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Kriminalpolizei) den Auftrag, an der Gerichtsverhandlung gegen die beiden sowjetischen Soldaten teilzunehmen. Die Kommandantur hatte eingeladen. Auch die Eltern des Opfers waren eingeladen, lehnten aber eine Teilnahme ab. Der Leiter der MUK und ich fuhren also zur Kommandantur, trafen dort den uns bekannten Dolmetscher und fuhren mit ihm zur sowjetischen Kaserne.

      In einem großen Saal fand die Verhandlung vor dem obersten Militärtribunal der sowjetischen Streitkräfte statt. Im Saal saßen mehre hundert Soldaten und Offiziere. Der Täter wurde zum Tode verurteilt und der andere »Überflieger« zu fünf Jahren Aufenthalt in einem Straflager. Die Urteile wurden mit lautem Beifall quittiert. Sicher sollten sie auch zur Erziehung der anwesenden Soldaten beitragen.

      Wir fuhren erschüttert nach Hause und dachten beide nicht daran, dass dies noch nicht der letzte Akt in diesem bösen Delikt war. Wieder einige Monate später wurde ich zum Chef der Bezirksbehörde Halle befohlen. Der MUK-Leiter war im Urlaub. Schweigend hielt der General mehrere Seiten Papier in der Hand und gab sie mir. Es war ein handschriftliches Schreiben in kyrillischer Schrift und eine gestempelte Übersetzung in deutscher Sprache. Ich las und war zutiefst erschüttert. Die Mutter des zum Tode verurteilten sowjetischen Soldaten hatte an den Obersten Sowjet geschrieben und gebeten, das Todesurteil gegen ihren Sohn nicht zu vollstrecken. Sie bat mehrmals um das Leben ihres Sohnes und schrieb, dass durch die Vollstreckung die deutsche Mutter ihren Sohn auch nicht wiedererhalten könne. Ich sah die Tränen in den Augen des Generals, mir ging es ebenso. Wir schwiegen einige Minuten. Dann meinte der General zu mir: »Fahren Sie zu der Familie des Opfers und fragen dort nach der Meinung der Eltern und der Freundin des Erstochenen. Egal wie die Meinung der drei ist, fertigen Sie dort ein Protokoll und lassen es unterschreiben.«

      Mir war nicht wohl zumute. Ich war in einer schwierigen Situation, welche ich noch nie erlebt hatte. Ich fuhr ohne Anmeldung zu den Eltern und bat sie, auch die Freundin des Opfers zu holen. Ich erklärte allen das Schreiben der russischen Mutter des zum Tode verurteilten Soldaten. Wir weinten alle.

      Dann sprach die Mutter unter Tränen, dass die russische Mutter ihren Sohn auch unter Schmerzen geboren habe, ihn erzogen habe und nie gewollte habe, dass ihr Sohn einen Menschen im Frieden tötet. Und fügte unter Schluchzen und Tränen hinzu, dass die Vollstreckung des Urteils ihren Jungen auch nicht wiederbringen könne. Ich war mehrere Stunden bei der Familie. Tief erschüttert fertigte ich ein handschriftliches Protokoll, worin die deutsche Mutter den Obersten Sowjet bat, das Urteil nicht zu vollstrecken, da das ihren Sohn auch nicht wieder zum Leben erwecken könne …

      Dann fuhr ich zu meinem General und wurde auch sofort vorgelassen. Schweigend las er mein Protokoll und legte es auf seinen Schreibtisch. Dann musste ich ausführlich über mein Gespräch bei der Familie berichten. Er war vom Standpunkt der deutschen Mutter tief berührt und sagte, dass er es so erhofft habe, aber auch Verständnis für einen anderen Ausgang meines Gesprächs mit der Mutter gehabt hätte. Dann wurde ich mit Dank entlassen. Ich habe nie wieder etwas von dieser traurigen Geschichte gehört.

      Beginn der Arbeit in der MUK / Vergewaltigung mit Bissspuren

      Am ersten Tag in meiner neuen Dienststelle der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Halle wurde ich in einer Dienstversammlung den anderen Offizieren der Abteilung Kriminalpolizei als neuer Mitarbeiter der Morduntersuchungskommission vorgestellt. Alle waren mir unbekannt.

      Mein künftiger unmittelbarer Vorgesetzter war Hauptmann Helmut Grothe. Er war zwanzig Jahre älter als ich und hatte bereits viele Jahre bei der Kriminalpolizei verbracht.

      Er erläuterte mir die Funktionsweise und die Aufgaben einer Morduntersuchungskommission und stellte mir auch den Kriminaltechniker Oberleutnant Hecht sowie den Kraftfahrer Hans Dehn vor. Zwischen uns beiden stimmte auf Anhieb die Chemie und das sollte auch die nächsten Jahre so bleiben. Wir hatten nie Probleme miteinander. In den nächsten Tagen fuhr er mit mir zum Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin Halle. Er stellte mich überall als neuen Mitarbeiter der MUK vor, und nach einer kleinen Gesprächsrunde wussten sie nun, dass ich »der Neue« im Personalstand der MUK Halle war. Diese Vorstellung hielt er für sehr wichtig, um vor einer erforderlichen Zusammenarbeit im konkreten Fall Vertrauen zueinander aufzubauen. Es dauerte nicht lange, da hatten wir einen Fall zu untersuchen, welcher ohne den Direktor der Zahnklinik Halle nicht zu lösen war.

      Eine junge Studentin war offenbar im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung durch Erwürgen zu Tode gekommen. Die Situation am Fundort der Leiche entsprach der einer »klassischen« Vergewaltigung. Das Opfer hatte sich kräftig gewehrt, dabei war ihre Oberbekleidung verrutscht und auf der nun freiliegenden Brust hatte der Täter einen kräftigen Abdruck der Zähne durch einen so genannten Lustbiss hinterlassen.

      Zunächst hatten wir keinen Anhaltspunkt zum Täter, aber Hauptmann Grothe meldete uns beim Direktor der Zahnklinik Halle, Prof. Taats an. Obwohl Hauptmann Grothe keinen solchen Fall jemals davor zu untersuchen hatte, und ich gleich gar nicht, wollte mein Vorgesetzter wissen, ob ein Vergleich der stomatologischen Befunde eines Tatverdächtigen mit der Bissspur an der Leiche möglich sei. Er hatte zuvor ein Gespräch mit dem damaligen Leiter des Instituts für Gerichtliche Medizin anberaumt. Aber Oberarzt Simon kannte einen solchen Vergleich aus seiner Tätigkeit bis dahin nicht, sondern nur als Abbildung in wissenschaftlichen Lehrbüchern.

      So fuhren wir also mit dem großflächigen Präparat der Bissspur zu Prof. Taats. Er hielt einen stomatologischen Vergleich zwischen dem Gebiss eines Tatverdächtigen und der Bissspur durchaus für möglich, betonte aber auch, über keine eigenen Erfahrungen zu verfügen. Zunächst schien ja alles graue Theorie zu sein. Aber warum sollte ein solcher Vergleich, welchen die Fachleute noch nie durchgeführt hatten, nicht möglich sein? Was war nicht schon alles durch Gutachter verglichen und als zueinander zugehörig befunden worden? Es eilte erst einmal nicht, wir hatten schließlich noch keinen Tatverdächtigen ermittelt.

      Im VPKA Halle wurden die erforderlichen Maßnahmen zur Ergreifung des Täters oder wenigstens eines Tatverdächtigen unter unserer Leitung und Einbeziehung der Bevölkerung durchgeführt. Doch es vergingen mehrere Tage, ohne dass wir einen Hinweis ermitteln konnten. Doch dann ging alles sehr schnell. Aus der Bevölkerung war ein Hinweis auf einen jungen Mann gekommen, welcher frische Kratzspuren im Gesicht und an den Händen hätte. Nach einigen Tagen hatten wir ihn ermittelt und als Tatverdächtigen inhaftiert. Er bestritt eine Täterschaft und verhielt sich unzugänglich. Nun aber hatten wir eine Vergleichsmöglichkeit zwischen den Spuren des Täters an der Leiche und den stomatologischen Befunden des Verdächtigen.

      So fuhren wir wieder zu Prof. Taats. Zunächst erklärte er uns wieder, keine eigenen Erfahrungen zu diesem schwierigen Gutachten zu haben, bemerkte jedoch: »Ich fliege in wenigen Tagen zu einer wissenschaftlichen stomatologischen Konferenz nach Schweden und könnte dort mit einem guten Freund das Problem bereden«. Als Hauptproblem hatte er stets die Veränderungen des biologischen Materials durch Austrocknung mit der damit einhergehenden Verkleinerung gesehen.

      Seine Reise nach Schweden und die dort mögliche Besprechung unter Fachleuten wäre eine schöne Sache gewesen, wenn wir nicht dienstlicherseits ein totales Verbot für eine Zusammenarbeit mit ausländischen Wissenschaftlern und vor allem solchen aus dem kapitalistischen Ausland verordnet gehabt hätten.

      Aber Hauptmann Grothe und ich hatten jetzt eine Spur aufgenommen. Sollten wir diese günstige Gelegenheit verstreichen lassen? Wir erklärten Prof. Taats unsere Bauchschmerzen und wurden mit ihm einig, dass er das Präparat der Bissspur und die stomatologischen Abdrücke unseres Tatverdächtigen nur unter der Bedingung mit nach Schweden nehmen konnte, dass er unser Problem nur mit einer einzigen Vertrauensperson besprechen würde.

      Wir ließen in den nächsten Tagen durch den behandelnden Zahnarzt der Untersuchungshaftanstalt (UHA) Abdrücke vom Ober- und Unterkiefer des Verdächtigen anfertigen und übergaben beide Prof. Taats. Über mögliche disziplinarische Konsequenzen wegen unserer Kontaktaufnahme zu ausländischen Wissenschaftlern haben wir damals nicht nachgedacht. Zu dieser Zeit, 1963, war auch innerhalb der Kriminalpolizei die Angst vor einer Berührung mit dem »Klassenfeind« noch nicht so ausgeprägt, wie ich es später nach meinem Wechsel in das MfS kennenlernte.

      Nach etwa einer Woche meldete sich Prof. Taats von seiner Reise zurück und wir fuhren sofort zu ihm. Nach der Schilderung

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