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den Kehlkopf ein, löst einen Hustenreiz aus und führt dann mit weiterer Aspiration von Wasser zu starker Atemnot«, dozierte Riegel.

      »Und dann ertrinkt der Mensch – mit dem eindringenden Wasser?«

      Riegel nickte. »Da gibt es dann Erstickungskrämpfe, eine Schnappatmung und schließlich Atemstillstand.« Riegel holte Luft, sah in Richtung Ufer, der Blick zur Spurensicherung war aber von Bäumen versperrt. »Es kann aber auch unmittelbar zu einer Wassereinatmung kommen – bei schnell eintretender Bewusstlosigkeit, beispielsweise einem Infarkt.«

      »Stimmt es eigentlich, dass alle Wasserleichen wieder nach oben kommen? Jetzt mal abgesehen von der Jagst, deren Wasser doch recht flach ist – zumindest im Sommer.«

      »Wir kennen da den Spruch ›Die Wahrheit taucht immer auf – irgendwann‹. Wasserleichen, die nicht tiefer als 20 Meter liegen, tauchen nach einigen Tagen wieder auf, bleiben dann so zwei oder drei Tage an der Wasseroberfläche und sinken dann für immer wieder ab. Die Ursachen für das Auftauchen beschreibe ich Ihnen lieber nicht.« Herr Riegel rümpfte seine Nase.

      »Und Sie sagen, bei unserem Toten war das nicht der Fall.«

      »Bestimmt nicht. Mit abgehackten Händen geht man nicht ins Wasser. War übrigens wenig professionell gemacht, die reine Schlachterei.« Riegel schien Milkas heftiges Zucken nicht zu bemerken. »Der Mann ist bis zur Hüfte bekleidet, mit Jeans, deren Gürtel sich an einem Ast verfangen hat. Das hielt ihn fest. Der Oberkörper, der ab Brusthöhe im Wasser hängt, ist nackt. Keine Schuhe, keine Socken. Das Gesicht muss einen schweren Schlag erhalten haben. Der Kopf ist teilweise frei, wohl, weil der Wasserspiegel in den letzten Tagen leicht gesunken ist. Das alles, auch die Lage an diesem Baum, sieht so aus, als sei jemand beim Verbergen der Leiche gestört worden.«

      Milka hatte sich wieder gefangen, biss kurz auf die Lippen, wollte abgebrühte Härte zeigen. »Die Verwesung hat bereits …?«

      Riegel grinste, er betrachtete es wohl als kleine Vorlesung. »Die setzt bereits fünf Minuten nach dem Tod ein. Der menschliche Körper macht dann die letzte Metamorphose durch. Ein Wissenschaftler sagte einmal, der Mensch beginne sich selbst zu verdauen. Die Zellen lösen sich von innen nach außen auf. Erst wird das Gewebe flüssig, dann gasförmig.« Milka hielt sich anscheinend tapfer, jedenfalls sah Riegel keinen Anlass, seine Ausführungen zu beenden, schien aber neugierig zu werden. »Von der Kripo sind Sie wohl nicht, Frau Mayr? Andererseits, na ja, so ganz unbeleckt erscheinen Sie auch wieder nicht. Haben Sie denn, wie soll ich sagen, Erfahrung mit Mordfällen?«

      »Ja, habe ich. Letztes Jahr. Ich konnte dabei Kommissar Eichert etwas helfen.« Milka zeigte einen ganz zarten Anflug von Lächeln.

      »Klingt so, als wäre es mehr gewesen«, sagte Herr Riegel, mit einem Auge zwinkernd. »Warten Sie mal.«

      Er war nach einer Minute vom Auto zurück, entfaltete nach einem kurzen Rundblick einen Schutzanzug. »Rein mit Ihnen, schnell.«

      Plötzlich kamen Milka Bedenken. Klar, die Situation war höchst verlockend. Andererseits …

      »Nun kommen Sie schon. Ich nehme das auf meine Kappe. Kapuze wäre wohl richtiger. Ziehen Sie die Haube über. Erkennt Sie niemand. Bleiben Sie immer an meiner Seite.«

      Riegel bewegte sich in Richtung Fundort. Es war ein befremdliches, ein bizarres Bild, das sich ihnen bot. Einerseits die sanfte, reizvolle, beinahe liebliche Natur mit der leise murmelnden Jagst, sich im Uferbereich kräuselndes Wasser, das Grün der Wiese und eine idyllische Baumgruppe. Andererseits eine unwirklich erscheinende Szenerie. Der Tote, inzwischen vollständig aus dem Wasser gezogen, ein Fotograf, der seine Ausrüstung einpackte, der Rechtsmediziner auf den Knien, mit einer Lupe das Gesicht des Mannes absuchend und zugleich diktierend, fünf in Schutzanzüge Gekleidete. Einer, der Stimme nach konnte es Hauptkommissar Karle sein, schimpfte in Richtung Fluss, machte einem mit dem Handy fotografierenden Kanufahrer unmissverständlich klar, gefälligst zu verschwinden.

      »Komplexe Geschichte«, flüsterte Riegel, der dicht bei Milka stehen blieb. »Einerseits haben wir den Körperteil, der an Land lag. Der bot verschiedenen Organismen sozusagen eine reich gedeckte Tafel.« Milka schauderte unter ihrem Schutzanzug ob der Wortwahl des Assistenten. »Da sind Bakterien, Insekten, Schmeißfliegen – das sind übrigens die schnellsten. Tja, und dann die Larven, die aus den Eiern schlüpfen. Die laben sich an der Substanz des Toten. Dann verlassen die Maden den Körper in Reih und Glied, folgen einer imaginären Linie nach Süden. Merken Sie übrigens den leichten Ammoniakgeruch? Das alles wurde hier gefördert durch die hohe Luftfeuchtigkeit am Wasser.«

      »Das sind sicher keine Schauermärchen, Herr Riegel?« Trotz der Schwüle unter dem Anzug fröstelte Milka plötzlich.

      »Ganz gewiss nicht. Manche Leicheninsekten sind für uns wie postmortale Totenuhren.« Riegel schüttelte den Kopf, die Bewegung eingeschränkt von der Kopfhaube. »Das Entwicklungsstadium, also Eier oder Larven, lässt auf die Liegezeit schließen. Nach dem, was ich gesehen habe, tippe ich auf etwa eine Woche Liegezeit. Ansonsten müssten bei den hohen Temperaturen bereits Anzeichen einer Skelettierung vorhanden sein. Da müssen wir aber ergänzend die Merkmale an den Körperteilen, die im Wasser lagen, hinzuziehen.« Milka versuchte, ihre Gefühlswelt durch kalte Schnoddrigkeit zu schützen. »Sie meinen, er wird angeknabbert?«

      »Hm, ich kenne die Jagst und deren Besatz nicht. Aber wir finden da sicher Blutegel, Krebse, im Uferbereich möglicherweise …« Er brach ab, als Doktor Rühle mit eindringlicher Stimme seinen Namen rief.

      Milka bewegte sich nicht von der Stelle, atmete tief durch, vermeinte, den Ammoniakgeruch wahrzunehmen, bemerkte, wie Pauls Blick über sie hinweg ging, als er, Karles Fingerzeig folgend, den Kopf drehte. Er sah Milka mit einer Mischung aus ungläubigem Staunen und tiefster Missbilligung an. Mit einem schelmischen Blinzeln wandte sich Milka ab, flüchtete gemessenen Schrittes Richtung Weg und streifte kurz davor den Schutzanzug ab. Zwei Polizisten lehnten gelangweilt an einem der Einsatzfahrzeuge. Mit einem knappen »Wird nicht mehr gebraucht« übergab sie ihnen den Schutzanzug und ging zurück bis zur Absperrung. Sie räumte Paul maximal fünf Minuten ein. Es wurden nur vier. Und er schien sich keineswegs beruhigt zu haben. Im Laufen schob er die Kapuze des Overalls nach hinten. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus mühsam unterdrücktem Zorn und verbissener Professionalität.

      Bevor er seinen Unmut loswerden konnte, kam Milka ihm zuvor. »War das nicht reichlich übervorsichtig, dem Mann die Hände abzuhacken? Die Arme lagen doch im Wasser, da dürften dann beim Aufweichen der Haut kaum Fingerabdrücke mehr möglich sein, oder?«

      »Der oder die Täter wollten wohl ganz sicher gehen. Sie konnten schließlich nicht wissen, wie schnell der Tote gefunden würde. Oder sie waren besonders schlau. Es gibt da neue Verfahren, die es erlauben, auch nach … Verdammt, warum erkläre ich dir das denn.« Milkas strahlendes Lächeln war einfach zu viel. Zumindest führte es zu einer gewissen Besänftigung. »Eigentlich sollte ich dir …«

      »… die Leviten lesen, lieber Paul? Ich kann hier doch nicht auf Tourismus machen, während du auf Spurensuche gehst. Außerdem wurde ich eingeladen.«

      »Von diesem jungen Assi etwa?«

      Milka nickte, weiterhin strahlend. »Ja, netter Typ. Hat mir viel erklärt und …«

      Paul unterbrach sie. »Still. Kein Wort weiter. Da kommt Karle.«

      »Sie haben sich hoffentlich nicht gelangweilt, Frau Mayr.« Es klang beinahe fürsorglich, als würde 50 Meter weiter hinten die Welt in Ordnung sein, kein übel zugerichteter Toter hier liegen. »Die Spurensicherung ist eben eine langwierige Angelegenheit.«

      »Aber nein, keineswegs.«

      »Bitte?«

      »Ich habe mich nicht gelangweilt. Wenn die Spurensicherung da fertig ist – ich hätte vielleicht etwas für sie.«

      »Für mich?« Karle staunte, ratlos.

      »Für Ihre Spurensicherung. Ich hab da was gefunden, das könnte …«

      Paul, in der festen Überzeugung, es handle sich um das Umfeld am Fundort der Leiche, sandte Milka einen verzweifelten Blick

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