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Und was?«

      »Etwa 400 Meter flussaufwärts öffnet sich der Wald zum Ufer hin. Auf der kleinen Wiese liegen neben einem umgekippten Klappsessel eine Angel und ein Anglerkorb. Und Gummistiefel. Kein Angler weit und breit.«

      »Hm.« Der Kommissar fand die Entdeckung nicht gerade weltbewegend. »Vielleicht musste er mal?« Karle grinste.

      »Es roch nach verfaultem Fisch.« Milkas Kommentar veranlasste die beiden Kommissare zu einem kurzen Blickaustausch.

      »Kommen Sie, da fahren wir hin.«

      Milka deutete auf die gut erkennbare Spur, die sie in dem hohen Gras hinterlassen hatte. Hauptkommissar Karle ließ seinen Blick prüfend über die freie Uferstelle gleiten. »Sie sind dann da vorn herumgelaufen und haben sich umgeschaut?«

      »Keineswegs. Ein paar Schritte nach vorn, haargenau auf dieser Spur wieder zurück.«

      Der Kommissar zeigte sich einigermaßen verblüfft, griff nach seinem Handy und rief zwei Mitarbeiter der Spurensicherung. »Sie müssen wissen, Frau Mayr, Herr Riegel äußerte die Vermutung, der Tod könnte an anderer Stelle eingetreten sein – ein heftiger Schlag auf Gesicht und Schläfe.«

      Milkas Augen glänzten, als Karle ihr nach Ankunft der Spurensicherung einen Schutzanzug bot. Beim Überziehen warf sie Paul einen Ätsch-Blick zu, gemildert durch ein spitzbübisches Grinsen.

      Paul verschluckte seinen bissigen Kommentar, als er sah, wie Doktor Sven Rühle und sein Assistent, bis auf die Kapuzen bereits eingekleidet, einem Einsatzfahrzeug entstiegen. Peter Riegels verschwörerisches Zwinkern, als er an Milka vorbei eilte, entging ihm nicht. Milka stapfte hinterher, blieb auf der Spur und hielt in gebührendem Abstand zur Anglerausrüstung inne. Hier konnte sie nur stören. Das dachten wohl auch die beiden Hauptkommissare, die eine abwartende Beobachterposition einnahmen. Milka gesellte sich dazu.

      »Die müssen Verdächtiges gefunden haben«, vermutete Kriminalhauptkommissar Karle angesichts der konzentrierten Aktionen. Er fand sich bestätigt, als gleich darauf der Fotograf mit seiner Ausrüstung erschien. »Sie haben eine hervorragende Beobachtungsgabe, Frau Mayr. Bin gespannt, was die herausfinden, und …« Er fummelte unter seinem Overall herum, als sein Handy plötzlich losheulte. Paul schreckte auf, Milka konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Statt eines gewöhnlichen Klingeltons war eine amerikanische Polizeisirene zu vernehmen. »Ja, ich höre … ja, okay. Die Adresse habt ihr bereits? Gebe ich weiter.«

      Peter Riegel kam auf sie zu, streifte seine Kapuze ab und öffnete den Overall. »Kurzer Bericht: Wir haben Fußspuren von mindestens zwei verschiedenen Personen gefunden. Zu vermuten ist, dass eine davon wohl der Angler war. Dann …«

      »Und das ist unser Toter«, unterbrach Karle.

      »Mit großer Wahrscheinlichkeit. Dann gibt es Blutspuren. Auch hier nur eine Vermutung: Der Schlag auf Gesicht und Schläfe könnte hier, an dieser Stelle, erfolgt sein. Jedenfalls sind Blutspuren vorhanden. Ein DNA-Abgleich wird das klären.«

      »Eine Blutmenge, die auf ein Abhacken der Hände an diesem Ort schließen lässt?«, warf Milka ein.

      Riegel schüttelte den Kopf. »Definitiv nicht. Das muss am Fundort der Leiche erfolgt sein.« Der Assistent, das gewiss grausige Geschehen anscheinend ignorierend, lächelte Milka an. So, als hätte sie ihn gerade zu einem privaten Kerzenscheinsouper eingeladen. »Doktor Rühle meint, der Schlag auf den Kopf könnte bereits tödlich gewesen sein. Das wird sich bei der Obduktion erweisen.« Er richtete den Blick auf Karle, der nickte. »Ihr Opfer ist bereits auf dem Weg nach Heidelberg. Haben Sie so was wie eine Tatwaffe gefunden? Ich meine, für den Schlag, der dem Mann versetzt wurde?«

      Riegel verneinte. »Wir haben hier alles abgesucht – außer …« Er blickte auf die träge dahinfließende Jagst.

      »Sie meinen …«, setzte Karle an, stockte abrupt, als ihm der Rattenschwanz an Konsequenzen bewusst wurde.

      »Tja, liegt an Ihnen. Wenn die Dichte der verwendeten Waffe größer als die Dichte von Wasser war, können Sie im Bereich der Wurfweite suchen. War die Dichte kleiner als ein Gramm je Kubikzentimeter, ist sie Ihnen weggeschwommen.«

      Karle nahm es mit Humor. »Finden Sie das jetzt hilfreich?«

      »Nicht wirklich. Reine Schulphysik.« Riegel hörte unvermittelt auf zu grinsen, als sich Doktor Rühle zu ihnen gesellte. »Wir sind jetzt hier durch. Unsere Hausaufgaben müssen wir am Institut erledigen. Und fragen Sie mich nicht, wann der Bericht kommt. Keine Ahnung, was alles zwischenzeitlich in Heidelberg auf meinem Seziertisch gelandet ist.«

      »Wenigstens eine kleine, eine erste vorsichtige Einschätzung?« Karle wollte sich nicht so schnell abspeisen lassen.

      Der Rechtsmediziner streifte seinen Overall ab und reichte ihn an Riegel weiter. »Das hat er Ihnen doch bestimmt schon erklärt. Also: Vor etwa einer Woche wurde der Mann an dieser Stelle mit einem stabartigen Gegenstand geschlagen. Ob der Schlag tödlich war? Hm, vermutlich. Wir werden sehen. Täter: eventuell eine Person, können auch zwei gewesen sein. Lässt sich aus den Spuren nicht klar erkennen. Einfach zu lange her.«

      »Eine Woche?« Paul Eichert griff Riegels Andeutung auf.

      »Plus ein oder zwei Tage. Werden wir ziemlich genau bestimmen können. Wir holen uns später die Wetterdaten.«

      »Und nach dem Schlag wurde er zum Fundort geschafft?«

      »Bei dem Gewicht des Mannes voraussichtlich mit einem Fahrzeug, ist immerhin ein halber Kilometer oder so«, sagte der Rechtsmediziner.

      Oliver Karle nickte, als teile er die Einschätzung. »Dann könnten Blutspuren im Fahrzeug sein. Das Gesicht ist schließlich übel zugerichtet.«

      »Da können Sie zuvor eine Plastiktüte drüber stülpen, damit nicht alles versaut wird. Aber theoretisch haben Sie recht.«

      »Wie alt schätzen Sie denn das Opfer?«

      »Schwer zu sagen«, Rühle zog die Augenbrauen hoch, »so um die 60, vielleicht knapp darunter. So. Das muss jetzt aber reichen. Wenn Sie noch etwas Wichtiges wissen wollen, fragen Sie Herrn Riegel.« Er blickte auf seinen Alukoffer. Sein Assistent verstand.

      »Ich begleite Sie zum Auto«, meinte Karle. An Paul gewandt: »Bin gleich zurück.«

      Peter Riegel nickte, lächelte Milka an und stapfte hinter seinem Chef her.

      Paul Eichert sah für einen kurzen Moment den Kriminaltechnikern zu, die gerade ihre Utensilien verstauten. »Gehen wir, Milka?«

      »Wohin?« Abgekoppelt von der Tatortanalyse und Spekulationen zum Geschehen, fehlte irgendwie der Plan. »Für Schöntal dürfte es jetzt zu spät sein.«

      »Komm, wir gehen Karle nach.«

      Der Künzelsauer Kommissar stand auf dem Weg und blickte dem Fahrzeug des Rechtsmediziners nach. »Ich nehme euch mit zum Kanu.«

      »Und dann?«, fragte Milka trocken und blickte zwischen Karle und Paul hin und her.

      Karle warf einen Blick auf das Display seines Handys. »Verdammt, schon spät. Ihr wollt bestimmt nicht weiter flussabwärts, Kloster Schöntal, oder? Ich rufe den Bootsverleiher an, der soll das Kanu abholen. Und euch nehme ich mit nach Krautheim zum Auto.«

      Kommissar Karle und Paul schwiegen. Sie hängen anscheinend ihren eigenen Gedanken nach oder sind nach der nervenaufreibenden Aktion geistig entkräftet, dachte Milka. Sie fühlte sich selbst angegriffen, versuchte, Distanz zum Geschehen zu finden. Erst eine prickelnde, neugierige Anspannung zu Beginn ihrer Kanufahrt, das Wohlfühlen nach den ersten Kilometern in einer beruhigenden Natur. Und dann ein abrupter Schwenk, ein grausiger Fund, der an den Nerven zerrte und tief betroffen machte – obwohl sie persönlich nicht tangiert war. Es war das sich entfaltende innere Bild. Ein Mann, der geruhsam in einem Sessel am Flussufer sitzt, entspannt und geduldig auf den Biss eines Fisches wartend. Mit sich und der Welt zufrieden. Ruhig. Und dann, plötzlich, eine explosive Aktion. Womöglich ein kurzes, täuschend harmloses Gespräch über das Angeln an der Jagst, bei dem er den Kopf nach oben wendet und etwas über Elritzen

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