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Bundesliga anders. Christoph Ruf
Читать онлайн.Название Bundesliga anders
Год выпуска 0
isbn 9783730704264
Автор произведения Christoph Ruf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
In einer Pressekonferenz hat Streich einmal etwas detaillierter über den Spagat zwischen Professionalisierung und Leistungsorientierung einerseits gesprochen und den Eigenschaft en, die den „Lehrer“ im „Fußballlehrer“ ausmachen. „Die Professionalisierung war gut, ich selbst habe ja als A-Jugendtrainer davon profitiert“, sagte er unter Berufung auf die Tatsache, dass er damals, nach den Unijahren, beim SC eine feste Stelle als Jugendtrainer bekam. Aber bevor man die Jugendlichen ins kalte Wasser werfe, müsse der richtige Zeitpunkt erreicht sein. „Sie müssen so weit sein, man darf sie nicht verbrennen.“ Genau das passiere aber oft . Noch öft er allerdings bekämen bestens ausgebildete Nachwuchsspieler nie die Chance zum ersten Bundesligaeinsatz, weil ihnen immer wieder teuer eingekauft e ältere Spieler vorgezogen würden. In beiden Fällen bleibe etwas Entscheidendes auf der Strecke, so Streich. „Das Wichtigste ist der Bezug zu den Kindern und Jugendlichen. Die Jungs wollen ja einen strengen Trainer, sie wollen aber auch einen, der ein bisschen Vater ist. Einen, bei dem sie wissen: Der ist mir nah, der ist die ganze Zeit da.“
Streich hat die Erfahrung gemacht, dass ehemalige Spieler, die er nach ihrem Karriereende wiedertrifft , in aller Regel nicht zuerst über herausragende Spiele ihrer Laufbahn sprechen, sondern über etwas, das offenbar nachhaltiger in Erinnerung bleibt als die Begegnungen mit den Stars der Liga: „Wenn du Spieler nach ihrer Karriere fragst, was hängen geblieben ist, kommt immer etwas Persönliches.“ Doch genau das, so Streich, vermisse er in unserer kurzlebigen Zeit. „Es gibt Internate, die sehen aus wie Raumschiffe“, weiß er, der auch die Sprache solch unwirtlicher Orte kritisiert. Bei Vokabeln wie „Spielermaterial“ schüttelt es ihn ebenso wie bei dem Postulat, dass Spieler „funktionieren“ müssten. „Spielermaterial“, so Streich, „gibt es nicht. Es gibt junge Menschen.“
Doch natürlich geht es auch beim SC darum, möglichst viele gut ausgebildete Profispieler heranzuziehen. Und das klappte in den letzten Jahren sehr gut: In den vergangenen zehn Spielzeiten standen im Schnitt pro Saison vier Spieler aus der eigenen Ausbildung im Profikader des SC. Kolossal erfolgreich waren auch die A-Jugend-Teams. 2006, 2009, 2011, 2012, 2014 und 2018 gewannen die Freiburger den DFB-Junioren-Vereinspokal. Damit ist der SC Rekordhalter in diesem Wettbewerb.
Zurück zu den baden-württembergischen Nachbarn des Sport-Clubs. In Freiburg wäre es aus den genannten Gründen unmöglich, dem A-Jugendtrainer, nachdem er vier Jahre im Verein tätig war, charakterliche Defizite vorzuwerfen. Man stellt ja auch bei seiner Ehefrau nicht im fünft en Ehejahr fest, welche Haarfarbe sie hat. Undenkbar auch, dass der Vertrag mit einem Trainer erst um zwei Jahre verlängert wird, um ihn in der Anfangsphase einer Saison mit der Begründung zu entlassen, er habe die eingeforderte Spielweise nicht umgesetzt. Wer aber – um beim anfangs erwähnten Stuttgarter Beispiel zu bleiben – von einem Trainer wie Tayfun Korkut attraktiven Offensivfußball erwartet, könnte auch Jogi Löw einstellen, wenn er einen Trainer mit der hemdsärmeligen Außendarstellung von Peter Neururer sucht.
In Freiburg hingegen blieben die Cheft rainer der vergangenen Jahre (fast) alle überdurchschnittlich lange im Amt. Volker Finke (1991 bis 2007) und Christian Streich (seit 2011) waren bzw. sind mit großem Abstand die jeweils dienstältesten Trainer ihrer Zeit. Und auch Robin Dutt (2007 bis 2011) wäre wohl noch etwas länger Trainer geblieben, wenn er nicht von sich aus nach Leverkusen hätte wechseln wollen. Lediglich Marcus Sorg scheiterte kurzfristig. Dass er und nicht sofort Streich Trainer wurde, gehört zu den gravierendsten Fehleinschätzungen der letzten drei Dekaden. Sie wurde nach wenigen Monaten korrigiert. Gerade noch rechtzeitig, um den Abstieg zu vermeiden.
Was jedoch allen Trainern – auch Sorg – gemeinsam war, ist die Akribie, mit der der Nachwuchsbereich beobachtet wird. Während es in der Branche alles andere als unüblich ist, als Profitrainer allenfalls die Namen der drei hoffnungsvollsten Talente im eigenen Nachwuchs zu kennen und sich deren Spiele niemals selbst anzuschauen, wäre das in Freiburg undenkbar. Wie bereits Finke, Dutt oder auch Sorg wissen heute sowohl Trainer Streich als auch Klemens Hartenbach und Jochen Saier, in welcher Aufstellung die Freiburger A-Jugend das Wochenende zuvor gespielt hat – oft , weil sie selbst vor Ort waren. Damit führen sie gewissermaßen eine Tradition fort. Schon der verstorbene Präsident Achim Stocker ging gerne sonntags mit seinem Hund auf der Gegentribüne spazieren und schaute sich die Spiele an. Auch Volker Finke hatte seine Lieblingsecke im Möslestadion.
„Natürlich ist das so, wenn du Cheft rainer in Freiburg bist“, sagt dazu Christian Streich. „Das geht auch nicht anders, wenn du beim SC Freiburg arbeitest. Das wäre absolut fahrlässig.“ Zumal die Bedingungen, unter denen der SC versucht, kluge Transfers zu tätigen, mit jeder Transferperiode schwieriger werden.
Es gibt keine Oasen mehr
Denn schon längst gibt es sie nicht mehr, die Oasen bei der Spielersichtung, die von den Spähern der großen Vereine gemieden werden. Während es zu Finkes Zeiten noch Späße über die ganzen Kicker gab, deren Nachnamen auf -vili endeten, sind heute auch Georgien oder Mali (wo Finke bei Soumaila Coulibaly und Boubacar Diarra fündig wurde) von hunderten Scouts durchkartografiert, die für die europäischen und asiatischen Topligen arbeiten. Als Jochen Saier in der türkischen zweiten Liga – wie er glaubte, noch ein blinder Fleck auf der Fußballlandkarte – einen gewissen Çağlar Söyüncü beobachtete, winkte ihm von der Tribüne des Vereins Altınordu Izmir ein Kollege von einem deutschen Erstligisten zu. Dabei fliegen Saier und vor allem Chefscout Hartenbach immer noch überallhin, wo ihnen ein Spieler auffällt, der gut ins Konzept passt. Sie beobachten ihn mehrfach über 90 Minuten und werben für ihren Verein und ihre Stadt – wohlwissend, dass sie immer dann sowieso keine Chance haben, wenn der Spieler vor allem am finanziellen Teil der Vertragsbedingungen interessiert ist.
Natürlich zahlt auch der Sport-Club mittlerweile horrende Gehälter – gewiss nicht im Ligavergleich, aber auch da hat er zumindest aufgeholt. Und so sind die Argumente, mit denen Spieler nach Freiburg gelockt werden, seit Jahren die gleichen: die Lebensqualität der Stadt. Die Tatsache, dass viele, die als hoffnungsvolle Talente zum SC kamen, zwei, drei Jahre später anderswo einen richtig großen Vertrag unterschrieben haben. Weil die Chance hoch ist, dass sie Einsatzzeiten bekommen, weil sie Fehler machen dürfen und einen Trainer haben, der nicht nur fordert, dass sie „mehr anbieten“ müssen, sondern der so lange an ihren Defiziten feilt, bis sie im Idealfall wichtige Stammspieler sind. Wer es beim Sport-Club nicht schafft , heißt es, hat bei den Managern der Ligakonkurrenz erst mal ein Manko: Wenn er es da nicht schafft , denkt sich der ein oder andere, wo sie so viel Zeit mit ihm verbringen, dann wird er es nirgendwo schaffen.
Das Repertoire der Argumente, mit denen die SC-Verantwortlichen für die Vertragsunterschrift in Freiburg werben, ist seit Jahren unverändert. Doch die ökonomischen Rahmenbedingungen haben sich radikal geändert – zu Ungunsten klammer Bundesligisten wie Nürnberg oder Freiburg, die beide in der Saison 2018/19 genau wussten, dass sie keine Chance haben, wenn betuchte Zweitligisten wie Köln und der HSV (aber nicht nur die) ein Konkurrenzangebot abgaben.
Doch damit nicht genug der Unbill. Denn auch die Explosion der finanziellen Ausstattung auf der Insel macht Vereinen wie dem SC zu schaffen. Seit die Premier League einen Fernsehvertrag abgeschlossen hat, der ihr für drei Jahre rund 5,4 Milliarden Euro allein aus der Inlands-TV-Vermarktung verschafft , werfen die Engländer mit dem Geld nur so um sich. Hinzu kommen Auslandsvermarktung sowie Merchandise- und Ticketerlöse, die um ein Vielfaches höher liegen als bei deutschen Klubs. Wenn in Bangkok oder Kalifornien ein Jugendlicher mit Freiburg-Trikot gesichtet wird, ist es unter Garantie ein deutscher Tourist. Trägt er ein Sunderland-Trikot, kann er durchaus ein Einheimischer sein, macht er für Manchester City oder Real Madrid die Litfaßsäule, ist er garantiert einer. Wenn englische Vereine um Spieler wie Leroy Sané, İlkay Gündoğan, Pierre-Emerick Aubameyang oder Kevin de Bruyne buhlen, haben selbst die deutschen Branchenriesen keine Chance mehr, ihre Stars vom Verbleib in der Bundesliga zu überzeugen. Wie sollte Freiburg da argumentieren, wenn Leicester City Çağlar Söyüncü verpflichten will? Wenn der Letzte der Premier League insgesamt mehr Fernsehgelder bekommt als der FC Bayern, sind die Verhältnisse klar.
Leben an der Kante
Wie viel stimmen muss, wenn der Sport-Club Erstligist bleiben will, hat er in der jüngeren Vergangenheit gleich zweimal im Auswärtsspiel bei Hannover