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vergessen, eine Burg, zu der es im Jahr 1516 Götz von Berlichingen zog. Der zündete im Tal unterhalb der mainzischen Stadt eine Scheune an, wollte damit den ihm verhassten erzbischöflichen Amtmann Max Stumpf herbeilocken. Der streckte aber nur den Kopf aus dem Burgfenster und schimpfte lautstark hinunter. Darauf sandte der Ritter mit der eisernen Hand seinen berühmten, wortgewaltigen Schwäbischen Gruss (»… er kann mich hinden lekhen«) hinauf zur Burg. Übrigens fand der Ritter im Kloster Schöntal seine letzte Ruhe.«

      Milka beäugte misstrauisch die an der Einstiegsstelle, direkt hinter der Brücke Neue Straße, bereitstehenden Kanadier. »Paul, ich will den roten da, links.«

      »Können Sie haben«, antwortete eine Stimme hinter ihr.

      Milka drehte sich um.

      »Alfred Hirsch, Grüß Gott. Sie sind Herr Eichert?« Der Mann, so um die 45, drahtig und bärtig, eine blaue Cap auf dem Kopf, Jeans und T-Shirt, schien es eilig zu haben. Paul Eichert konnte gerade mal mit dem Kopf nicken. »Sie kennen sich aus, ja? Jeder erhält ein Paddel und Schwimmweste. Im Boot ist eine wasserdichte Packtasche. Und die Paddel hätten wir auch gern wieder.« Er grinste. »Spätestens um 17 Uhr müsst ihr am Kloster Schöntal sein. Genügend Zeit für ein Picknick zwischendurch. So, und jetzt eine Einweisung.« Milkas weiterhin skeptischen Blick erkennend, fügte er an: »Junge Frau, die Jagst ist hier ganz brav. Sie haben überwiegend leichtes Wildwasser sowie Zahmwasser, also keine Bange.«

      Milka hörte nur »Wildwasser« heraus.

      »Übrigens haben wir ausreichenden Pegelstand, das Wehr ist also leicht fahrbar. So und jetzt zur Einweisung. Ein- und Ausstieg immer über Bug oder Heck. Wenn Sie seitlich einsteigen, kann es leicht kippen.« Milka hörte nur »kippen«. »Sie, Herr Eichert, sitzen hinten und steuern, ja?« Milka versuchte, sich zu konzentrieren, was bei der Fülle der Informationen nicht einfach war. »Und denkt bitte daran, wenn ihr herunterhängenden Zweigen ausweicht, nie beide nach rechts oder links beugen, immer nur nach vorn oder hinten.«

      Erst ganz allmählich gelang es Milka, sich zu entspannen. Das Wasser floss ruhig, beinahe träge, und Paul gab seine Paddeltipps wie beiläufig und motivierend. Die Jagst machte einen leichten Bogen, Milka warf erste Blicke auf die Umgebung. Das uferbegleitende Gehölz zeigte sich streckenweise überraschend üppig: überkragende Weiden, deren Astwerk sich weit in die Jagst hinein beugte und sich zauberhaft im Wasser spiegelte, Bruchweiden mit dünnen Zweigen, große Sträucher der Mandelweiden, aufrechte, buschige Purpurweiden und hoch und gerade aufragende Schwarzerlen. Im Uferbereich Gräser, Schilf, gelbe Schwertlilien, Kalmus und Rohrglanzgras. Milka atmete tief ein. Das dünne Zweig­ende einer Weide streifte ihre Wange. »Schau mal da vorn, Paul, zwei Trauerschwäne.« Sie zuckte kurz, als ein Kanu in, wie sie meinte, gefährlich naher Distanz überholte.

      Auf der Höhe von Gommersdorf verlief die Jagst in einer engen Flussschlinge. Hinter dem Ufergehölz erstreckte sich Grünland. Bei Marlach wies Paul auf eine große, steil aufragende Felswand am nach Süden gerichteten Talhang. Hier mündete der Sindelbach, trotz seiner geringen Wasserführung der längste linke Nebenfluss der Jagst.

      Die Strömung wechselte im jetzt niedrigeren Wasser. An einer meterweit in den Fluss ragenden Flachstelle zeigten sich zarte Schaumkronen. Milka ignorierte das Wildwasser nonchalant, hielt kurz danach abrupt inne, als Paul durch sein Paddel dem Kanu eine ungewollte Richtungsänderung gab. »Was ist los, Milka? Eine Pause?«

      »Hörst du diesen wild rauschenden Wasserfall da vorn?«

      »Das ist kein Wasserfall, nur das kleine Wehr.«

      »Wollen wir nicht lieber doch umtragen?« Milkas Skepsis klang merkbar durch, vibrierend.

      »Das ist höchst gefährlich, da lauern …«

      »Du lügst doch, was soll da gefährlich werden?«

      »Vampire!«

      »Bitte?«

      »Das Mückenaufkommen ist an den Anlegestellen extrem hoch. Die Biester warten dort in Heerscharen auf verschwitzte Touris und frisches Blut. Die wissen genau, dass wir beim Tragen keine Hand frei haben, um sie tot zu klatschen.«

      »Aber …« Das Rauschen des kleinen Wehrs übertönte ihren Einwand.

      »Festhalten, es geht drüber!« Paul Eichert brachte das Kanu mit drei kräftigen Bewegungen des Paddels in Position, Milka, weit vorgebeugt, klammerte sich links und rechts am Süllrand fest und schrie. Laut.

      Paul korrigierte die Richtung mit einem kleinen Paddelschlag. »War das ein Angstschrei?«

      »Hm, nein, woher denn«, meinte Milka, wieder aufrecht sitzend, scheinbar relaxed und lächelnd nach hinten blickend. »Es war eine Mischung aus ich-mach-mir-Mut-Schrei und Jubelschrei – als wir drüber waren. Könnten wir gern wiederholen. Nur müssten wir dann das Kanu zurücktragen.« Pauls zurückhaltend süffisantes Lächeln bemerkend, sah Milka wieder nach vorn, stieß das Paddel ins jetzt ruhig fließende, schimmernde Wasser. Das sanfte Gleiten gab ihr Zeit, den Blick schweifen zu lassen. Über eine Badestelle, die momentan von einer Gruppe Jugendlicher bevölkert wurde, das Grünland, die Hanglagen der hügeligen Landschaft. Die Bäume gewährten traumhaft schöne Durchblicke. Ein ruhiges Wohlgefühl stellte sich ein. Milka begann, die Flussfahrt zu genießen. »Schau mal da vorn, Paul, links! Der Baum!«

      »War wieder mal ein Biber am Werk. Das Jagsttal erfreut sich großer Beliebtheit bei den Nagern. Die spielen hier Landschaftsarchitekt und Holzfäller. Nicht jeder ist da hellauf begeistert, und …«

      »Paul, ich meine weniger deinen Castor fiber, sondern das da, unter dem umgestürzten Baum. Ragt unter den Zweigen bis ins Wasser. Neben der überhängenden Weide. Irgendwas liegt da.«

      »Ich seh da nichts. Pass auf die Richtung auf, bleib in Flussmitte … nein, rechts der Biegung folgen. Verd…, rechts.«

      »Ich will da aber hin! Irgendwas ist da.«

      Paul Eichert fügte sich widerwillig. Jeder weitere Disput wäre sinnlos. Er lenkte das Kanu vorsichtig näher. Die kleine Ausbuchtung am linken Ufer, das über eine längere Strecke von einer dichten, dunklen Waldfläche begleitet wurde, hatte so etwas wie einen kleinen Gumpen geformt. »Sieht aus wie ein Körper, ein totes Tier«, sagte der Kriminalhauptkommissar, als sie der Stelle näherkamen, und wollte die Sache damit abtun.

      Milka widersprach. »Ein Mensch.« Nach zwei weiteren behutsamen Paddelschlägen: »Der sieht nicht gut aus, wirklich nicht. Irgendwie sehr tot«, meinte Milka und beugte sich gefährlich über den Bootsrand des Kanadiers. Es klang nicht nach Meinung, eher nach einer definitiven Feststellung.

      »Wenn du dich samt Paddel weiter über den Süllrand hinauslehnst, liegen wir beide gleich neben ihm im Wasser«, mahnte Kriminalhauptkommissar Eichert eindringlich, angesichts der zunehmenden Schräglage des Kanus. »Milka, lass das, der treibt uns sonst weg! Hilf mir mal, wir müssen ein Stück zurück und anlegen.«

      »Du willst jetzt nicht deinem Beruf nachgehen, oder? Das ist doch nicht dein Jagdrevier. Weißt du überhaupt, wo du bist?« Milka gelang es, ihrem ironischen Tonfall einen Hauch aufkommenden Ärger beizumischen.

      »Auf der Jagst!« Paul gab sich kurz angebunden. »Wir sind hier kurz vor Bieringen«, fügte er erläuternd hinzu.

      »Das sagt mir jetzt viel – außer, dass dieser Ort nicht zu deinem Verantwortungsbereich gehört, Herr Hauptkommissar«, meinte Milka.

      »Wir legen dennoch an, hilf mal mit. Kurze Strecke zurück, da ist es flach.« Das konzertierte Anlegemanöver gelang im zweiten Anlauf.

      »Jetzt konnte ich zumindest deine Neoprensocken testen. Schuhe nass, Füße trocken«, meinte Milka, als sie das Kanu glücklich ans Ufer gebracht hatten. Pauls Hosenbeine trieften.

      Der Kommissar blickte auf sein Handy. »Unser Standort: Länge 9,5386, Breite 49,3393.«

      »Danke. Das sagt jetzt wirklich alles.«

      »Ein paar 100 Meter vor der Stelle, wo die Landstraße die Jagst quert«, sagte Paul, das Handy jetzt am Ohr. »Kripo in Künzelsau, die ist da zuständig, und …«,

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