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damit willst du ein Bergrennen fahren? Gegen Porsche, Maserati und Co.?« Pauls Stimme klang eher belustigt als erstaunt.

      »Das ist eine GLP, eine Berggleichmäßigkeitsprüfung. Es ist nicht so, dass der Schnellste gewinnt. Du hast zwei Trainingsläufe und dann zwei möglichst zeitgleich zu fahrende Wertungsläufe.«

      »Und jetzt willst du mit mir einen Testlauf machen?«

      »Aber nein, das ist eigentlich untersagt. Ich fahr einfach mal die Strecke bis hoch zum Schloss, und du schaust halt aus Versehen auf die Uhr, ja?«

      Paul gab sich geschlagen, genoss die abwechslungsreiche Landschaft und schielte ab und zu verstohlen zu Milka hinüber, die konzentriert und umsichtig fuhr.

      »Ab da vorn, Paul, ab der Brücke bitte Zeit nehmen.«

      »Bist du jetzt zufrieden, Milka?«

      Nach dem obligatorischen Besuch des Deutschen Automuseums im Schloss Langenburg saßen sie unter einem riesigen gelben Sonnenschirm auf der Terrasse des Schlosscafés bei einem bunten Sommersalat mit Frischkäsetasche für Milka. Mit einem herrlichen Blick hinunter ins sattgrüne Jagsttal, zum kleinen Ort Bächlingen und auf die Orangerie und den weitläufigen Barockgarten. Paul, im Status eines Junggesellen, benötigte eine deftigere Stärkung, obwohl er in letzter Zeit häufig Kostgänger bei den Mayrs war. Und das nicht nur, weil es dort gut schmeckte. Er bestellte einen Schwäbischen Zwiebelrostbraten mit Spätzle und Salat.

      »Hast du von diesen Gerichtsmedizinern aus Heidelberg etwas gehört? Irgendeine Information zu dem Toten?«

      Paul gab etwas Zucker in seinen Espresso, verneinte. »Habe ich auch nicht erwartet. Karle ist ihr Ansprechpartner.« Paul streckte sich und korrigierte den Sitz seiner Sonnenbrille. »Warum fragst du?« Nicht, dass er es wirklich wissen wollte. Es war eher eine belanglose Floskel. Ein externer Fall, nicht seine Zuständigkeit.

      »Mir ist da was eingefallen.«

      Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis der Kriminalhauptkommissar Milkas Antwort inhaltlich registrierte. »Du meinst jetzt nicht …«

      »Doch.«

      Paul räumte sich erneut Bedenkzeit ein, bevor er nachfragte. Nicht gerade unwirsch, aber doch so, als würde er das Thema am liebsten über die Brüstungsmauer ins Tal kippen. »Und was?«

      Milka ignorierte seine Unwilligkeit. »Stell dir mal vor, dieser Angler sitzt da, in der sengenden Sonne. Und wartet. Wartet darauf, dass ein Fisch beißt. Es ist heiß. Richtig heiß.«

      »Milka, bitte!«

      »Er bekommt Durst. Richtigen Durst. Was macht er?«

      »Er trinkt, verflixt auch. Was ist da …«

      »Habt ihr was gefunden? Eine Flasche, eine Milchtüte, irgendwas?«

      »Den Angler möcht’ ich sehen, der in der Sommerhitze eine Tüte Milch neben sich stehen hat. Hm. Aber du hast recht. Es wurde alles abgesucht. Und in seinem Anglerkorb war auch nichts. Vielleicht hat er Jagstwasser geschöpft.«

      »Da hätte er springen müssen. Was machst du, wenn du beispielsweise ein Bier kalt oder zumindest kühl halten willst? Du bindest die Flasche fest und hängst sie ins Wasser.«

      Pauls Kombinationsgabe erwachte zu neuem Leben. »Da er bereits mehrere Fische gefangen hatte, könnte man vermuten, dass nicht mehr viel in der Flasche war. Aber, vielleicht, seine Fingerabdrücke drauf.«

      »Wir fahren jetzt da hin und sehen nach.«

      »Nix da. Ich ruf Karle an, der soll jemanden vorbeischicken.«

      »Nein. Wenn dann nichts ist, stehe ich da wie ein Idiot. Wenn du nicht mit willst, bitte. Dann hol ich dich hier wieder ab.« Milka stampfte zur Bekräftigung mit dem linken Fuß auf.

      »Liebe Milka, manchmal bist du schon …«

      »Was bin ich, Paul? Sag’s schon. Nur Mut.«

      »… so stur, na ja, so störrisch, wie ein Esel.«

      »Eselin. Esel sind nicht stur, sie geben dem Menschen nur die Chance, seine Fehler zu erkennen.« Paul gab sich geschlagen.

      Nun war Milka nicht einfach nur stur. Nicht im Sinn von bockig. Und nicht, dass sie neben ihrer Meinung keine andere duldete. Rechthaberisch war sie ganz und gar nicht. Milka nahm sich aber Zeit, analysierte, wog ab, versuchte, die Dinge zu drehen, sie aus anderen Winkeln zu betrachten. Hatte sie sich eine Meinung gebildet, ein Ziel vor Augen, bedurfte es überzeugender Argumente, sie umzustimmen. Andererseits ließ Milka auch Raum für Empfindungen. Sie schloss Gefühle nicht aus. Am wenigsten die Gefühle für ihre Familie, die Menschen, mit denen sie zu tun hatte. Ihr war bewusst, dass rationale Argumente allein nicht überzeugen konnten. Meist jedenfalls.

      Und selbstverständlich wusste das alles auch Paul Eichert. Manchmal war es zwischen ihm und Milka eine Art Spiel. Zu sehen, zu hören, wie der andere argumentierte, antwortete.

      Milkas Vertrauen in ihren Käfer war am Wachsen. Dass es sich jetzt um die Jungfernfahrt handelte, das hatte sie Paul vorsichtshalber verschwiegen. Mit einem beherzten Tritt aufs Gaspedal nahm sie Anlauf, um den Anstieg zur nächsten Ortschaft zu nehmen. Als sie sich Künzelsau näherten, unternahm Paul den erneuten Versuch eines Abbruchs ihres Vorhabens mit bürokratischem Hinweis auf die Zuständigkeit der lokalen Kripo und einer kritischen Anmerkung zum Tankinhalt des Käfers. Milka blockte das durchsichtige Argument ab. In Bieringen nahm sie die Brücke über die Jagst, dann links den Weg Zum Lauschbusch, fuhr langsam über den holprigen Waldweg, passierte die Fundstelle und hielt am Wegrand, als sie links die schmale Lichtung zum Ufer erreichte.

      Das Gras zeigte deutliche Spuren der gestrigen Trampelei. »Wo würdest du als Angler deine Flasche kühl halten? Im Schatten eines Baumes oder im Wasser?« Milka ging vor bis zum Ufer, suchte alles ab. Nichts. Sie drehte sich nach Paul um. Der stand ganz links, neben einer buschigen, ausladenden Purpurweide und zog offensichtlich an einer Schnur – so dünn, dass Milka sie auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Paul zog weiter, langsam jetzt. Einen Augenblick später hielt er am Ende der Angelschnur eine Bierflasche hoch. So triumphierend, als hätte er gerade mit der bloßen Hand eine kapitale Forelle aus einem Gebirgsbach gefischt. »Du hattest recht. Eine Bügelflasche.«

      Milka beäugte den Fund. »Da ist was drin.«

      »Bier vielleicht?«, sagte Paul in leicht süffisantem Ton.

      »Sieht eher nach Papier aus. Steckt ganz oben.«

      »Stimmt. Das Ding bringen wir Karle auf dem Rückweg.«

      »Der ist bestimmt nicht im Büro. Nicht heute. Und ich will wissen, ob da was draufsteht.«

      Es bedurfte Milkas hartnäckiger Überzeugungskraft und mehrerer Papiertaschentücher aus dem Handschuhfach des Käfers sowie einer Pinzette aus dem Erste-Hilfe-Kasten, bevor es Milka gelang, den Zettel weitgehend unbeschädigt aus der Flasche zu ziehen. Paul kommentierte den Vorgang vorrangig unter dem Aspekt, Fingerabdrücke nicht zu verwischen. Milka wollte wissen, was auf dem Zettel stand. Unter Pauls gewissenhafter Aufsicht rollte sie das lädierte Papier behutsam auf, es nur mit Pinzette und Taschentuch berührend. Die Schrift war krakelig und an verschiedenen Stellen kaum zu entziffern.

      »Hm, merkwürdig«, kommentierte Milka sibyllinisch.

      »Wieso? Ist doch eine recht klare Aussage«, sagte Paul. Er zückte sein Smartphone und fotografierte den Zettel und die Fundstelle der Flasche. »So, das packen wir alles ein und geben es auf dem Rückweg bei Karle ab.«

      »So klar nun auch wieder nicht. Warum nennt er nicht Ross und Reiter? Sagt, wer ihm an die Gurgel will. Und warum.«

      »Du meinst, so wie in den Krimis, wenn der Angeschossene mit letzter Kraft die Anfangsbuchstaben des Täters in den Sand schreibt. Vielleicht kam er nicht mehr dazu. Dachte, er hätte mehr Zeit.«

      »Das könnte sein. Paul, da ist noch was.«

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