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Bundesliga anders. Christoph Ruf
Читать онлайн.Название Bundesliga anders
Год выпуска 0
isbn 9783730704264
Автор произведения Christoph Ruf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Und selbst die beiden Hannover-Spiele können im Nachhinein als pädagogisch wertvolle Veranstaltungen gepriesen werden, veranschaulichen sie doch nur allzu plastisch, was jeder weiß, der den Sport-Club näher begleitet: Dieser Verein hat eine Chance, in der Bundesliga zu bestehen, wenn zwei Faktoren stimmen. Zum einen muss eine Mannschaft mit einer inneren Mitte auf dem Platz stehen. Zum anderen muss mit genau der Akribie und Genauigkeit gearbeitet werden, die in Hannover am 11. Mai 2019 fehlte. Und das in jedem Spiel.
Eigener Kopf, eigener Wille
Nils Petersen ist nicht nur bei den Fans beliebt. Auch in der Vereinsführung wären viele froh, wenn der Stürmer nach dem Karriereende im Verein bliebe. Vielleicht auch, weil er nicht alles rosarot sieht, was rund um den SC Freiburg passiert.
Über den merkwürdigen Sprachgebrauch in der Fußballbranche könnte man ein eigenes Kapitel schreiben. Die Journalisten, die jedes Wochenende Spielern und Trainern ihre Mikrofone entgegenhalten, wundern sich oft schon gar nicht mehr darüber, wenn Spieler „uns mal ein Riesenkompliment machen“ wollen. Auch wenn das ähnlich grotesk ist wie die legendäre Selbstbeschreibung von Andreas Möller, der fand, „dass ich immer sehr selbstkritisch bin, auch mir selbst gegenüber“. In einer Zunft , die sich selbst Komplimente macht, wird auch von Stürmern erwartet, dass sie nach Torerfolgen „einen raushauen“, ein „Ich stand da, wo ein Stürmer stehen muss“ sollte es schon sein. Besser wäre: „Das habe ich dann auch super gemacht.“
Von Nils Petersen sind solche Sätze nicht zu bekommen. Und das, obwohl er nach wie vor ein Tor nach dem anderen schießt. Vom ersten Tag in Freiburg an scheiterten alle Versuche, ihn der vielen Treffer wegen zum Heilsbringer zu verklären. Und das nicht nur an seinem routinierten Umgang mit den Fallstricken der Mediengesellschaft , sondern auch daran, dass er mit einer ganz natürlichen Bescheidenheit und einer realistischen Selbsteinschätzung gesegnet ist, die in der Branche selten ist. Petersen weiß, wie gut er wirklich ist: nicht so gut, um bei den sechs, sieben Topklubs der Liga ein Kandidat für die erste Elf zu sein. Aber gut genug, um für fast alle anderen Klubs in der Liga zur Waffe zu werden, für Freiburg allemal.
Petersen wurde im Januar 2015 geholt, weil der SC in der Hinrunde der Saison 2014/15 das Kunststück fertiggebracht hatte, in 17 Partien nur 17 Tore zu schießen – davon wurde nur eines von einem etatmäßigen Stürmer erzielt. Das sollte sich ab dem Moment ändern, als Petersen das Trikot mit dem Greif überstreift e. Petersen erzielte bereits bei seinem allerersten Einsatz in einem Pflichtspiel für den Sport-Club einen Hattrick – am 31. Januar gelangen ihm in 24 Minuten drei Treffer im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt. In den zwölf darauffolgenden Spielen, an denen er teilnahm, traf Petersen neunmal. Neun Treffer in 505 Minuten. In nur 505 Minuten. Petersen war in den Spielen, in denen er traf, fast immer nur eingewechselt worden. Was den Gepflogenheiten der Branche völlig zuwiderlief, andererseits sehr viel darüber verrät, wie Christian Streich Fußball versteht. Neben zehn Spielern aus dem real existierenden Freiburger Kader würde auch Neymar bei ihm nicht als Stürmer spielen. Denn er arbeitet zu wenig nach hinten, als dass die Normalbegabten das auffangen könnten.
Dass ein dermaßen guter Stürmer wie Petersen zunächst nicht zur ersten Elf gehörte, verstand auch in Freiburg nicht jeder. Doch er hatte, nachdem er im Badischen angekommen war, offenbar eine eher durchwachsene Wintervorbereitung hinter sich gebracht, vor allem läuferisch war er anfangs nach eigener Einschätzung noch nicht auf der Höhe. Das war auch der Hauptgrund, warum Streich zunächst auf Mike Frantz als zweite Spitze neben Admir Mehmedi setzte. Das Phänomen Karim Guédé, der nach seinem Wechsel vom Erstligisten Freiburg zum Zweitligisten Sandhausen kaum mehr zum Einsatz kam, erklärt sich wiederum so: Streich schätzte neben dessen menschlichen Qualitäten über alle Maßen, dass er vorne Betrieb machte, und sah ihm die fußballerischen Defizite nach, die anderswo ein Ausschlusskriterium gewesen wären. Dass Klemens Hartenbach Guédé im Sommer 2019 als Scout zurückholte, hat sich Guédé dennoch redlich verdient, zählte er doch in seinen Freiburger Jahren zu den Spielern, die mannschaft sintern am wichtigsten waren. Egal, ob sie nun spielten oder nicht.
Das Hannover-Trauma
Dass Streich in Nils Petersen schon damals einen Spieler erlebte, der sich trotz der Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung als Mann mit überragender sozialer Intelligenz entpuppte, freut ihn noch Jahre später so sehr, dass er es auch in Hintergrundgesprächen immer wieder hervorhebt: „Er hat das akzeptiert und seine Kollegen gepusht. Dass er so klasse reagiert, ist mir mindestens so wichtig wie die Tore. Wir brauchen diese Bereitschaft , sich hundertprozentig auf das Wohl der Mannschaft zu konzentrieren.“
Umso schlimmer war es, dass Petersen nach dem traumatischen Hannover-Spiel im Mai 2015 und dem feststehenden Abstieg in die zweite Liga seinen Abschied aus Freiburg verkündete. Wobei es wohl keinen einzigen Fan gab, der ihm das übel nahm. Was soll einer wie Petersen auch in der zweiten Liga? Zum Beispiel mit dem SC Freiburg im Montagsspiel gegen den 1. FC Nürnberg wieder drei Tore schießen. So geschehen am ersten Spieltag der Saison 2015/16.
Zu diesem Zeitpunkt lag der Tag, an dem die Freiburger Fans den Abstieg endgültig verschmerzt hatten, bereits einen Monat zurück: Am 28. Juni hatte im Möslestadion ein Testspiel gegen den Freiburger FC stattgefunden, das man (nur) mit 2:1 gewann. Zudem hatte sich der Sport-Club organisatorisch nicht so ganz auf der Höhe gezeigt. Schon am Eingang gab es lange Schlangen, weil viel zu wenige Kassenhäuschen geöffnet waren, das Chaos an den – ebenfalls viel zu wenigen – Getränkeständen spottete jeder Beschreibung. Und als gut und gerne 45 Minuten nach dem Abpfiff Spieler und Funktionäre an einem Biertisch Autogramme schrieben, taten das alle auf der gleichen Autogrammkarte mit seltsamem Motiv: Die Karte zeigte keinen Fußballspieler, sondern ein nacktes Trikot mit Sponsorenlogo. Viele Kinder, die mit leuchtenden Augen noch 45 Minuten nach dem Spiel in der Hitze ausgeharrt hatten, blickten traurig drein, als sie nach dem Unterschrift enparcours 30 identische, gleich hässliche Karten in der Hand hatten. Und die Moral von der Geschicht: Einiges, was beim SC Freiburg nicht ganz so perfekt durchorchestriert ist, ist ausgesprochen charmant. Aber nicht alles.
Die meisten älteren Fans, denen Autogramme herzlich egal sind, kümmerte das allerdings nicht. Weit wichtiger war ihnen die Nachricht, die in der Halbzeitpause von Sportvorstand Jochen Saier verkündet worden war: Nils Petersen, der seine Zelte in Bremen noch gar nicht richtig aufgeschlagen haben konnte, würde nun doch weiter beim SC spielen. 4.500 Freiburger Fußballfans brachen in lauten Jubel aus, als sie das aus den knarzenden Boxen hörten. Dass der vormals ausgeliehene Petersen, der – die Kaufoption war mit dem Abstieg hinfällig geworden – aus seinem Vertrag bei Werder herausgekauft werden musste, von sich aus den Schritt in die zweite Liga mitging, war natürlich eine faustdicke Überraschung. Zum einen, weil sein Berater in den vergangenen Wochen immer wieder betont hatte, dass sein Schützling Freiburg verlassen werde. Und zum anderen, weil offenbar tatsächlich einige Erstligisten um ihn gebuhlt hatten.
Schon in den Wochen zuvor hatte es immer wieder Gerüchte gegeben, der Goalgetter tue sich mit dem Vereinswechsel schwerer, als mancher glauben machen wollte. Seine Wohnung in Freiburg hatte Petersen jedenfalls nicht gekündigt. Dem Verein schien es in den Wochen zwischen seinem Weggang und seiner Rückkehr jedenfalls gelungen zu sein, den Stürmer davon zu überzeugen, dass der neu zusammengestellte