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kam aus seinem Mund. Nur ein einziges Wort presste er zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor: »Entschuldige.« Und schon eilte er mit gesenktem Kopf an ihr vorbei.

      Isabel spürte, wie sehr Frieder sich Vorwürfe machte für das, was passiert war. Aber auch Isabel schämte sich, und ihre Wangen wurden heiß. Frieder, ebenso wie alle anderen, wussten nun von ihrem Verhältnis mit dem Chef. Bestimmt hatte es sich auch bei den Kollegen der anderen Schicht und in den weiteren Dienststellen wie ein Lauffeuer verbreitet. Da gab es nichts mehr zu beschönigen, gar nichts. Bei Frieder war es Isabel besonders peinlich, obwohl er selbst gern den Voyeur und Filou gab und kein Unschuldslamm war. Das hatte sie bei manchen Einsätzen mit ihm erlebt. Boote, auf denen sich Pärchen im Adams- beziehungsweise Evaskostüm sonnten, überprüfte er besonders gern und intensiv.

      Frieder und die anderen Kollegen hatten von ihrem ersten Tag an über den enormen Verschleiß des Chefs an schönen Frauen gelästert. Sie hätte gewarnt sein müssen, doch sie hatte immer nur lächelnd zugehört. Und dann war auch sie dem Charme von Carl W. Dangelmann und seiner unfassbar erotisch-männlichen Ausstrahlung erlegen. Die dunkle Seite seines Charakters und sein übersteigertes Selbstbewusstsein, ja seinen Narzissmus, hatte sie am eigenen Leib erst zu spüren bekommen, als es zu spät war. Im Gegensatz zu den meisten Kollegen, insbesondere dem jungen Timo Fessele, hatte Carl sich ihr gegenüber nämlich lange Zeit nicht herablassend, gemein und jähzornig verhalten.

      Isabel zog energisch den Haargummi fester um ihren Pferdeschwanz. Jetzt gab es nur eines: Sie musste dazu stehen, was sie getan hatte, schließlich war sie erwachsen. Worauf sie sich eingelassen hatte, konnte nicht mehr rückgängig und ungeschehen gemacht werden. Sei stark, bleib ruhig, hämmerte sie sich mit jeder Treppenstufe ein, die sie auf dem Weg zu ihrem Büro nahm.

      Oben angekommen, wurde ihre gerade beschworene Selbstsicherheit sogleich auf die Probe gestellt. Im Flur kam ihr Timo entgegen. Ihn hatte das Geschehen besonders getroffen. Er mochte Isabel sehr, war sogar heftig verliebt in sie. Isabel mochte Timo auch, wenngleich sie für ihn nur kollegiale Gefühle empfand. Bisher hatte sie seine unbeholfenen Annäherungsversuche eher amüsiert registriert und ihm nie irgendwelche Hoffnungen gemacht. Timo war überhaupt nicht ihr Typ. Und Timo wiederum war viel zu schüchtern und hatte sich nie getraut, Isabel seine Liebe zu gestehen. Erst am Tag des Unglücks war seine Hoffnung, die schöne Kollegin für sich gewinnen zu können, bis in die Grundfesten erschüttert worden. Timos Augen flackerten, als er nun Isabel erblickte, und seine helle Gesichtshaut färbte sich dunkelrot bis zum Ansatz seiner blonden Stoppelhaare. »Hey, Isabel. Wieder an Bord«, presste er hervor. Dann senkte auch er seinen Kopf und drückte sich an ihr vorbei in sein Büro.

      Obwohl Isabel gar nicht nach Späßen zumute war, rief sie ihm nach: »Aye, aye, Käpt’n.« Die Seemannssprache war ihr einfach über die Lippen gerutscht. Sie dachte: Armer Kerl, für dich muss eine Welt zusammengebrochen sein. Isabel wünschte, sie hätte Timo nicht auf diese Art das Herz brechen müssen. Ausgerechnet mit dem ihm so verhassten Chef, von dem er sich auch im Dienst ständig demütigen lassen musste.

      Vor ihrem Zimmer hob Isabel den Kopf, zerrte nochmals ihren Haargummi zurecht, drückte die Türklinke und ging entschlossen hinein. Ihr Kollege Markus Proll saß hinter seinem Computer, vor sich einen Berg von Papieren, den Kopf in die Hände gestützt.

      Seit der Polizeidirektor im Krankenhaus war, wusste er oft nicht, wo ihm der Kopf stand. Er musste, zusätzlich zu seiner Arbeit, stellvertretend die Dienststelle der Wasserschutzpolizei Friedrichshafen leiten, zu der auch der Polizeiposten im 15 Kilometer entfernten Langenargen gehörte. Als nun Isabel das gemeinsame Zimmer betrat, blickte Markus auf. Er erhob sich sofort, kam ohne ein Wort auf sie zu und nahm sie einfach in die Arme. Dann sagte er: »Ich freue mich, dass du wieder da bist, Isabel. Und es tut mir so leid, dass das passiert ist.«

      Isabel merkte, wie sich ihr Körper bis hinauf zum Nacken versteifte. Sie schluckte die Erinnerung, die erneut hochkommen wollte, hinunter. Da Isabel nichts sagte, versuchte Markus, sich unbeholfen zu rechtfertigen: »Die Kollegen brachten das Boot so leichtsinnig zum Schaukeln, die beugten sich so weit über die Reling, um einen Blick auf euch da unten erhaschen zu können. Du hättest ihre zotigen Witze hören sollen … Ich dachte, wenn ich Gas gebe, kommen die zur Vernunft und hören auf, aber das war offensichtlich das Verkehrteste, was ich tun konnte …«

      Bei seinen Worten erfasste Isabel ein Schaudern. Offensichtlich hatte sie sich doch zu viel zugemutet. Markus bemerkte es und drückte sie noch fester an sich.

      »Danke für dein Mitgefühl, Markus. Ich weiß, dass du das nicht wolltest, keiner wollte das«, brachte Isabel nun mit zitternder Stimme hervor. Sie richtete sich auf, schaute ihrem Kollegen in die Augen und fragte: »Du hast schon vor dem Unglück alles gewusst von Carl und mir, nicht wahr?«

      Markus strich ihr über Schultern und Rücken und sagte noch einmal: »Du bist wieder hier, Isabel. Das allein zählt. Es ist nicht deine Schuld, wie alles gekommen ist. CaWe allein ist verantwortlich für das, was er tut.«

      Obwohl Isabel nie ein Wort darüber verloren hatte, hatte Markus geahnt, dass der Chef sich Isabel genommen hatte wie so viele andere vor ihr. Er hatte es bereits befürchtet, als er Isabel zum ersten Mal gesehen hatte. Ihre natürliche Schönheit, die Make-up nicht nötig hatte, ihr herzliches und offenes Wesen, ihre Unschuld beeindruckten auch ihn. Er arbeitete gern und gut mit Isabel zusammen. Immer mal wieder hatte er versucht, sie durch die Blume vor den Absichten des Chefs zu warnen. Aber er wusste, dass Gefühle und Triebe stärker sein können als der Verstand. Das hatte er nicht nur in der theoretischen Ausbildung gelernt, die polizeiliche Praxis konfrontierte ihn beinahe täglich mit den Abgründen menschlichen Handelns.

      Isabel löste sich aus seiner Umarmung und betonte: »Es war nicht nur sein Fehler, ich hätte es wissen müssen.« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und fügte hinzu: »Hoffentlich wacht Carl bald auf.«

      Isabel wusste, auf Markus konnte sie sich verlassen, er war eine ehrliche Haut. Doch mit welchen Augen würden die anderen Kollegen sie betrachten, jetzt, nachdem sie sich zu einer weiteren Kerbe im Bett des Chefs hatte machen lassen? Angstvoll fragte sie sich: Werden sie lästern und tuscheln hinter meinem Rücken? Werden sie mich auch künftig als verlässliche Polizistin und pflichtbewusste Stellvertreterin des Schichtleiters akzeptieren? Wie wird sich Frieder verhalten, mein väterlicher Ratgeber und »Bärenführer«, der mir die Abläufe bei der Wasserschutzpolizei erklärt hat? Er hatte sie wie eine Tochter behandelt. »Mädle, du bist ja geradezu süchtig nach Recht und Gerechtigkeit. Das ist die beste Voraussetzung für eine gute Polizistin«, hatte er sie einmal gelobt. Mit Sicherheit war er nun enttäuscht. Würde er sie verurteilen, ablehnen? Aus der kurzen Begegnung vorhin am Empfang war sie nicht schlau geworden. Dann machte sich Isabel noch einmal klar: Die Kollegen hatten sich auf dem Boot verhalten wie pubertierende Flegel. Das Unglück wäre nicht passiert ohne deren blödsinnige Neugierde und kindische Stichelei.

      Isabel holte die Worte in ihr Bewusstsein, die Lena ihr nach einem freundschaftlichen therapeutischen Gespräch mit auf den Weg gegeben hatte: »Was passiert ist, ist passiert, und du willst stark sein. Also musst du lernen, dir solche Sachen nicht so zu Herzen zu nehmen, vieles an dir abprallen zu lassen. Leg dir eine Echsenhaut zu. Das Denken der anderen kannst du ohnehin nicht beeinflussen.« Damit drückte sie den Einschaltknopf ihres Computers. Würde sie da schon ein Shitstorm erwarten?

      Auch Markus hatte sich wieder seinen Unterlagen zugewandt und sagte nun: »Selbst wenn CaWe aus dem Koma wieder aufwacht, weiß niemand, was danach sein wird.«

      Daran wagte Isabel gar nicht zu denken, vorerst zumindest nicht. Sie überlegte, ob sie Markus von ihrem Besuch am Vortag in der Klinik erzählen sollte, entschied sich dann, es zunächst für sich zu behalten, und begann, ihre elektronische Post zu sichten. Sie war fest entschlossen, sich nun mit aller Kraft in die Arbeit zu stürzen, um wenigstens das wiedergutzumachen, und fragte: »Viel liegen geblieben die letzten Tage, Markus?«

      »Das auch. Ich konnte aber einiges abarbeiten«, antwortete Markus. »Meine Frau und meine Jungs haben sich schon beschwert, weil ich deswegen unsere gemeinsame Radtour gecancelt habe.«

      »Oh, tut mir leid.«

      Markus schmunzelte: »Das muss es nicht. Meine Familie ist ohne

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