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      Sie schreckte hoch. »Ja?«

      »Kommissar Karle schlug gerade vor, hier in Krautheim in der Gaststätte zum Rad eine Kleinigkeit zu essen. Ist das okay für dich?«

      »Ja sicher.« Im gleichen Moment bereute sie ihre Zusage. Eigentlich verspürte sie keinen Hunger und eine sicher belebte, laute Gasthausstube widersprach eigentlich ihrem momentanen Gemütszustand. Andererseits fehlte ihr die Energie, sich zu weigern und damit eine Diskussion auszulösen.

      Milka atmete erleichtert auf, als sie das Lokal betraten. Nur an zwei Tischen saßen Gäste. Sie wählten einen entfernten Ecktisch.

      Milkas Versuch, jedwede Nahrungsaufnahme zu verweigern und nur eine Apfelsaftschorle zu trinken, wurde von Hauptkommissar Karle entschieden abgeblockt – mit dem Hinweis, dies sei seine Einladung, sein Revier, und überhaupt. Schließlich musste sie seiner Empfehlung zu Kalbsbäckchen in Rahmsoße mit Spätzle und Salat Folge leisten. »Einen Seniorenteller«, rief sie der Wirtin nach, eingedenk ihrer Appetitlosigkeit.

      »So äbbes hem’r ned«, kam es zurück, »s’isch ned so arg viel.«

      Milka war froh, dass sich das Gespräch um, aus ihrer Sicht, eher belanglose Inhalte drehte. Die Konsequenzen der Polizeireform, neue Analysemethoden, die Kriminalstatistik im Landkreis. Für Milka war es nur ein Hintergrundrauschen, und so konnte sie ihren eigenen Gedanken nachhängen, bis die Wirtin das Essen auftrug. Zu ihrer eigenen Verwunderung entwickelte sie nach den ersten Bissen einen gesunden Appetit, es schmeckte auch zu gut. Als Karle dann doch auf den Mord zu sprechen kam, hatte Milka gerade ihren leer gegessenen Teller beiseitegeschoben und eine zweite Schorle bestellt.

      »Die Tat soll ja vor gut einer Woche begangen worden sein. Mich wundert, dass in diesem Zeitraum keine Vermisstenmeldung auf unseren Tisch kam.«

      »Viele Möglichkeiten«, meinte Paul Eichert. »Kann sein, er kommt von außerhalb, macht Urlaub, ist alleinstehend.«

      »Muss er nicht eine Erlaubnis zum Angeln haben?«, warf Milka ein. »Ihre Leute könnten beim Hohenloher Fischereiverein nachfragen.«

      »Ja, die Idee kam mir auch. Wenn er eine Gastkarte hat, dann wäre das wahrscheinlich ein Volltreffer. Ist er Mitglied, dann wird es schon schwieriger. Unsere IT-Spezialisten müssen mal zusehen, ob sie eine der Aufnahmen so bearbeiten können, dass ein halbwegs erkennbares Gesicht entsteht. Das Foto der Leiche kann ich unmöglich herumreichen.«

      »Dem Anglerkorb konnten Sie nichts entnehmen, kein Handy, kein …?«

      »Nichts«, sagte Karle in Milkas Satz hinein. »Kein Angelschein, kein Ausweis, kein Ring, keine Uhr – na ja, wir wissen, warum. Keine Geldbörse, kein Autoschlüssel. Absolut nichts, was irgendwie einen Hinweis auf die Identität des Toten geben könnte.«

      »Also war jemand sehr gründlich«, folgerte Paul Eichert. »Unter der Annahme, dass ein Angler nicht in Gummistiefeln, Angelausrüstung und Klappstuhl Bus fährt, muss jemand sein Auto genommen haben.«

      »Muss nicht, spricht aber einiges dafür.«

      »Vielleicht sollten Sie doch die Jagst absuchen lassen.« Paul Eichert brachte den Vorschlag eher beiläufig, ins Off gesprochen vor.

      Karle grinste. »Wollte diesem jungen Riegel nicht das Wort reden. Die Suche ist bereits veranlasst. Wir werden den Wald entlang des Weges absuchen und zwei Taucher in die Jagst schicken. Glaube zwar nicht, dass wir was finden, dran vorbei kommen wir aber nicht.«

      »Irgendwie«, sagte Kriminalhauptkommissar Karle, als er Milkas Sporttasche in Paul Eicherts Auto umlud, »gefällt mir die Sache ganz und gar nicht.«

      Paul hörte mit. »Ja? Ich ahne, was Sie meinen.«

      Karle nickte. »Sie denken so wie ich. Das ist kein einfacher Mord. Hast du die feste Absicht, eine Person umzubringen, dann gehst du hin, haust ihr mit einem harten Gegenstand eins über die Rübe. Und wenn notwendig, dann eben nochmal. Aber du säbelst keine Hände ab, entfernst nicht alle Hinweise auf ihre Identität, versuchst nicht, sie zu verbergen, damit sie nicht so schnell gefunden wird, und fährst dann kaltblütig mit dem Wagen des Opfers weg. Nein und nochmals nein. Das wird uns länger beschäftigen, fürchte ich.«

      Euch in Künzelsau, dachte Milka. Nicht Paul, und schon gar nicht mich.

      Sie sollte sich irren.

      Kapitel 2 – Sonntag

      Milkas Nacht war kurz. Ihr Bruder Christoph hatte sie am gestrigen Abend wegen einer anscheinend unaufschiebbaren Ersatzinvestition in Beschlag genommen. Es gab zwar keine schriftliche Festlegung, aber eine gewachsene Verantwortung. Milka war für Marketing, Vertrieb und für Buchführung und Finanzen zuständig. Jedenfalls bedurfte der neue Trecker ihrer Zustimmung. Die Diskussion entzündete sich an den Sonderausstattungen, die den vorgesehenen Finanzierungsrahmen sprengten. Wie immer wurde es ein Kompromiss, der mit den beiden Kooperationspartnern und Mitnutzern abzustimmen war. Und wie immer dauerte es lang, trotz des guten Verhältnisses zwischen Bruder und Schwester. Und dann hatte es Ewigkeiten gedauert, bis sie einschlafen konnte. Es gab da etwas, das ihr am Tatort aufgefallen war. Etwas, das nur für einen winzigen Augenblick in ihr Blickfeld geraten war. Oder, sie zweifelte, hatte sie sich das nur eingebildet? Sie haderte mit ihrem Gedächtnis.

      Wie üblich meldete sich ihr innerer Wecker kurz vor 6 Uhr. Milka blieb liegen, ging in Gedanken ihr Meeting mit Beate Balzer, zuständig für den Hofladen, und den Brüdern Lukas und Tim Holl vom benachbarten Betrieb durch.

      Sie kam später als sonst zum Frühstück. Bettina, ihre Schwägerin, redete gerade auf ihre beiden Kinder Jonas und Laura ein. Es ging um eine Theaterprobe, die ausgerechnet heute Vormittag stattfinden sollte. Ihr Vater Georg, 65 Jahre alt, war bereits irgendwo auf dem Hofgut unterwegs. Christoph blickte von der Zeitung auf. »Kaffee?«

      »Und ob. Steht was Wichtiges in der Zeitung?« Sie griff nach dem Bauernbrot und der Butter.

      »Wir werden wieder mal aufs Korn genommen. Ein Rundumschlag von A wie Antibiotika über G wie Gülle bis Z wie Zerstörung der Insektenwelt. Von den Bienen ganz zu schweigen. Die Wunschliste an uns ist riesengroß. Ach was, Wunschliste. Es sind alles Forderungen. Dabei mussten in den vergangenen zehn Jahren mehr als 100.000 Höfe aufgeben.«

      »Das hatte nicht nur wirtschaftliche Gründe, Christoph«, warf Milka kauend ein.

      »Stimmt ja. Aber trotzdem.«

      Bettina bugsierte ihre Kinder zur Tür, die zwölfjährige Laura, riss sich wieder los. »Ich hab morgen meine erste Reitstunde. Kommst du dazu?«, flüsterte sie Milka ins Ohr. »Bitte!«

      Milka nickte. »Bei den Paludis?«

      »Ja. Britta macht das. Danke.« Sie eilte zur Tür. »Um 14 Uhr!«

      Milka wechselte von ihrem kleinen Büro zum Hofladen, der sich seit der Neugestaltung im Vorjahr immer besser entwickelte. Abgelehnt hatte sie bislang allerdings, zusätzlich auch einen Bio-Lieferservice anzubieten. Nachdem aber viele Stammkunden nachfragten und es ihr gelungen war, mehrere Heime und Firmenkantinen als Abnehmer zu gewinnen, änderte sie langsam ihre Meinung.

      Lukas und Tim Holl, deren benachbarter Hof zu ihrem kleinen Kooperationsverbund gehörte, saßen bereits mit Beate Balzer, der Leiterin des Hofladens, am großen Tisch vor der Theke.

      Milka stellte das Konzept vor, unterbreitete Vorschläge für die Hinzunahme von Waren aus fremder Produktion, um das Angebotssortiment auf eine breitere Basis zu stellen. »Eines muss klar sein«, betonte Milka, »die Produkte aus unserer Kooperation müssen überwiegen. Und das, was wir dazu nehmen, muss ausnahmslos unseren Bio-Anforderungen entsprechen.« Allgemeines Nicken. »Und wir dürfen uns nicht verzetteln.«

      Tim Holl demonstrierte eine Vorversion der Internetseite, auf der die Kunden ihre Warenbestellung vornehmen sollten. Die Diskussion übersprang die Funktionen, entzündete sich an der grafischen Darstellung und den Bildern. Bis Tim laut wurde: »Diese Fotos, das sind doch nur Platzhalter. Ihr müsst aber endlich eine Lösung für die Auslieferung finden. Die sollten

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