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Umbruch im Sommer gewesen war. Von den 25 Spielern erkannten die wenigsten Besucher fünf, sechs Spieler. Kein Wunder, schließlich hatten mit Jonathan Schmid (Hoffenheim), Roman Bürki (Dortmund), Oliver Sorg (Hannover), Pavel Krmaš und Admir Mehmedi (Leverkusen) so gut wie alle Leistungsträger den Verein verlassen, auch Vladimír Darida, Stefan Mitrović und Felix Klaus waren gegangen. Im Gegenzug kamen Tim Kleindienst (Cottbus), Lukas Kübler (Sandhausen), Vincenzo Grifo (Hoffenheim) und Amir Abrashi (Grasshopper Zürich). Doch die Mutter aller Königstransfers war der von Petersen, der zwischen dem letzten Erstligaspiel mit Freiburg in Hannover und dem ersten Zweitligaspiel ja eigentlich nur ein paar Tage an der Weser verbracht hatte.

      Profi mit freiem Willen

      Der Hauptgrund für Petersens Rückkehr waren aber nicht die überragenden sportlichen Perspektiven in der zweiten Liga. Die weichen Faktoren dürft en entscheidender gewesen sein. Petersen selbst ließ sich auf der SC-Homepage mit der Aussage zitieren, ihm sei „irgendwann klargeworden, dass ich hier längerfristig bleiben möchte, unabhängig von der Ligazugehörigkeit“. Er habe in Freiburg „ideale Bedingungen vorgefunden – sowohl was das Umfeld, die Arbeitsweise als auch die Kollegen und das Trainerteam angeht“. Auf Facebook postete er: „Das mit Freiburg und mir, das passt einfach“, und im Sommer 2015 berichtete er: „Ich habe einfach gemerkt, dass ich zurückwollte. Ich habe mich damals aus Freiburg verabschiedet und gedacht: Mensch, den ein oder anderen siehst du nicht wieder, schade.“

      Nun ist dieses Bekenntnis an sich schon branchenunüblich. In der Regel wechseln Fußballprofis in der immer kürzer werdenden Zeitspanne, in der sie auf hohem Niveau Fußball spielen und Geld verdienen können, dahin, wo ihnen die Parameter Geld und möglicher sportlicher Erfolg am besten erscheinen. Bei Petersen ist das anders. Wenngleich man längst auch in Freiburg gutes Geld verdient, scheinen für ihn andere Prioritäten zu gelten. Denn so wahr es ist, dass Petersen der Freiburger Topverdiener ist, so wahr ist es auch, dass er noch heute anderswo weit mehr verdienen könnte. Doch offenbar haben es ihm Stadt, Region und Verein tatsächlich angetan. „Vier Monate vorher, als ich nach Freiburg kam, hatte mich nichts mit der Stadt verbunden“ wundert er sich. „Und dann saß ich plötzlich in der Kabine und habe geweint, weil ich Freiburg wieder verlassen musste.“ Bis Petersen sich besann, dass er einen freien Willen hat: „Irgendwann kam dann der Moment, an dem ich gesagt habe: Mensch, du hast doch die Zügel selbst in der Hand, du musst doch nicht auf Teufel komm raus irgendwohin, wo du nicht hinwillst.“

      Man darf davon ausgehen, dass es beim Sport-Club genügend Menschen gab, die Petersen das auch immer wieder in Erinnerung gerufen haben. Streich, Saier und Hartenbach hielten telefonisch Kontakt, aber auch einige Mitspieler, Teammanager Torsten Bauer oder Busfahrer Stefan Spohn bearbeiteten Petersen immer wieder. „Freiburg, so kam es mir zumindest vor, hat sich auch jeden Tag um mich bemüht“, erinnert sich Petersen. „Ob das jetzt Offizielle waren oder Mitspieler, die immer wieder geschrieben und angerufen haben. Irgendwann rief dann der Trainer an, und was er mir aufgezeigt hat, klang so interessant, dass ich gesagt habe: Das will ich unbedingt miterleben. Ich habe dann beschlossen, einfach das zu machen, worauf ich Bock habe.“ Dass er fachlich und menschlich innerhalb kürzester Zeit ein exzellentes Verhältnis zu Trainer Streich aufgebaut hatte, dürft e ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben.

      2015 wurde Freiburgs Topstürmer noch regelmäßig auf seine Zeit bei den Bayern angesprochen. Und tatsächlich steht ja fest, dass ein gewisser Nils Petersen, geboren am Nikolaustag 1988 in Wernigerode, von Sommer 2011 bis 2012 im Kader des Rekordmeisters stand, wo ihm allerdings nicht wesentlich mehr Einsatzzeiten vergönnt waren als all den Del’Hayes, Kirchhoffs und Schlaudraffs der vergangenen Dekaden, die sich im Nachhinein fragen dürft en, wo genau der Denkfehler war: bei den Bayern, die sie fälschlicherweise für mögliche Verstärkungen gehalten hatten, oder in ihrer Selbstwahrnehmung als mögliche Bayernspieler.

      Nils Petersen selbst, das erzählte er einmal am Rande eines Interviews, hat in dem großbürgerlichen Stadtteil, in dem er wie viele andere Bayernstars mit einer Wohnung versorgt worden war, nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Als er sich bei seinen neuen Nachbarn vorstellen wollte, brachte er ihnen einen Teller mit Selbstgegrilltem vorbei – zuvor hatte Petersen ein paar Freunde zu Besuch gehabt. Doch anstatt sich über die nette Geste zu freuen, schauten die ihn nur hochnäsig und ein wenig mittleidig an. Man aß dort offenbar Nobleres als Steaks und Würstchen.

      Zudem ist Petersen ein Spieler, mit dem man arbeiten muss, um ihn bei Laune zu halten. So wissbegierig er als Privatmensch ist, so erpicht ist er im Training darauf, in den Bereichen dazuzulernen, in denen er noch Luft nach oben hat. In Freiburg hatte Petersen von Beginn an einen Trainer, der ihn so lange liebevoll darauf hinwies, dass er im Spiel gegen den Ball noch Verbesserungsbedarf hat, bis es in der Liga kaum noch einen Stürmer gab, der fleißiger nach hinten arbeitete als Petersen. Im Topspiel seiner Zweitligasaison beim SC, in dem Freiburg auf RB Leipzig traf und das auf deutlich höherem Niveau als viele Bundesligapartien ablief, schoss Petersen im 20. Ligaspiel für den SC seinen 21. Treffer. Er freute sich nur ausgesprochen zurückhaltend – wie es seine Art ist: „Zur Zeit läuft es. Aber ich kenne auch die Zeiten, wenn die Minuten gezählt werden und die Medien Druck machen.“ Wie damals in Bremen: „Dort habe ich eine gute Anfangsphase gehabt, auch ein paarmal getroffen. Dann hieß es, der trifft zweistellig, alles war gut. Und kurz darauf warst du dann auf dem Abstellgleis. Da tut es gut zu wissen, dass ich nicht in der 55. Minute automatisch der erste Auswechselkandidat bin, nur weil ich nicht getroffen habe.“

      „Salopp gesprochen, verblöde ich seit zehn Jahren“

      In der ersten Bundesligasaison nach dem Aufstieg schoss Petersen in 33 Partien zehn Tore und gab im Winter dem Focus ein vielbeachtetes Interview. „Salopp gesprochen, verblöde ich seit zehn Jahren, halte mich aber über Wasser, weil ich ganz gut kicken kann“, stand darin. Der Verein bekam danach massenweise Angebote von Bildungsinstituten, die sich um den Intellekt Petersens kümmern wollten. Dabei lehrt eigentlich die Lebenserfahrung, dass Menschen, die sich selbst für „verblödet“ erklären und das als Mangel empfinden, damit nur ihre Intelligenz unter Beweis stellen. Was er damals meinte, konkretisiert er im Frühsommer 2019. „Wenn man zu siebt an einem Tisch sitzt, wollen alle immer nur hören, was man so macht, und die anderen kommen gar nicht zu Wort.“ Das werde dann oft den Fußballern vorgeworfen, es heiße dann, sie seien abgehoben und hätten nur ein Thema drauf. Um zu vermeiden, dass dieses Klischee auf ihn zutrifft , nimmt sich Petersen regelmäßige Auszeiten vom Fußball. „Wenn ich frei habe, besuche ich meine Freundin bei ihrer Arbeit im Gericht und schaue einfach zu.“ Sehr spannend sei „dieses Büroleben“, findet er. „Ich kenne das normale Arbeitsleben ja gar nicht.“

      Im Jahr darauf, in der Saison 2017/18, traf er 15-mal. So langsam wurde es unheimlich. Denn Petersen war nun zweitbester Bundesliga-Torschütze hinter Robert Lewandowski. Und wer hätte das besser registrieren können als Bundestrainer Jogi Löw, der ja aus Gründen, die an anderer Stelle recherchiert werden müssen, auffallend viele Freiburger Heimspiele pro Saison sieht, auch die gegen Berlin oder Augsburg, bei denen die Quote an potenziellen deutschen Nationalspielern eher überschaubar ist. Nun hatte er einen ausgemacht: Nils Petersen, den er dann auch für zehn Tage zur WM-Vorbereitung mitnahm, dann aber aus dem Kader strich. Es ist müßig zu diskutieren, welche Fehler Löw im WM-Sommer in welcher Reihenfolge gemacht hat. In der Causa Petersen ist es sicher nachvollziehbar, dass Löw Petersen nicht zu seinen zwei gesetzten Stürmern zählte. Warum er ihn aber erst nominierte, um ihn dann wieder wegzuschicken, erschloss sich nicht. Schließlich weiß Löw als Dauergast im Freiburger Stadion ja ganz genau, was Petersen kann und was nicht. Dass er im Kreis der Nationalmannschaft plötzlich lauffauler, dafür aber flinker geworden war, ist eher unwahrscheinlich.

      Petersen selbst behauptet allerdings einigermaßen glaubwürdig, dass ihm die Ausbootung nichts ausgemacht habe: „Klar wäre ich gerne nach Russland mitgeflogen. Aber ich habe nicht lang gebraucht, um mir zu sagen, dass ich ein Länderspiel gemacht habe und damit Anfang Mai noch nicht im Traum gerechnet hätte.“ Doch das ist nicht der einzige Grund: „Und dann sind Christian Streich und ich ja beide so mit dem SC verwurzelt, dass wir beide schnell gesagt haben, dass es für den Verein gut ist, wenn ich eine normale Vorbereitung mitmachen kann.“

      Das klingt nun fast schon kitschig, doch Petersen zeigte in den Wochen nach der WM ziemlich deutlich,

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