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Art Schutzburg, Lothar?«

      Herrn Eberts Gabel verharrte unmittelbar über den Leberwurstscheiben, sein Blick rutschte ab, glitt zu seinem nebenstehenden Obstler, entschied aber bedauernd, dafür sei es zu früh. »Das darf man sich nicht als klassische Burg mit Gebäuden vorstellen. Eine Art ringförmige Befestigung, in der die Leute Schutz bei Angriffen suchten. Eine richtige Burg an dieser Stelle entstand erst im neunten Jahrhundert, sie schützte dabei eine Kirche.« Der Professor griff nach dem Obstler und nahm einen ersten kleinen Schluck. Sein Gesicht belebte sich zusehends. Paul fragte sich, auf was wohl sein eigenartiger Zustand bei der Ankunft zurückzuführen gewesen war. Nur ein Schwächeanfall? Es war merkwürdig. Der Gefahr eines längeren Vortrags ins Auge sehend und bei anhaltendem Appetit, wagte er eine Frage. »Wann und wo traten denn die Kelten überhaupt auf?«

      Herr Ebert kaute und schluckte. »Also, sozusagen erstmals, jedenfalls als eigenständige Kultur – da müssen wir unseren Blick auf ihren Kernraum werfen. So etwa 1800 bis 1600 vor Christus entstehen die ersten keltischen Siedlungen in Südwestdeutschland. Ein reiselustiges Völkchen, das sich – wir sind gerade 900 vor Christus – auf Goidelisch unterhält. Eine Sprache, aus der das Gälisch hervorgeht. Und ein Volk, das sich ausbreitet. Nach Frankreich, nach Spanien, nach England. Sogar Marseille gründen sie. Und so um 800 vor Christus treffen wir auf Kelten am Oberrhein und an der Oberdonau. Da beginnt die Hallstattzeit. Hat aber nun nichts mit Schwäbisch Hall zu tun, sondern mit einem Ort in Oberösterreich.« Der Professor gestattete sich ein winziges Schmunzeln, holte genüsslich den letzten Tropfen des Obstlers aus dem Glas und leckte sich über die Lippen. Er bemerkte Bettina Mayr, die seit zwei Minuten an der Tür stand, eigentlich, um abzudecken, dann aber gebannt lauschte. »Und so ab 450 vor Christus beginnt die Latènezeit, eine Epoche der vorrömischen Eisenzeit.« Bettina schmunzelte.

      Herr Ebert blickte hoch. »Bei Teutates und Belenus, Sie sind aber gut informiert, Frau Mayr.« Man kannte sich, allerdings nur von kurzen Begrüßungen zwischen Tür und Angel. »Woher wissen Sie denn das?«

      »Mit Schulkindern lernt man das, abhängig vom Lehrkörper allerdings. Manches bleibt dann hängen. Außerdem war ich mit meinen beiden im Frühjahr auf der Stöckenburg und habe das aufgefrischt.«

      »So setzen Sie sich doch zu uns, das können wir nachher zusammen raustragen.« Milka nickte lächelnd in Bettinas Richtung, stand auf und rückte einen Stuhl für Bettina zurecht. Und trug dann doch die nahezu leergeräumte Platte weg. Noch an der Tür hörte sie, dass Lothar bereits wieder in die Historie eintauchte.

      Milka kam mit Gläsern und einer Flasche Weißburgunder aus dem Badischen zurück. Sie dachte an Paul. Der Professor befand sich bereits im ersten Jahrhundert vor Christus, als die Römer in Gallien auf die Kelten trafen, und der lange Gallische Krieg seinen Anfang nahm. »Cäsar selbst hat in seinem Werk De bello Gallico umfänglich darüber berichtet. Übrigens unsere wichtigste Informationsquelle zur späten Latènezeit.« Herr Ebert hob sein Glas.

      »Kennen Sie denn die Heuneburg, Herr Professor?« Bettina streute die Frage ein.

      Herr Ebert setzte abrupt sein Glas ab. Einige Tropfen schwappten über. Milka hatte ihn nie zuvor stottern hören. »Das ist – ich rief, das ist doch der …«, seine Stimme stockte. Bettina biss sich entsetzt auf die Unterlippe, unsicher, ob ihre Bemerkung auslösendes Moment für seine plötzlichen Emotionen sein konnte. Milka stand auf, legte sanft ihre Hand auf seine Schulter. »Lothar, ganz ruhig, ganz ruhig. Heuneburg bei Herbertingen – ist das der Grund, warum Sie …« Milka sprach es nicht aus, ließ ihm Zeit.

      Er schien sich langsam zu fassen. »Die Heuneburg – ja. Ich bin dort seit mehreren Monaten tätig. Zumindest sporadisch. Und heute …« Er griff mit beiden Händen nach dem Glas, nahm einen kleinen Schluck, stellte es vorsichtig zurück. »Die Polizei hat mich heute Morgen verhaftet und verhört.« Lothar Ebert atmete tief ein. »Es war schrecklich. Einfach schrecklich.«

      Paul schüttelte innerlich den Kopf. Nur eine emotionale Überreaktion konnte den Professor zu dieser Aussage führen. Ansonsten würde er ganz bestimmt hier nicht sitzen. Er fing Milkas Blick auf, hilfesuchend und zugleich auffordernd. Warum Lothars kurze Mitteilung ein erkennbar skeptisches Stirnrunzeln bei Paul auslöste, verstand sie nicht.

      Der Kriminalhauptkommissar packte es vorsichtig an, wollte den Professor erst beruhigen, ihn in ruhiges, unkritisches Fahrwasser bringen. »Die Heuneburg ist, glaube ich, von beinahe weltgeschichtlicher Bedeutung. Wie kommt sie denn zu dieser Auszeichnung?«

      Der Professor schluckte den Köder wie ein ausgehungerter Fisch. »Eigentlich reicht schon, dass es die erste Stadt nördlich der Alpen ist. Die handelsstrategische Lage oberhalb der Donau, die für den Lastentransport mit Booten geeignet war, war entscheidend. Schon in der Bronzezeit wurde die Höhensiedlung wehrhaft ausgebaut.« Herrn Eberts Gesichtszüge entspannten sich. Über sein gebräuntes Gesicht legte sich ein Hauch rötlicher Tönung, vom Weißburgunder oder der archäologischen Begeisterung oder von beidem, war nicht erkennbar. »Die Blütezeit allerdings erlebte die Heuneburg zwischen 620 und 460 vor Christus als großes Siedlungszentrum der Kelten. Mit Fürstensitz.«

      »Sie sagten Stadt, Herr Professor. Wie viele Menschen wohnten denn da?«, fragte Bettina, jetzt wieder beruhigt.

      »Nach aktuellen, fundierten Schätzungen etwa 5.000. Und bereits der griechische Schriftsteller Herodot erwähnte …«

      Paul Eichert erkannte die latente Gefahr eines längeren geschichtlichen Ausflugs und versuchte, Herrn Ebert vorsichtig in eine andere Richtung zu lenken. »Sie sind dort tätig, sagten Sie. Ist da denn nicht alles längst erforscht?«

      »Aber nicht im Geringsten.« Ebert lächelte wissend. »Obwohl inzwischen tatsächlich in der fünften Generation von Archäologen gegraben wird. Gerade eben sind wir wieder auf sensationelle Funde gestoßen.«

      »Und Ihre Aufgabe? Oder ist das nur ein Hobby?« Paul empfing Milkas missbilligenden Blick ob seiner beinahe despektierlichen Unterstellung. Hobby – pah.

      »Nun«, hob Herr Ebert an, »ich bin nicht an den Grabungen beteiligt. Mir geht es allein um wissenschaftliche Erkenntnisse. Und da ist das Team von Doktor Weigel von der Eberhard Karls Universität Tübingen für mich wichtig.«

      »Nur dieses Team, und Sie sozusagen begleitend?«

      Der Professor schüttelte den Kopf. »Wir haben momentan drei rechteckige Flächen abgesteckt. Das Sediment ist soweit abgetragen, und in Quadranten eingeteilt. Das zweite Team kommt von Arch.Search und ist auf ein Jahr Subunternehmer zum Uniteam. Dahinter steht wohl ein finanziell gut ausgestatteter Sponsor. Ich selbst – nun …« Der Professor deutete mit einer leichten Handbewegung und dem Anheben seiner Schultern an, dass er bestenfalls eine unwichtige Nebenrolle spiele. »Mich interessiert primär die Schnittstelle der Hallstattzeit zur Latènezeit und, in Bezug auf die Heuneburg, die Positionierung der Funde auf dem Plateau. Und im Umfeld. Daher gehe ich diesem Thema …«

      Der Kriminalhauptkommissar musste erkennen, dass sein Lenkungsversuch missglückt war. Er kam direkt auf den Punkt. »Und bei diesen, hm, Ausgrabungen, kam es zu einem Kontakt mit der dortigen Polizei?«

      Lothar Ebert griff nach seinem beinahe leeren Glas, hielt es in der Hand. Bereit sozusagen. Zeigte sich jetzt aber gefasst. »Ein wertvolles Fundstück war, völlig unerklärlich, plötzlich verschwunden. Drei Ringe, ein fein gearbeiteter Goldschmuck aus einem Mädchengrab. Weg. Einfach weg. Doktor Weigel rief die Polizei. Die kam gestern. Und heute … und heute nahmen die mich mit aufs Revier. Und verhörten mich!« Herrn Eberts ganze Person war eine einzige personifizierte Entrüstung.

      »Hat man Ihnen einen Haftbefehl gezeigt und Sie dann belehrt?« Paul Eichert versuchte, so ernst wie möglich zu bleiben, unterdrückte seine aufkeimende Belustigung.

      »Mich belehrt? Mich? Worüber denn?« Sein wissenschaftliches Selbstverständnis schien unberührt.

      »Na, über Ihre Rechte! Dass Sie nicht aussagen müssen, und dass Sie das Recht auf juristischen …«

      Herr Ebert unterbrach. »Aber nein. Die befragten mich doch nur. Irgendwer, das entnahm ich einigen Fragen, muss mich wohl beschuldigt haben. Aber ich bin doch kein Raubgräber wie Indiana

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