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einen Packen Papiere und wechselte den Tonfall: »Die Kollegen der Kripo, der Schorsch und der Mehmet, waren übrigens auch schon da und haben uns zum Hergang des Unglücks befragt. Die haben uns ganz schön auf Trab gehalten.«

      Isabel hob überrascht den Kopf, sah Markus an und fragte: »Schorsch und Mehmet, sagtest du? Also ermittelt die Kripo von nebenan?«

      Markus nickte und sagte: »Ja, Gott sei Dank sind unsere Kollegen an dem Fall dran und nicht gleich die von der nächsthöheren Dienststelle oder die Konstanzer. Da bin ich echt froh drüber. Unsere Nachbarn lassen wenigstens mit sich reden.«

      »Wie ist denn der aktuelle Sachstand?«, fragte Isabel vorsichtig und merkte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren drang.

      Markus hatte sich wieder seiner Akte zugewandt und antwortete, ohne aufzusehen: »Die beiden haben alle, die auf dem Boot waren, befragt – als Zeugen.«

      »Als Zeugen? Nicht als Beschuldigte?«, wunderte sich Isabel. Ungeachtet ihrer Affäre war ursächlich für den Untergang des Schiffes immerhin die zu einseitige Gewichtsverteilung und das heftige Wippen der Kollegen. Mit einem Schreibblock fächerte sie sich Luft zu, um Hals und Nacken zu kühlen.

      »Nein, und als Zeugen waren wir zur Aussage verpflichtet«, sagte Markus, und seine Stimme klang ziemlich genervt. »Wir alle haben dieselben Angaben zum Sachverhalt gemacht, so wie wir es nach dem Unfall besprochen haben. Wenigstens das hat funktioniert.«

      Isabel überlegte, und ihr Herz schlug heftiger: »Dann kommen die bestimmt bald auch auf mich zu.«

      »Du hast es erfasst. Sie haben den Fragebogen für deine Stellungnahme hiergelassen. Da ist er«, sagte Markus und reichte ihr das Papier über den Schreibtisch. »Ausfüllen musst du ihn selbst.«

      Isabel erhob sich, griff nach dem Fragebogen, und schon während sie das Fenster öffnete, überflog sie die Fragen. »Ich halte mich natürlich ebenfalls an das, was ihr ausgesagt habt. Was habt ihr denn erzählt?«, fragte Isabel bang.

      »Wir haben angegeben, dass wir, alle Kollegen aus unserer Schicht, mit dem Chef einen Bootsausflug unternommen haben – nicht dienstlich, sondern rein privat, einfach so, aus Spaß an der Freude. Wir haben fröhlich gefeiert, und alle haben Alkohol getrunken, der Bootsführer selbstredend nicht.«

      Isabel runzelte die Stirn: »Der Bootsführer warst du, oder? Obwohl ich das Boot gechartert habe?« Sie erinnerte sich an den Tag, als sie mit Lena und Ben mit dem Vermieter in Konstanz verhandelt und den Deal festgemacht hatte.

      Markus nickte und fuhr fort: »Ja, ich war im kritischen Moment ja auch am Steuer. Es war sehr schwül und heiß an diesem Tag, und alle wollten ins Wasser und schwimmen gehen. Du bist in die Kabine runter, um dich umzuziehen. Der Polizeidirektor folgte dir nach unten. Wir, also die Kollegen, sind oben auf der Flybridge zusammengestanden, haben weiter getrunken und geschunkelt und Witze gerissen. Zu viele standen auf derselben Seite. Die haben sich leichtsinnigerweise über die Reling rausgehängt und gemerkt, dass sie so das Schiff zum Schaukeln bringen können. Ich habe Kreise gezogen und einfach im falschen Moment Gas gegeben. Durch das Gewell hat das Schiff Schlagseite bekommen. Der Kahn hat sich auf die Seite geneigt, und weil der Schwerpunkt zu weit oben war, konnte es sich schlichtweg nicht mehr aufrichten. Dann hat sich die Kajütentür geöffnet, und Wasser drang herein. Das Innere ist rasend schnell vollgelaufen und das Boot schließlich abgesoffen.«

      Isabel hatte gebannt zugehört, nickte nun nachdenklich und murmelte: »So war’s ja wohl.« Markus griff in seine Tüte Studentenfutter, schob sich ein paar Nüsse in den Mund und resümierte kauend: »Die Kollegen von der Kripo haben Verständnis gezeigt. Die kennen diese Art von Booten ja auch. Die wissen so gut wie wir, dass so formstabile Schiffe wie die »Amareno« eigentlich für Flüsse und Kanäle gebaut sind. Für Seen sind die Boote eher nicht geeignet und für den Bodensee schon gar nicht. Bei Sturm und Wellen haben die einen ungünstigen Schwerpunkt. Wenn man in Freizeit- und Feierstimmung ist, denkt man da nur nicht dran.«

      »Gibst du mir bitte etwas ab von deiner Nervennahrung«, fragte Isabel, »hab sie nötig!« Damit griff sie ebenfalls in die Tüte, und kauend hörte sie Markus sagen: »Der Frieder hat mal erzählt, vor ein paar Jahren sei auf dem Bodensee schon mal ein Boot dieser Bauart gekentert und gesunken. Mit Bestattern aus ganz Deutschland an Bord.«

      »Mit Bestattern? Die werden täglich mit dem Tod anderer Leute konfrontiert, und dann geraten die hier selber in Not?«, wunderte sich Isabel. »Klingt irgendwie makaber. Hattest du mit dem Fall zu tun?«

      »Nur am Rande. Wenn ich mich recht erinnere, war das im Juni 2011. Die Schiffbrüchigen sind damals, wie wir auch, von einem Segelboot aufgenommen und gerettet worden«, wusste Markus. »Da gibt’s sogar ein Buch drüber, hat meine Frau mal im Urlaub gelesen.«

      »Echt? Ein Buch über unser Unglück zu schreiben wird diesmal hoffentlich niemandem einfallen!«, wandte Isabel ein.

      Markus spottete: »Mir bestimmt nicht. Ich bin ja schon froh, wenn ich meine Berichte und Protokolle halbwegs fehlerfrei hinkriege.«

      Isabel ging auf seinen lockeren Ton ein und frotzelte: »Stell dein Licht bloß nicht unter den Scheffel. Wenn du die Presseleute richtig anfütterst, beißt vielleicht von denen jemand an.«

      »Das fehlte gerade noch, das mach ich sicher nicht«, stöhnte Markus. »Ich bin froh, dass sich keiner von denen in die Geschichte verbissen hat und eine tolle Story wittert. Bis jetzt wenigstens nicht, da haben wir Glück – Glück im Unglück, wie man so sagt.«

      Isabel begann, den Fragebogen der Kriminalpolizei auszufüllen. Markus beobachtete sie und bekräftigte: »Wie gesagt, wir wurden als Zeugen vernommen. Keiner hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, und keiner hat einen Anwalt verlangt.«

      »Du auch nicht?«, fragte Isabel und schaute kurz auf, um sich zu vergewissern.

      »Bisher nicht. Mal abwarten. Als Bootsführer bekomme ich wahrscheinlich eine Strafe und eventuell auch ein Disziplinarverfahren an den Hals«, mutmaßte Markus und fuhr sich mit einer Hand über seinen Dreitagebart.

      Markus und ein Disziplinarverfahren? Isabel erschrak. Auch das wäre zumindest teilweise ihre Schuld. »Oje, ich hoffe nicht, dass du bestraft wirst für den Leichtsinn der anderen.«

      »Zerbrich dir bitte darüber nicht auch noch den Kopf. Die werden mir meinen schon nicht abreißen. Haben mich ja nicht mal vom Dienst suspendiert – bisher!«

      »Na hör mal, wer sollte den Laden denn am Laufen halten, wenn nicht du?«, fragte Isabel und schob sich ein paar getrocknete Beeren in den Mund.

      »Dass CaWe, als Chef, wegen einem Verhältnis mit einer Untergebenen nicht belangt wird, hat er lange vor der Affäre mit dir geklärt«, sagte Markus nachdenklich und fügte an: »Weißt du, Isabel, du bist nicht die erste Mitarbeiterin, mit der CaWe sein Spiel trieb. Noch vor einigen Jahren wäre das offiziell nicht geduldet worden, das Referat ›Recht und Sicherheit‹ hätte etwas dagegen gehabt.«

      Isabel nickte: »Ich weiß, lieber Kollege. Anders wäre es nur, wenn ich behaupten würde, dass mein Chef mich sexuell belästigt hat. Aber so war es ja nicht«, gestand sie etwas leiser.

      »Und keiner der Kollegen reklamiert, dass er durch euer Verhältnis in irgendeiner Weise benachteiligt wurde oder du dadurch bevorzugt wurdest. Deshalb dürfte das kein Problem sein. CaWes Weste ist sauber«, sagte Markus und fügte an: »Wenn er wieder den Dienst antreten kann.«

      Kapitel 6

      An einem dieser windigen und regennassen Septembertage, die das baldige Ende des Sommers am See ankündigten, setzte sich Isabel im Fahrgastraum des Katamarans in einen Sessel und schaute zum Fenster hinaus. Der Bodensee hatte seine einzigartige Farbpalette gegen tristes Grau in allen denkbaren Stufen eingetauscht. Ein dunkles Wolkenband hing schwer über dem Schweizer Ufer. Viele kleine Schaumkronen auf dem Wasser jagten wie eine Horde wildgewordener Schwäne hintereinander zum Ufer. Ein einzelnes Segelboot schaukelte unter Motor dem Hafen von Bottighofen entgegen. Die Segel hatte der Skipper längst eingeholt. In gelber Regenkleidung umfasste er das Steuerrad und trotzte dem Nass von allen

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