnappte er keuchend nach Luft und prustete laut. Langsam wurde ihm wohler, und als er sich ankleidete, fühlte er sich wie neugeboren.

      »Wie gefällt es dir in Helsinki?« fragte er Iris, als er sich draußen die Krawatte umband.

      »Himmlisch!«

      »Wie leicht du zufriedenzustellen bist. Du hast ja von Helsinki noch gar nichts gesehen.«

      »Darauf kommt es auch gar nicht an«, sagte sie lächelnd. »Hauptsache, ich konnte mit dir fliegen. Stell dir vor, ich erzähle Gerda: ›Ja, unlängst habe ich mit August einen kleinen Abstecher gemacht, er mußte zu einem Nobelpreisträger …‹ Bei ihrem Neid … Sag mal, was soll ich anziehen? Wir wollen doch ein bißchen ausgehen?«

      »Vorerst nicht«, sagte der Professor. »Es kommt darauf an, wie lange die Konsultation dauert.«

      »Konsultation? Jetzt?« Alle Freude wich aus ihrem Gesicht.

      »Na, was denn sonst?« Die Stimme des Professors klang gereizt. »Hast du etwa gedacht, wir machen eine Vergnügungsreise?«

      »Nein, natürlich nicht. Nur habe ich angenommen …«

      »Was denn schon wieder?«

      »… daß wir, an unserem ersten Abend hier —«

      »Ein Irrtum!« Der Professor fühlte in sich wieder diesen unvermittelten, heißen Zorn aufsteigen, wie am Vormittag, als er seinen Oberarzt Dr. Westhaus abgekanzelt hatte. Er wußte, daß er ungerecht war, daß er gar keine Veranlassung hatte, wütend zu sein, daß ein kleines Wort, ein kurzer, begütigender Satz, die Mißstimmung sogleich wieder beseitigen würde. Aber er konnte es nicht aussprechen. Er war machtlos gegen die Worte, die er hervorstieß, als hätte sich seine Zunge selbständig gemacht, er konnte sie nicht zurückhalten, obwohl er den Schrecken und die Fassungslosigkeit in Iris’ Augen sah. »Hört denn das nie auf!« schrie er. »Muß ich mir von allen und jedem sagen lassen, was ich zu tun habe? Ich bin Arzt, verstehst du? Ich bin kein — kein, zum Teufel! Wenn du für meine Arbeit schon kein Verständnis aufbringst, dann mische dich wenigstens nicht in meine Dispositionen!«

      »August — bitte!«

      »Ich muß jetzt gehen!«

      Grußlos lief er hinaus, knallte die Tür laut hinter sich zu. Doch draußen, auf dem halben Weg zum Lift, blieb er plötzlich stehen, lehnte sich an die Wand und schüttelte verständnislos den Kopf. Was war nur mit ihm los? Warum hatte er Iris so angebrüllt?

      Ich müßte zurückgehen und mich entschuldigen, dachte er. Jetzt, sofort. Aber er tat es nicht. Mit den schweren schleppenden Schritten eines alten Mannes ging er zum Lift und fuhr hinunter in die Halle, wo Dr. Rissanen auf ihn wartete.

      Dr. Rissanen war nicht allein. Ein älterer Herr hatte sich ihm zugesellt, Dr. Paltkala, der Hausarzt des erkrankten Nobelpreisträgers Professor Kueinen, wie ihn Dr. Rissanen vorstellte.

      Die drei Männer verließen das Hotel und traten hinaus in die kalte Winterluft. Professor Hornstein beneidete die beiden finnischen Herren um ihre Pelzmützen, die bis über die Ohren reichten.

      »Werde mir auch so ein Pelzding zulegen«, sagte er, als sie zu Rissanens Wagen gingen.

      »Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen eine zum Andenken schenken dürfte, Herr Professor«, sagte Dr. Rissanen höflich.

      »Sehr gut. Solche Geschenke soll man nie zurückweisen.« Professor Hornstein lachte. »Ihr habt’s ja verdammt kalt hier.«

      »Das kommt von unserer Nachbarschaft: Nordpol und Sibirien«, sagte Dr. Paltkala.

      »Also

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