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mit ins Bad, da ist Verbandszeug.« Damit zog sie Isabel hoch und verließ mit ihr das Zimmer. Zurück blieben überraschte, teils besorgte und teils auch enttäuschte Gesichter.

      »Es tut mir so leid, Lena. Nun hab ich dir auch noch deine Geburtstagsparty vermasselt. Ich hätte nicht kommen dürfen, niemals …«, jammerte Isabel.

      »Hör bloß auf mit dem Quatsch und halt still, du Schusseltante, du.« Vorsichtig tupfte Lena die Schnittwunden an Isabels Händen ab. »Halb so schlimm, hat im ersten Moment böser ausgesehen, als es ist.« Mit einer Pinzette entfernte sie einen winzigen Glassplitter aus der Handfläche, besprühte die Wunde mit Desinfektionslösung und klebte ein Pflaster darauf. Weitere kleine Streifen klebte sie um Isabels Finger. »Sodale. Das hätten wir. Du kannst deinem Pascha bestellen: Die nächsten Tage wird’s nix mit Spülen«, scherzte Lena und drückte die Freundin an sich.

      »Danke, Lena, aber du tust Thomas unrecht. Er hat sich schwer gebessert während der vergangenen Tage. Er hat sich um mich gekümmert, war richtig aufmerksam, hat ständig nach mir geschaut, mir zu trinken gebracht, sogar Essen eingekauft«, stammelte Isabel.

      »Na, dann hat das Ganze wenigstens etwas Positives, wurde auch allerhöchste Zeit.«

      Schulter an Schulter und Kopf an Kopf saßen die Freundinnen schweigend auf dem Rand der Badewanne, als plötzlich die Tür aufsprang und Lenas sechsjähriger Sohn Ben hereinstürmte, die Kinder der anderen Mütter im Schlepptau. Mit zornrotem Gesicht sagte er: »Mama, der Tim hat ›Arschloch‹ zu mir gesagt!«

      »Stimmt ja gar nicht!«, widersprach der Junge, der offensichtlich Tim hieß.

      »Doch, hast du!«, schrie Ben und streckte dem Jungen die Zunge heraus. Dann wandte er sich wieder seiner Mutter zu und klagte: »Außerdem hab ich Hunger.«

      »Paul hat auch Hunger«, pflichtete ihm ein kleinerer Junge bei.

      »Ludwig hat Durst!«, meldete ein Junge, dessen untere Gesichtshälfte braun verschmiert war, und schob sich ein Stück Schokolade in den Mund.

      »Boris mag Burger!«

      So schallte es munter durcheinander, und unwillkürlich musste Isabel lächeln. Lena erhob sich, setzte ihre Strenge-Mama-Miene auf und verkündete: »So, hier erst mal alle Hände waschen! Gleich gibt’s Essen.« Zu Isabel gewandt, sagte sie seufzend: »Jetzt wird’s ernst. Wenn die kleinen Plagegeister hungrig sind, kennen sie kein Pardon.« Mit Blick auf Isabels nassen und blutverschmierten Pullover fügte sie hinzu: »Dein Pulli hat was abbekommen. Nimm dir einen sauberen aus meinem Schrank, du weißt ja, wo die sind.«

      Isabel sah Lena dankbar an. »Lieb von dir, danke, Lena, mach ich. Aber du, ich hab überhaupt keinen Bock auf weitere Fragen und schon gar nicht auf Small Talk. Ich verdrück mich und geh gar nicht mehr rein. Kannst du mir das verzeihen?«

      »Da gibt’s nichts zu verzeihen. Ich versteh dich«, sagte Lena, während sie die Reste der Heftpflaster in den Mülleimer räumte und Pinzette und Schere in Sicherheit brachte. Dann sah sie Isabel an. »Am liebsten würde ich mit dir allein weiterfeiern. Mit dir durch Klubs und Kneipen ziehen wie früher. Auch mir gehen die Mädels heut irgendwie auf die Nerven.«

      Erleichtert atmete Isabel auf, schlang ihre Arme um Lena und sagte: »Ich melde mich wieder. Und entschuldige bitte die Unruhe und den Aufruhr, die ich in deine Bude gebracht habe. Ich wollte wirklich nicht so viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen, wo doch heute dein Geburtstag ist. Und natürlich nochmals danke für alles, Lena.«

      Als Isabel vor die Tür trat, nahm sie erst mal einen tiefen Atemzug, presste die Luft hörbar aus und hob prüfend die Hand. Von den Bäumen und Dächern tropfte zwar noch das Wasser, aber der Regen hatte aufgehört. Sie blickte auf die Uhr. Ihr blieb genügend Zeit bis zur Abfahrt des nächsten Katamarans. Sie schlenderte durch die Gassen der Altstadt Richtung Hafen und fand sich plötzlich vor dem Konzilsgebäude wieder. Hier, wo vor 600 Jahren Kardinäle einen neuen Papst gewählt hatten, der die Spaltung der abendländischen Christenheit beenden sollte, hatte vor einem Vierteljahr die Affäre mit Carl begonnen. Geschickt hatte er den gemeinsamen Ausflug nach Konstanz eingefädelt. Er hatte darauf bestanden, dass sie ihn zu einer Tagung begleitete, und auf dem Nachhauseweg war es dann geschehen. Eine heiße Welle durchflutete Isabels Körper. Die Erinnerung an die wilden Minuten zwischen den Rebstöcken loderte auf in ihr. Würde Carl inzwischen reagieren, wenn sie ihn ansprechen oder berühren würde, fragte sie sich, als sie sich der Seeseite des massiven Gebäudes näherte.

      Auf der Terrasse wischten korrekt gekleidete Kellner bereits Tische und Stühle für kommende Gäste trocken. Isabel blieb stehen, ließ den Blick schweifen und fixierte dann die »Imperia«, die sich langsam um die eigene Achse drehte. Schon interessant, dass die spärlich bekleidete Schöne auf der ältesten Pegelmessstation Baden-Württembergs steht und dort auch heute noch der Konstanzer Pegel gemessen wird, den wir Wasserschützer täglich verfolgen, dachte Isabel. Der Künstler Peter Lenk hat nicht gegeizt und sie mit weiblicher Sinnlichkeit überreich ausgestattet. Gerade zeigte die knapp zehn Meter hohe Statue Isabel ihren üppigen Betonbusen, und sie erinnerte sich, wie völlig nüchtern und offensichtlich unbeeindruckt von ihren Reizen Thomas ihr das neue Wahrzeichen der Stadt erklärt hatte: »Die weibliche Figur mit der Narrenkappe soll eine Kurtisane darstellen und eine satirische Anspielung auf das Konstanzer Konzil sein«, dozierte er damals. »Imperia war die Geliebte von weltlichen und kirchlichen Würdenträgern. Die zwei nackten Winzlinge, die sie auf ihren Händen trägt, stellen Papst und Kaiser dar.«

      Seinerzeit hatte Isabel ihm scherzhaft geraten, statt Philosoph lieber Stadtführer zu werden. Denn der belesene Thomas wusste außerdem, dass der Bildhauer die Gestalt nach einem literarischen Vorbild seines Lieblingsdichters Balzac geschaffen hatte. Balzacs Roman »La belle Imperia« erzählte von einer Kurtisane, die während des Konzils als mächtige Geliebte triebgesteuerte Würdenträger um den Finger gewickelt und zu lächerlichen Witzfiguren degradiert hatte. Isabel war beeindruckt, hatte sich seine Sätze eingeprägt und später Lena erzählt. Köstlich amüsiert hatten sie sich damals.

      Während Isabel wieder fasziniert die Drehbewegung der neun Meter hohen Edelprostituierten verfolgte, holte sie sich die Symbolik erneut ins Gedächtnis. Mächtige Männer als lächerliche Zwerge, vollständig ausgeliefert ihren Trieben, Spielbälle in den Händen einer Frau. Maßlos übertrieben dargestellt zwar, und doch könnte ein wahrer Kern darin stecken: Die Frau ist es, die groß und stark und souverän und mächtig ist, sie beherrscht ihre Libido. Darüber lohnte es sich nachzudenken …

      Bevor Isabel sich abwandte, um zur Anlegestelle des Katamarans zu gehen, zwinkerte sie der Imperia verschwörerisch zu: Die Frau ist die Siegerin, die Meisterin ihrer Triebe. Du machst mir Mut, du Wundersame. Auch ich kann wieder zur Herrin meines Schicksals werden.

      Kapitel 7

      »Die Presseleute haken nach, die geben sich nicht so einfach zufrieden!« Mit diesen Worten stürmte Markus zur Tür herein und knallte ein Bündel Papiere auf den Schreibtisch. Dann marschierte er zum Fenster, riss einen Flügel auf und atmete ein paarmal tief durch. Seit der Polizeidirektor im Krankenhaus lag, belasteten ihn die Chefsachen zusätzlich. Außerdem machten die Kollegen der Kripo Druck. Sie hatten jeden, der mit auf dem Boot war, ein weiteres Mal einzeln befragt. Und jetzt auch noch die Presseanfragen …

      Isabels Finger, die gerade noch über die Tasten ihres Computers geflogen waren, um ein Protokoll zu tippen, hielten inne. Sie hob den Kopf, presste die Lippen zusammen und schaute ihren Kollegen ratlos an.

      Markus schloss das Fenster wieder und verschwand hinter seinem Bildschirm. Er schob sich eine Handvoll Nüsse in den Mund und sagte: »Die wittern nun wohl doch die Story und wollen ein großes Ding draus machen. Das hat mir gerade noch gefehlt!«

      »Mal ganz ehrlich, es ist ja auch nicht alltäglich, und die Häfler freuen sich eben über außergewöhnliche News. Dann können sie sich an den Stammtischen wieder ihre Mäuler zerreißen. Außerdem sind unsere Freunde von der Presse ja nicht blöd. Es ist nun mal nicht sehr wahrscheinlich, dass so ein großes Motorboot bei ruhigem See einfach untergeht. Du würdest an ihrer Stelle auch stutzig werden«, mutmaßte Isabel.

      »Wahrscheinlich

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