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Wagner, aber den Thaler. Von der Jagd her.«

      Kapitel 3 – Montag

      Die Nacht war kurz geworden. Michael Deiniger war gegangen, schließlich auch Sebastian Wild. Und endlich auch Paul – als Milka bereits die Augen zufielen.

      Milka beeilte sich mit dem Frühstück, verdrängte die gestrige ausufernde Diskussion mit ihren abrupten Richtungswechseln, den hakenschlagenden Spekulationen zu Motiven und irrwitzigen Mutmaßungen zu potenziellen Tätern. Die gipfelten in der weinseligen Vermutung, militante Fischschützer könnten die grausige Tat in einer Art kollektiven Wahn begangen haben. Besser sollten sie die zweite Flasche Katzenbeißer nicht entkorken, meinte auch Paul schon gestern. Der hielt sich zurück, nahm nur zwei winzige Schlucke aus Milkas Glas. Aus seiner Zeit in Offenburg – nach Hamburg – brachte er eine Vorliebe für Badische Grauburgunder mit. Wenn es denn ein Wein sein sollte.

      Milka schnappte sich einen frischen Kaffee, entzog sich wortlos, was an sich nicht ihre Art war, den gemurmelten Fragen ihres Vaters und verschwand in ihrem Büro. Rechnungen, Überweisungen, Statistiken. Vorschriften. Das Quartalsergebnis wollte vorbereitet sein. Und sie musste von den Holls und vom Hof Feldmann, ihrem anderen Kooperationspartner, die Daten anfordern. Dann standen das Gespräch mit ihrem Tierwirt an und eine Unterhaltung mit Beate Balzer im Hofladen, der um die Mittagszeit wenig frequentiert war. Beate hatte ein kleines Vesper vorbereitet. Es dauerte, bis sie die Organisation des geplanten Bio-Lieferservices von allen Seiten beleuchtet hatten, bis Beate zur zentralen Frage kam – wer denn bitte die Organisation übernehmen und steuern sollte. Die Frage allein machte deutlich, dass sie selbst nicht in Frage kam. Was Milka verstand. Ihr kam eine Idee. Nein, verraten wollte sie nichts. Jetzt nicht.

      Bettina und Laura, sichtlich ungeduldig, warteten vor Milkas Skoda, bereit zur Abfahrt nach Obersontheim. Über einen Aushang am Schwarzen Brett des Reitstalls hatte Laura passende Stiefel gefunden, für den Anfang musste ein Fahrradhelm genügen. Ihre blauen Jeans waren eng genug. Enger ging nicht. Während der Fahrt berichtete Laura aufgeregt von ihrer ersten Stunde. Ihre anfängliche Enttäuschung, nicht sofort aufs Pferd zu dürfen, war schnell verflogen. »Britta hat mir erst mal alles über Pferde erzählt. Aber das Meiste hatte ich schon gelesen. Ich geh da doch nicht so unbedarft hin. Ist aber dann doch ganz anders, wenn man neben dem Pferd steht.«

      Milka warf einen verständnisvoll lächelnden Blick zu Bettina auf dem Beifahrersitz. »Hast du dein Pferd schon gesehen?«

      »Na klar. Ein brauner englischer Vollblutwallach, elfjährig und ein Meter 60 groß. Also das Stockmaß. Den hab ich aber nicht allein. Und er hat eine schöne kleine Blesse am Kopf. Aber heute darf ich endlich aufs Pferd. An der Longe.« Die Vorfreude schwang in Lauras Stimme und Tonfall mit.

      Milka wandte sich an ihre Schwägerin. »Kennst du diese Paludis näher? Denen gehört wohl der Reitstall.«

      »Ich war ein einziges Mal in deren Haus. Eine imposante Villa, so im italienischen Stil. Beinahe ein Anwesen.«

      »In Schwäbisch Hall?«

      »Ja, am Rand von Steinbach mit Blick auf die Großcomburg. Ich hab mal Laura begleitet, als eine Mitschülerin von ihr eine Vorführung hatte.«

      »Was für eine Vorführung?«

      »Die geben sich so als Mäzene. Kunstmäzene.« Bettinas Tonfall nahm eine merkwürdige Klangfärbung an. Bewunderung schwang mit. Und irgendwie auch Staunen, aber auch ein klein wenig Neid. »Die veranstalten zwei- oder dreimal im Jahr Konzerte für handverlesene Gäste. Und dann gibt es einen Förderpreis für Musikschüler, die viermal im Jahr ihr Können unter Beweis stellen dürfen.«

      Milka bremste ab, bog in den Weg zum Reitstall ein, hielt auf dem großzügig dimensionierten Parkplatz, der von einer kleinen Baumreihe beschattet wurde. »Paludi. Klingt italienisch.«

      Bettina zuckte mit den Schultern. Laura riss die Tür auf und stürmte zum Stall, zu den Pferden.

      Ein Bild wie gemalt – als Milka und Bettina am eingezäunten Longierplatz ankamen. Laura, gerade und aufrecht auf dem von Britta an der Trense gehaltenen Wallach sitzend, hatte ein fast überirdisches Strahlen auf ihr Gesicht gezaubert und bemühte sich, auf Brittas Erklärungen zu Sitz, Haltung und mitgehender Bewegung zu achten. Milka holte ihr stumm geschaltetes Handy hervor, es zeigte zwei Anrufe, die sie ignorierte. Vier Fotos gelangen, bevor die Reitlehrerin das Pferd an der Nylonlonge führend bewegte, Laura ab und an erste Anweisungen zu Sitz und Gleichgewicht zurief. Milka ignorierte einen weiteren Anruf und schaltete um auf Video.

      »Könnten wir auf dem Hofgut nicht auch ein Pferd halten?« Bettinas Frage sollte eher beiläufig klingen, hörte sich aber beinahe wie eine Forderung an. Milka nahm es positiv auf. »Das Reitabzeichen 10 sollte Laura vorher haben. Wenigstens. Und dann lass uns wieder drüber reden, ja?« Eingedenk ihrer bislang unausgesprochenen Idee, Bettina in den Hofladen einzubinden, verstärkte sie ihre Antwort. »Wir könnten uns mal überlegen, wie und wo wir ein Pferd unterbringen. Einen Stall braucht es schließlich. Und eine Weide.« Und eigentlich zumindest ein weiteres Hottehü für eine Sozialgemeinschaft, überlegte Milka für sich. Das könnten auch Pensionspferde sein. »Sprich doch mit Christoph darüber.«

      Kriminalhauptkommissar Eichert sah nach seinem Tagewerk leicht verschwitzt aus, als er am frühen Abend auf dem Mayr’schen Hof nach Milka suchte. Schließlich traf er sie in der Maschinenhalle. Verschwitzt. Mehr als leicht.

      20 Minuten waren eine gute Zeit, fand Milka, als sie in schmal geschnittenen Jeans und einem dezent roséfarbenen Polohemd im Kaminzimmer eintraf. Sie riecht nach Orangenblüten, fand Paul, als er einen Kuss und den gekühlten Ingwer-Limetten-Drink entgegennahm. Er ließ sich in einen schweren Sessel fallen, der in der Ecke neben der Bank des Kachelofens stand und spätabendlicher Stammplatz von Milkas Vater war. Der Ofen befand sich im sommerlichen Tiefschlaf. Holzfrei, auch im schwarzen Schlund hinter der Kamintür. »Du warst in Langenburg? Bei Thaler?«

      Paul nickte, nahm einen tiefen Schluck. »In seiner Firma. Thaler Packaging Systems. Kommissar Karle und ich.«

      »Er für den Fundort, du für den Toten, für seinen Wohnort, ja?«

      »Wagner war unter der Privatadresse von Thaler gemeldet. Eine kleine Einliegerwohnung mit zwei Zimmern. Der Thaler ist schon eine Type.« Paul griff nach seinem Glas.

      »Da kann ich mir jetzt alles und nichts darunter vorstellen. Jedenfalls kein Normalo, oder?«

      »Bestimmt nicht. Seine Sekretärin holte uns am Empfang ab, Wartezeit gefühlte zehn Minuten, trotz Anmeldung. 52 Jahre, hatte ich zuvor gegoogelt, groß, schlank, eine hohe Stirn, graue Haare, eine Art Mecki-Frisur. Ein klein wenig der Cary Grant-Typ, nur nicht ganz so britisch. Macht den Eindruck eines grundsoliden Unternehmers. Gab sich sehr jovial. Zugleich vermittelte sein Auftreten aber das Gefühl, als gewähre er uns eine Audienz. Formulierte Karle eine Frage, nur um nachzuhaken, mit etwas anderen Worten, wurde er unvermittelt biestig. ›Konnten Sie sich meine Antwort nicht merken, Herr Karle?‹, so etwa.«

      »Und mit so einem Typen geht Sebastian auf die Jagd.«

      »Nur selten, wie er gestern erzählt hat. Der Thaler hat eine Jagd gepachtet. Und ab und an will er eben Gesellschaft. Aber nun zu Wagner. Der war früher in seiner Firma, in der Produktion. Hatte dann einen Unfall – die unwichtigen Details lass ich mal weg. Zuständig war er für die Technik in Thalers Villa, für den Bürotrakt der Firma und, nicht zu vergessen, für Thalers drei Oldtimer.«

      »Also auch für seinen Austin-Healey 3000 Mk III«, sagte Milka und schenkte Limonade nach. »Mit dem will er bei der Langenburg Historic antreten. Ist jedenfalls angemeldet, wie Deiniger sagte. Hat Thaler seinen Haus- und Hofmeister nicht vermisst? Oder jemand anders? Frau, Freunde, Haushälterin? Nun lass dir nicht alle Würmer …«

      »Immer langsam. Simultandenken – berichten und gleichzeitig überlegen, die Aussagen durchdenken – das geht nicht so schnell«, meinte Paul lapidar.

      »Quatsch. Es gibt Multi-Tasking, das kann meine Mutter prima beim Kochen, aber nicht Multi-Thinking«, widersprach Milka. »Zwei Gedanken auf einmal denken. Wer kann denn so was?«

      »Ich«,

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