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schwacher Esel und Halīmes al-tes Kamel kamen so langsam vorwärts, dass die junge Familie vom Rest der Gruppe abge-hängt wurde. Als die beiden endlich in Mekka eintrafen, hatten alle anderen schon ein Kind für sich finden können. Da machten sich auch Hārith und Halīme auf die Suche nach einem Säugling. Aber schnell begriffen sie, dass die Kinder der reichen Familien bereits vergeben waren. Da wurde Halīme sehr traurig. Denn nach dem langen, beschwerlichen Marsch woll-te sie auf keinen Fall ohne Kind heimkehren. Als sie allein bekümmert durch die Straßen von Mekka streifte, stand plötzlich ein großer und imposanter Mann vor ihr - das Oberhaupt der Quraysch, Abdulmuttalib. Er fragte Halīme:

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      „Zu welcher Familie gehörst du?“ Halīme ant-wortete: „Ich gehöre zu den Beni Bekr.“ „Wie ist dein Name?“, fragte er weiter. „Halīme“, sag-te sie. „Da, wo du herkommst, passt man sehr gut auf die Kinder auf und erzieht sie gut. Halī-me, ich werde dir ein Angebot machen.“

      Halīme schaute Abdulmuttalib gespannt an und blieb stumm, bis er ihr sein Angebot unter-breitete. Der Großvater des Propheten atmete tief durch und sagte: „Ich habe ein Enkelkind. Ich habe ihn vor dir schon den anderen Am-men zu geben versucht, doch alle haben ihn ab-gelehnt. Sie haben ihn verschmäht, weil er eine Halbwaise ist. Würdest du ihn zu dir nehmen? Vielleicht wird Gott dafür euer Haus segnen und euch beschenken.“ Halīme fand Gefallen an dem Angebot, wandte aber ein, dass sie zuvor noch den Rat ihres Mannes einholen wolle. Sie erzählte Hārith, was vorgefallen war, und sagte: „Ich will den Jungen mit nach Hause nehmen und nicht als Amme ohne Ziehkind zurückkeh-ren. Was denkst du darüber?“ „Ja, du hast Recht. Vielleicht wird Allāh uns ja wirklich durch ihn segnen und beschenken“, entgegnete Hārith.

      Als beide zusammen Abdulmuttalib davon unterrichteten, dass sie sein Angebot anneh-

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      men würden, war er sehr glücklich. Er sprach ein Gebet für sie und brachte Halīme mit ih-rem Sohn Abdullah zum Haus von Āmine. Als Halīme Āmines Zimmer betrat, schlief der Herr der Herzen gerade friedlich in seinem Bett, und es duftete wunderbar. Mit Einverständnis von Āmine nahm Halīme den Säugling in den Arm und begann ihn zu stillen. Auf einmal hatte sie mehr Muttermilch als vorher. Also stillte sie erst den Propheten und danach noch ihren ei-genen Sohn Abdullah. Nachdem beide satt wa-ren, schliefen sie ein. Vorher hatte Abdullah vor Hunger kein Auge zugetan.

      Hārith und Halīme verbrachten die Nacht in Mekka, und als sie am nächsten Tag mit ihrem neuen Ziehkind aufbrechen wollten, sahen sie, dass die Euter ihres alten Kamels plötzlich eben-falls voll Milch waren. Also melkten sie es und tranken davon. Die Nacht in Mekka war eine ge-segnete und glückliche Nacht gewesen; die wohl glücklichste in ihrem Leben bis zu diesem Tage. Und solange der Prophet bei ihnen war, sollte der Strom der Segnungen, die ihnen fortan zuflossen, nicht mehr versiegen.

      Als sich Āmine von ihrem nach Rosen duf-tenden Sohn verabschiedete, war sie untröstlich.

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      we sellem

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      Sie umarmte ihr einziges Kind mit Tränen in den Augen und betrachtete es noch einmal sehr lange. Flüsternd betete sie dafür, dass ihm nichts zustoßen möge. Halīme stieg mit dem Prophe-ten im Arm auf den schwachen Esel. Da war auch dieses Tier plötzlich wie verwandelt. Es trottete nicht mehr langsam vor sich hin, son-dern galoppierte fast. Schon bald holten sie ihre Freunde ein, die bereits am Abend vorher auf-gebrochen waren und nun sehr ausgelaugt und müde aussahen. Halīme und Hārith hingegen fühlten sich frisch und gut bei Kräften. Ihren Weggefährten war das unbegreiflich. Sie fragten Halīme: „Halīme, wie ist das möglich? Auf dem Hinweg seid ihr doch immer hinter uns zurück-geblieben und habt euch dann sogar ziemlich verspätet. Hast du etwa einen neuen Esel?“

      Halīme und Hārith erkannten schnell, dass sie den Segen, der nun über ihre Familie kam, ihrem Ziehsohn aus Mekka verdankten. Auch der sonst so karge und trockene Boden war ertragreicher als sonst, und die Tiere ihrer Herde gaben mehr Milch. Das ging sogar soweit, dass die anderen Herdenbesitzer ihre Hirten zu sich riefen und mit ihnen schimpften: „Schande über euch! Wie-so lasst ihr die Tiere nicht da weiden, wo Halīme

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      ihre Tiere hat? Wenn unsere Schafe satt wären, würden sie auch mehr Milch geben.“ Zwischen den Besitzern und den Hirten gab es fast jeden Tag Streit. Die Tiere auf den anderen Weiden waren bald so ausgehungert, dass sie aussahen, als könnten sie jeden Moment verenden. Irgend-wann wurden die Dürre und die Hungersnot so extrem, dass man beschloss, Bittgebete für Re-gen zu sprechen. An einem Freitag stiegen die Männer, Frauen und Kinder des Stammes alle zusammen auf einen nahegelegenen Hügel. Dort beteten sie stundenlang mit einem Priester, doch es fiel kein Tropfen Wasser zur Erde. Verzweif-lung begann sich breitzumachen, als sich eine alte Frau zu Wort meldete und sagte: „Im Haus un-serer Nachbarin Halīme lebt dieses wundersame Kind aus Mekka. Seitdem es bei ihnen ist, regnet Segen vom Himmel herab. Wieso probieren wir nicht, mit ihm zu beten? Vielleicht schenkt uns Gott ja dann Seinen Segen.“

      Die Idee gefiel dem Priester. Die alte Frau machte Halīme unter den Versammelten ausfin-dig und erzählte ihr von ihrer Idee. Halīme hatte den Propheten nicht mit zu dem Gebet genom-men, weil es zu heiß gewesen war. Also ging sie ihn mit der alten Frau zusammen holen. Halīme

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      wickelte ihren geliebten Ziehsohn in ein Tuch, um ihn vor der Sonne zu schützen, und verdeck-te auch sein Gesicht. Auf dem Rückweg den Hü-gel hinauf bemerkten sie, dass eine kleine Wolke sie begleitete. Das blieb auch dem Priester nicht verborgen, der sie aus der Ferne beobachtete. Da-durch wuchs auch seine Hoffnung, dass dieses Kind aus Mekka ihnen Segen bringen werde.

      Der Priester nahm den Herrn der Herzen in den Arm und sprach zu der Menge: „Ihr Men-schen, die ihr euch hier versammelt habt! Betet im Namen dieses Kindes für Regen. Hoffen wir darauf, dass Allāh ihm wohl gesonnen ist.“ Dabei konnte er seinen Blick nicht von den Augen des Propheten abwenden. Während die Menschen beteten, vergrößerte sich die kleine Wolke, die unseren Propheten behütete, und wurde immer dunkler. Dann war der ersehnte Moment gekom-men. Alle Anwesenden schrien auf vor Glück. „Es regnet! Es regnet! Es regnet!“, riefen sie. Mit kurzen Unterbrechungen dauerte der Regen eine Woche an. Die Weideplätze grünten, die Wasser-quellen füllten sich wieder, und die Bäume setz-ten neue Früchte an. Die Tiere wurden satt und gaben mehr Milch. Der Segen von Halīmes Haus hatte sich auf das ganze Tal übertragen.

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      Die Jahre verstrichen, und der Herr der Her-zen wuchs heran. Er brauchte nun keine Mut-termilch mehr. Der Zeitpunkt für die Rückgabe des Kindes, den Halīme mit Āmine und Abdul-muttalib vereinbart hatte, nahte. Um ihr Wort zu halten, brachten Halīme und Hārith ihren Ziehsohn nach Mekka zurück. Āmine weinte vor Glück, als sie ihren einzigen Sohn wiedersah, und drückte ihn fest an sich. Halīme hingegen war todtraurig. Sie wollte sich nicht von ihm trennen und spürte, wie sich ihre Brust schon bei dem Ge-danken daran verengte. Deshalb bat sie Āmine in flehendem Ton: „In der Stadt geht die Pest um. Ich habe Angst, dass er sich ansteckt. Sollten wir Muhammed nicht noch eine Zeitlang bei uns be-halten?“ Āmine missfiel der Vorschlag, aber tat-sächlich hatte auch sie Angst vor der Krankheit. Daher willigte sie schließlich wohl oder übel ein.

      Voller Freude kehrten Halīme und Hārith mit ihrem Ziehsohn in ihre Heimat zurück. Dort ver-brachte der Prophet zwei weitere Jahre bei seinen Zieheltern und Ziehgeschwistern. Sie alle lieb-ten ihn sehr und gaben gut auf ihn Acht. Aber einmal, als die Kinder hinter dem Haus spielten, kam Abdullah zu seiner Mutter Halīme gerannt und berichtete ihr aufgeregt: „Zwei in Weiß ge-

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