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der dicke Perez, aber dann erschien diese Gestalt, die uns sagte, wir sollten keine Angst haben, weil die Hoffnung Israels endlich gekommen sei. Ein Friedensstifter und König der ganzen Welt.“

      „Das hätte ich auch gern gesehen“, sagte ich sehnsüchtig.

      Joel nickte. „Es hätte dir gefallen“, fuhr er fort. „Plötzlich war da nicht nur Licht, sondern auch Musik, ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Als wäre alles, was schön ist auf der Welt, die Sonne und die Wärme und das Wasser, an einem Ort zusammengekommen. ‚Friede auf Erden‘, sangen sie, ‚Gott freut sich an seinen Menschen, deshalb hat er seinen Sohn gesandt, den König der Könige.‘“

      Es war eine unglaubliche Geschichte. Ebenso unwirklich wie die Tatsache, dass wir beide hier saßen, eng umschlungen in unserer zugigen Hütte, die bisher vor allem unseren Streit erlebt hatte, Joels Wut und meine Tränen.

      Wieder seufzte er. „Ich weiß, ich bin ein Mistkerl, Nurit. Aber ich werde dir beweisen, dass ich mich ändern kann. Gott will, dass auf dieser Erde Frieden wird, und ich werde bei uns anfangen. Bei meiner Familie, bei dir. Bei meiner Arbeit. Ich werde zeigen, dass es stimmt, was der Engel gesagt hat.“

      Behutsam fuhr ich mit meinem Finger über die dunklen Haare auf seinem Arm. Das hatte ich immer schon gern getan. „Deine Mutter hatte recht“, sagte ich. „Du bist etwas Besonderes.“

      Er lächelte. „Gott hat es wohl doch gut mit mir gemeint.“

      Und mit mir, dachte ich. Wie gesagt, ich habe dieses Kind nie zu sehen bekommen. Aber seine Leben verändernde Kraft, die habe ich erlebt.

      von Hannelore Schnapp

      Für Zirkus Zambesi war es ein hartes Jahr: Im März starb Antonio Jordano, Direktor und Familienoberhaupt, und ließ seine Frau Carmen mit vier Kindern, zwei Pflegekindern, sieben Angestellten, zehn Ponys, fünf Königspudeln, 12 Tauben und einem Goldpython namens Gordon zurück. Seit vier Generationen bereiste der Familienzirkus Deutschland, Österreich und die Niederlande. Das Talent zur Akrobatik und Jonglage, zu Seiltanz und Dressur bekamen die Kinder schon mit der Muttermilch.

      Bei einem Aufenthalt an der holländischen Grenze hatte ein Sommergewitter das Zelt schwer beschädigt und im Oktober war Charly, der Clown, mit den Einnahmen einer ganzen Woche durchgebrannt.

      Im November bekam Stella, Carmens älteste Tochter, ein Kind von Robertino, dem Feuerschlucker, der im Zirkus Zambesi ein kurzes Gastspiel gegeben hatte. Anfang Dezember musste Carmen aufgrund der wirtschaftlichen Lage die beiden Pflegekinder abgeben.

      „Was sollen wir nur tun?“, sagte sie verzweifelt, als sich abends alle in ihrem Wohnwagen trafen. „Unsere Geldreserven sind aufgebraucht. Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Ich kann euch keine Gagen mehr zahlen, selbst für Tierfutter habe ich kein Geld. Wir brauchen dringend ein Winterquartier. Bauer Schrammen, bei dem wir in den letzten Jahren untergekommen waren, hat abgesagt. Sein Sohn hat den Hof übernommen und der will mit Leuten vom Zirkus nichts zu tun haben. Ich glaube, wir müssen alles verkaufen. Das ist das Ende.“ Carmen, die immer tapfer durchgehalten hatte, begann furchtbar zu weinen.

      „Chefin, nicht weinen. Wir kriegen das schon hin. Ich habe etwas gespart. Gemeinsam schaffen wir das.“ Rudi, der kleinwüchsige Akrobat, legte seinen Arm um Carmen.

      „Wir haben nur den Zirkus, Mama. Was soll denn aus uns Kindern werden?“, fragte Carlo, ihr Ältester. „Wir haben doch nichts anderes gelernt.“

      „Dann werdet ihr das eben nachholen und eine vernünftige Ausbildung machen müssen“, erwiderte Carmen.

      „Ich habe von Papa die beste Ausbildung der Welt bekommen: Ich bin Fakir und Schwertschlucker, ich laufe auf glühenden Kohlen. Jana ist eine begabte Artistin auf dem Seil und am kleinen Trapez. Stella hat ihre Tiernummern und Jo ist ein genialer Jongleur. Uns kann man nicht einfach in ein Büro setzen.“

      „In der kleinen Stadt fünf Kilometer entfernt haben wir im Sommer doch richtig gut besetzte Vorstellungen gehabt“, erinnerte Jo die Gruppe. „Lasst uns dort anfragen, ob wir bleiben können.“

      „Wenn das Geld nicht reicht, gehen wir eben betteln. Hauptsache, du verkaufst nicht die Tiere, Mama. Wir sind doch alle eine Familie. Oder soll ich etwa meinem kleinen Luca sagen, wenn er groß ist: ‚Du bist ein Zirkuskind ohne Zirkus!‘?“, warf Stella ein.

      „Na gut. Probieren wir es. Vielleicht klappt es, wenn wir alle an einem Strang ziehen!“, gab Carmen nach.

      Am nächsten Tag sahen die Leute in der Einkaufsstraße der kleinen Stadt am Niederrhein Artisten, Tiere und Clowns. Carmen saß mit ihren Tauben am Leierkasten und spielte Zirkusmelodien. „Zirkus sucht Winterquartier“ stand auf einem großen, selbst gemalten Schild. Einige Passanten hielten an und warfen Münzen in die Hüte und Mützen der Künstler.

      „Mama, Mama!“, rief plötzlich ein kleines Mädchen in einem Rollstuhl. „Mama, schau! Der Zirkus ist wieder da. Ich will die Ponys streicheln!“

      „Moment, Isabell. Ich fahr dich hin.“

      „Magst du auf dem Pony reiten?“, fragte Stella die Kleine, als sie das Kind im Rollstuhl sah.

      „Meine Tochter kann nicht laufen!“, erklärte die Mutter.

      „Das übernimmt das Pony. Es ist ganz lieb und warm. Ich halte dich fest, dann kann gar nichts passieren. Willst du es mal versuchen?“

      „Bitte, bitte Mama. Darf ich?“

      „Na gut, Isabell.“

      Vorsichtig half ihr Stella auf das zottige kleine Tier.

      „Es ist so schön, Mama. Kann ich es nicht behalten?“

      „Nein, Isabell. Du weißt, dass das nicht geht. Im Pfarrhaus ist kein Platz für Tiere.“

      „Aber dahinter ist der Sportplatz mit viel leckerem Gras. Bitte!“

      „Sie suchen ein Winterquartier?“, fragte die Frau des Pfarrers Stella, nachdem sie das Schild gelesen hatte.

      „Ja, wir sind dieses Jahr in Not geraten und es geht uns wirklich sehr schlecht. Aber einen Zirkus will keiner haben, oder kennen Sie jemanden, der uns freiwillig aufnehmen würde? Leute vom Zirkus haben keinen guten Ruf. Dabei sind wir eine ganz normale Familie, vielleicht etwas größer und mit mehr Tieren als üblich.“

      „Mama, bitte lass sie bei uns wohnen, dann kann ich jeden Tag reiten. Bitte, sag Ja!“

      Schon lange hatte die Frau des Pfarrers Isabell nicht so glücklich und entspannt gesehen. Seit dem schweren Verkehrsunfall vor einem Jahr hatte sich die Achtjährige immer mehr von der Außenwelt zurückgezogen.

      „Ich habe da eine Idee, muss allerdings erst noch mit meinem Mann darüber sprechen. Wo und wie kann ich Sie erreichen?“, fragte sie Stella.

      „Das ist nicht dein Ernst, Beate. Ein Zirkus auf der Wiese hinter dem Pfarrhaus. Wenn die Leute zur Kirche kommen, müssen sie an Wohnwagen und fahrendem Volk vorbei. Und dann die Tiere und der ganze Mist.“ Pfarrer Jürgen Bergmann war alles andere als begeistert, als er von der Idee seiner Frau hörte.

      „Bitte, Papa. Dann kann ich jeden Tag auf den Ponys reiten“, bettelte Isabell.

      „Fahrendes Volk. Jürgen, ich bitte dich. Das sind Leute wie du und ich. Alle sehen sehr gepflegt aus. Sie brauchen dringend Hilfe. Die große Wiese hinter dem Haus wird nur im Sommer genutzt. Und Isabell hat so viel Spaß mit den Tieren“, gab die Frau des Pfarrers zu bedenken.

      „Bitte, Papa. Ich wünsche mir auch nichts zu Weihnachten, nur einen Zirkus.“

      „Tiere haben die auch, sagst du?“ Langsam erwärmte sich der Pfarrer für die Idee. „Vielleicht könnten die auf dem Weihnachtsmarkt vor der Kirche sogar eine Art lebendige Krippe spielen und noch ein paar Leute mehr anziehen. Mit Ponyreiten und Akrobatik kämen bestimmt mehr Besucher.“

      „Das ist eine super Idee, Papa! Komm,

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