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allgemeinen Gemurmel unter, das nun mehr und mehr zu hören war. Die Besucher wurden unruhig.

      Jemand schien das Mikrofon zu überprüfen, das keinen Ton mehr übertrug. Wahrscheinlich war es der Pfarrer, der seine Stimme zu einer Erklärung erhob. Aber in den hinteren Reihen, wo wir saßen, konnten wir nur das Wort „Strom“ verstehen.

      „Ich tippe auf einen Kurzschluss“, meinte mein Vater.

      „Vielleicht ist der Strom in der ganzen Stadt ausgefallen“, mutmaßte ein Mann in der Reihe hinter uns.

      „Ich hoffe nur, dass es nicht lange dauert, bis wir wieder Strom haben. Sonst wird es in kurzer Zeit in der Kirche kalt sein“, entgegnete jemand rechts von mir.

      „Und das ausgerechnet an Heiligabend“, jammerte eine Frau.

      Es wurde immer lauter in der Kirche. Meinungen, was man tun sollte, wurden ausgetauscht. Einige Stimmen klangen erregt, manche ungeduldig, andere ärgerlich. Da begann die Flötistin wieder zu spielen. Aus dem Dunkel drang die getragene Melodie und beruhigte langsam die Besucher. Es wurde immer stiller.

      Ich sah auf die Kerzen am Christbaum. Jetzt, wo es ringsum finster war, schienen sie umso heller zu strahlen. Darum geht es doch an Weihnachten, schoss es mir durch den Kopf: dass Jesus gekommen ist, mitten in unsere Dunkelheit hinein – die Unruhe, das Leid, die Not, den Schmerz, die Angst und Sorge. Und dass er die Dunkelheit erhellt, weil er da ist, um zu helfen, zu retten, durchzutragen. Mehr noch, um mitzufühlen und mitzuleiden. Wie konnte ich mich nur von den sorgenvollen, dunklen Gedanken wegen meiner Mutter so sehr bestimmen, mich so sehr gefangen nehmen lassen! Es lag an mir, meinen Blick auf das Licht zu richten, auf Jesus, anstatt auf die Dunkelheit zu starren, die mich wie das Mädchen ängstlich zurückließ.

      Ich musste schmunzeln, als ich merkte, dass ich mir gerade selbst eine Predigt gehalten hatte. Eine Predigt, die mich tröstete und hoffnungsvoll stimmte. Auch das ist Weihnachten, begriff ich, wenn das Herz wund ist und man nicht vor Freude jubeln kann. Es gibt Trost und Hoffnung, weil Jesus in unser Elend gekommen ist.

      Das elektrische Licht ging wieder an. „Gott sei Dank!“, hörte ich eine Frau aufatmend sagen.

      Ja, Gott sei Dank, dachte ich, wenn auch aus einem ganz anderen Grund.

      von Ursula Schröder

      Persönlich habe ich das Kind nie gesehen. Aber es hat unser Leben auf den Kopf gestellt. Vielleicht hat es sogar mein Leben gerettet, denn ich hatte damals nur noch wenig Kraft zum Weitermachen. Aber ich lebte, während andere starben: zwei meiner Kinder, das eine direkt nach der Geburt, mein Bruder, der den Aussatz bekam und deshalb, wie es Vorschrift war, das Dorf verlassen musste. Er wurde später tot in einer Höhle gefunden. Und natürlich mein Schwiegervater, der die Römer als Partisan besiegen wollte. Stattdessen verlor er das Leben und seine Familie alles, was sie besaß.

      Damit begann sie, die schreckliche Zeit. Auch für meinen Mann Joel änderte sich nämlich alles. Er war kein übler Kerl, damals, als wir heirateten und er noch dachte, er würde die Werkstatt von seinem Vater erben. Wir lachten viel zusammen, und manchmal, wenn wir allein waren, löste er mein Haar und sagte, ich wäre seine Prinzessin. Aber das hörte nun auf. Er wurde bitter, schweigsam und unzufrieden, und ich war immer froh, wenn er mit den anderen Schafhirten unterwegs war und tagelang nicht heimkam, weil ich in dieser Zeit wenigstens keine Angst haben musste vor seinem Jähzorn und den harten Fäusten, die so schnell ihr Ziel trafen.

      Hinterher tat es ihm jedes Mal leid, aber den Schmerz konnte er nicht mehr rückgängig machen. Dann besann er sich darauf, dass seine Mutter früher zu ihm gesagt hatte, er wäre etwas ganz Besonderes. Weil er groß und stark war. Seine Schultern waren so kräftig, dass er die schwersten Lasten trug, als wären sie nichts. „Und jetzt sieh mich an“, sagte er mit einer Verzweiflung in der Stimme, die ich nachvollziehen konnte. „Ein ganz besonderer Versager, ein Schafe hütender Niemand. Der bin ich.“ Mein Mitleid wollte er trotzdem nicht, deshalb ging ich ihm möglichst aus dem Weg.

      Aber eines Tages kam diese Sache mit dem Königskind. Es war um die Zeit, als die Römer die Leute kreuz und quer durchs Land schickten, um sich in die Steuerlisten eintragen zu lassen. Überall waren Fremde. Man musste auf seine Wäsche aufpassen und dass sie einem nicht das Obst vom Baum pflückten, bevor es überhaupt reif war.

      Joel war mal wieder eine Woche lang mit der wilden Truppe auf den Weiden unterhalb von Betlehem unterwegs gewesen. Eines Abends kam er nach Hause und hatte einen ganz merkwürdigen Blick. Die Kinder schliefen schon, und ich wollte eigentlich so tun, als müsste ich noch mal Wasser holen; ich hatte nämlich den Verdacht, dass er mit den anderen den billigen Wein aus der Taverne getrunken hatte. Er kam direkt auf mich zu. „Nurit, da bin ich.“

      „Ach ja.“ Ich sah ihn unsicher an. „Hast du schon gegessen?“

      „Hast du noch Brot? Dann setz dich zu mir. Ich möchte mit dir reden.“

      Ich reichte ihm einen Fladen und nahm in respektvollem Abstand Platz. Joel schüttelte den Kopf. „Nein, komm näher, Nurit. Ich muss dir etwas erzählen.“

      Vorsichtig rückte ich an ihn heran. Er roch nicht nach Alkohol, und seine Augen schauten auch nicht so feindselig wie sonst. Er seufzte und schob mir das Tuch vom Kopf, um meine Haare zu berühren. „Weißt du noch, wie ich dich manchmal genannt habe, Nurit?“

      „Prinzessin“, murmelte ich wehmütig. Das waren noch Zeiten gewesen.

      Er nickte. „Das war natürlich ein Scherz, wir sind ja einfache Leute. Aber stell dir vor, ich habe ein echtes Königskind gesehen.“

      „Du?“ Ungläubig sah ich ihn an. „Warst du in Jerusalem?“

      Er schüttelte den Kopf. „Nein, das war in Betlehem. Da ist doch schon König David geboren worden. Und jetzt gibt es dort wieder ein Kind, das ein König werden wird, noch viel mächtiger als er.“

      Ich musste lachen, auch wenn es gefährlich war, weil ich nicht wusste, wie Joel darauf reagieren würde. „Mächtiger als David? Du spinnst. Da müsste er erst mal die Römer besiegen.“

      Joel wurde überhaupt nicht wütend über meinen Widerspruch. „Mächtiger als David, mächtiger als der römische Kaiser. Er wird König der ganzen Welt sein.“

      Vermutlich waren meine Augen voller Zweifel und rund wie Mondscheiben. „Ach ja? Und das weißt du woher?“

      Nach wie vor war er ganz ruhig und sah mich an. „Da waren Engel, Nurit. Gott hat seine Boten geschickt, um es uns zu erklären.“

      Engel, aha. Die einfachen Hirten etwas erklären. Alles klar. „Joel, rede keinen Unsinn. So etwas passiert doch nicht wirklich. Und Leuten wie uns schon gar nicht.“

      Ich konnte nicht glauben, dass er grinste. Über diese dreisten Worte konnte er lachen? Nicht zu fassen. „Doch, Nurit. Das ist das Besondere an diesem Kind. Es ist zu uns allen gekommen. Das Kind einfacher Leute. Der Vater ist Zimmermann, und die Mutter ist so jung, wie du warst, als ich dich zur Frau nahm. Die hausen in einem Stall, wie so viele andere, die wegen der Zählung unterwegs sind.“

      „Wie kannst du dir so sicher sein, Joel? Das klingt doch völlig unglaubwürdig. Arme Leute in einem Stall, Engel, die mit Hirten reden … Wer beweist dir denn, dass das wirklich so ist?“

      Er wurde ganz still. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Vermutlich war jetzt die Grenze seiner Geduld erreicht, und ich konnte froh sein, wenn ich mit einem blauen Auge davonkam. Er hob den Arm – und legte ihn um meine Schulter. Verblüfft ließ ich mich an ihn ziehen.

      „Ich bin der Beweis, Nurit.“ Er lehnte seinen Kopf gegen meinen. „Ich bin ein anderer geworden durch dieses Kind. Klar, es ist schon eine verrückte Geschichte, und ich war auch erst mal sehr skeptisch. Aber wir sind zusammen zu diesem Stall gegangen und haben es gesehen. Es war genau, wie die Engel gesagt haben.“

      „Was haben sie denn gesagt?“, flüsterte ich. Noch immer hielt er mich an sich gedrückt, und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich die Stärke seiner Arme, ohne mich zu fürchten. Es war so

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