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CaWe fragen könnte, wie er die Sache handhaben würde.« Er beobachtete Isabel, die zusammengezuckt war, als sie den Namen hörte, und fügte hinzu: »Bisher haben unsere Kollegen dichtgehalten, keiner ist ausgeschert. An denen knabbert das eigene schlechte Gewissen.«

      Die hätten erst recht mit Konsequenzen zu rechnen. Wenn die nicht nachgeholfen hätten, wäre das Boot nicht gekippt und vollgelaufen, dachte Isabel, und schlagartig wurde ihr auch bewusst: Wenn Carl nicht bald aufwachte oder wenn ihm gesundheitliche Beeinträchtigungen blieben, konnte die Sache schlimm ausgehen für die Kollegen. Das wäre gravierender und nachhaltiger als ein Verhältnis des in der Stadt bekannten und angesehenen Polizeidirektors mit einer Untergebenen. Doch sie verkniff sich ihren Kommentar und nickte nur.

      In diesem Augenblick betrat Timo das Büro. Das Gesicht des jungen Kollegen war puterrot bis unter die blonden Haarspitzen. In einer Hand hielt er mehrere Blätter Papier und wedelte damit vor Markus’ Kopf herum. »Habt ihr schon gesehen, im Internet kursieren wilde Spekulationen über den Unfallhergang!«, stieß er hervor.

      Aha, daher wehte der Wind! Wahrscheinlich ist das der Grund, warum die Presse den Fall nochmals aufgreifen will, schoss es Markus durch den Sinn. Missmutig brummte er: »Will ich gar nicht wissen.«

      Timo schob ihm die Papiere trotzdem zu, zeigte mit dem Finger auf eine Stelle, die er bereits gelb markiert hatte, und zitierte: »Da steht: Ich frage mich, wie man so einen Kahn umschmeißen kann. Kann mir nicht vorstellen, dass es nur an der falschen Belastung lag.«

      »Ich will’s nicht hören!«, betonte Markus noch einmal einen Ton schärfer als zuvor. Doch Timo war nicht zu bremsen: »Und hier: An diesem Tag hatten wir ruhiges Wetter und so gut wie keine Wellen. Da ist was oberfaul …«

      Isabel erhob sich und ging vor ihrem Schreibtisch auf und ab, dass ihr Pferdeschwanz im Takt ihrer Schritte von einer Seite auf die andere wippte. In ihrem Bauch krampfte sich etwas zusammen, und unwillkürlich legte sie eine Hand auf den Gürtel. Mit klopfendem Herzen verfolgte sie den Disput der Kollegen.

      »Hör endlich auf, ich gebe nichts auf den Scheiß! Und siehst du nicht, wie Isabel leidet?«, fuhr Markus Timo an und fegte mit einer schnellen Handbewegung die Blätter vom Tisch.

      Timo erschrak. Jähzorn und Wutausbrüche kannte er von Carl W. Dangelmann und litt unter ihnen mehr als jeder andere hier. Dienstgruppenleiter Markus Proll dagegen hatte er bisher als ausgeglichen und freundlich erlebt. Änderte sich das Verhalten mit der Funktion? Dann wollte er nie Chef werden.

      Timo verbrachte viele Stunden am PC und im Internet. Er schenkte den oftmals polemischen Kommentaren der teils anonymen User große Aufmerksamkeit und konnte nicht begreifen, warum Markus die Beiträge ignorierte. »Sorry«, stotterte er kleinlaut, »ich dachte, das ist wichtig und interessiert euch.« Er sammelte die Papiere vom Boden auf, hielt kurz inne und warf sie dann in den Papierkorb.

      Inzwischen hatte sich Markus wieder beruhigt und sagte: »Timo, bitte entschuldige, aber für so was hab ich grad absolut keinen Nerv. Die Pressefuzzis haben die Kommentare bestimmt auch gelesen und wollen jetzt ein Interview.« Er stand auf, schaute Isabel und Timo fragend an und überlegte laut: »Was sag ich denen bloß?«

      Timo ging ein Licht auf: Er erkannte, dass er gar nicht der Grund für Markus’ Aggressivität gewesen war, also sagte erleichtert und ein wenig boshaft: »CaWe hätte damit kein Problem! Wenn die Presseleute anklopften, lief er immer zu Höchstform auf. Gut ankommen, irgendein Zeugs säuseln und schleimen, das hatte der drauf! Was das betrifft, hättest du von CaWe jede Menge lernen können.« Zu seinen Worten nickte Timo bekräftigend, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Seit Timo über den Chef wusste, was er ohne das Unglück nie erfahren hätte, war seine Heidenangst vor ihm wie weggeblasen. Er lebte förmlich auf.

      Isabel war bei Timos Sätzen zusammengesunken und kritzelte mit gesenktem Kopf auf ihrer Schreibtischunterlage herum. Warum hatte Timo in der Vergangenheitsform von Carl gesprochen? Rechnete er nicht mehr mit seiner Rückkehr in den Dienst? Kannte er Carls Zustand? Sie dachte zurück an ihren Besuch in der Akutneurologie in Allensbach, und ihr Magen krampfte sich erneut zusammen. Carls Tiefenangst, die er sich selbst nicht eingestanden hatte, war der Grund dafür, dass er es nicht aus eigener Kraft an die Wasseroberfläche geschafft hat, hämmerte Isabel sich ein, und doch fühlte sie sich wieder einmal schuldig: Wenn sie nochmals zu ihm hinuntergetaucht wäre, vielleicht hätten sie es gemeinsam geschafft. Wenn sie ihn, statt ihn loszulassen, fester gepackt hätte, als er begann, um sich zu schlagen, vielleicht … Wenn, wenn, wenn … Ach, sie hätte sich niemals auf diese Affäre einlassen dürfen.

      Markus riss sie aus ihren Gedanken. »Weißt du was, Isabel, ich sag denen gar nix. Ich verweise auf die laufenden Ermittlungen, basta!«, beschloss er und griff zum Telefonhörer.

      Kurze Zeit später, Markus war auf dem Weg zu den Kollegen der Kriminalpolizei nebenan, trieb sein schlechtes Gewissen Timo erneut in Isabels Zimmer. Er blieb vor ihrem Schreibtisch stehen, fuhr sich mit den Fingern durch seine Stoppelhaare und sagte: »Du, Isabel, vorhin … mein Verhalten, das war richtig blöd. Entschuldige.«

      »Ist schon okay, Timo. Markus ist nicht nachtragend, und ich bin es auch nicht. Wir sind gerade alle ein bisschen durch den Wind«, sagte Isabel und blickte zu Timo auf.

      Timo fuhr zögernd fort: »Seit ich weiß, dass CaWe unter Tiefenangst leidet und er mit seinem arroganten Verhalten Schwäche und Unsicherheit überspielen wollte, habe ich fast Mitleid mit ihm, Isabel. Ist CaWe nicht eigentlich eine ganz arme Sau?«

      Isabel nagte an ihrer Unterlippe und sagte schließlich: »Ich war bei ihm, hab ihn in der Klinik besucht.«

      Erstaunt fragte Timo: »Und? Wie geht es ihm?«

      Isabels Blick wanderte zum Fenster hinaus. Sie antwortete: »Carl hängt an Schläuchen, ist völlig angewiesen auf Ärzte und Geräte, die Atmung und Herzschlag kontrollieren. Gut, dass er das gar nicht mitbekommt.«

      »Da tut er mir wirklich leid. Ich möchte nicht tauschen mit ihm.« Timo trat nervös von einem Bein auf das andere und schaute Isabel durchdringend an.

      Isabel hatte das Gefühl, dass ihren jungen Kollegen noch etwas ganz anderes bewegte, und fragte: »Du hast etwas auf dem Herzen, stimmt’s?«

      »Ja, ich wollte …«, stammelte er, »… ich wollte dich fragen, ob du nach Dienstschluss schon was vorhast.«

      »Nein, warum?«, fragte Isabel gedehnt. Sie wusste nicht, worauf Timo hinauswollte.

      »Dann … würde ich dich gerne auf ein Bier einladen, wegen vorhin, einfach so«, sagte Timo.

      »Das brauchst du nicht, Timo. Aber ich komme gern mit«, sagte Isabel erleichtert. »Das Wetter ist ja richtig schön. Doch ich mache heute erst Feierabend, wenn ich diesen Bericht fertig habe. Danach hab ich nämlich wirklich eine Belohnung verdient.«

      Kapitel 8

      Die wärmenden Strahlen der Septembersonne hatten nochmals viele Menschen auf die Promenade und in die Gastgärten gelockt, und so waren die Bänke und Tische des »Wirtshaus am See« fast alle besetzt. Isabel und Timo hielten Ausschau nach einem freien Tisch. Kaum hatten sie Platz genommen, eilte schon eine Kellnerin in grünem Dirndl und Bluse mit großzügigem Oktoberfestausschnitt auf sie zu. Ihre braunen Haare ruhten, zu einem dicken Zopf geflochten, auf ihrer linken Brust. Sie baute ihre stattliche Erscheinung vor Timo auf, zückte erwartungsvoll Stift und Orderman und fragte mit gewinnendem Lächeln: »Was darf’s denn sein?«

      Als sie nicht sofort eine Antwort erhielt, zwinkerte sie Timo zu und fügte keck an: »Da haben Sie sich aber eine schöne Frau ausgesucht.«

      Augenblicklich zog in Timos Gesicht dunkelrote Farbe auf. Seine Augen begannen zu leuchten. Vollkommen perplex schaute er Isabel an und blickte dann zur Kellnerin auf. Er war viel zu verdattert, um auch nur einen Ton herausbringen zu können, und fuhr sich verlegen über seine Stoppelhaare. Zwar stotterte er ein paar Silben, doch keine der beiden Frauen konnte diese verstehen.

      Isabel grinste und antwortete an seiner Stelle: »Ein Weizenbier, alkoholfrei, bitte.« Mit Blick auf Timo, der nun nickte,

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