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waren, kannte man sich in der AWG auch untereinander.

      Wir mussten für unsere Wunschwohnung – drei Zimmer, Küche und Bad – 2.500 Mark einzahlen und 250 Arbeitsstunden leisten: beim Ausschachten von Fundamenten oder beim Abladen von Materialien. Alle benötigten Materialien wurden vom Werk geliefert, auch die Baubrigaden und der Bauleiter kamen aus dem Werk. Unser Vorstand Reinhold Voigt war der unermüdliche Motor auf der Baustelle »Am Rosengarten«, es handelte sich um die Jahre 1954 bis 1957. Wir kannten ein Paar, die Modelleisenbahner waren und sich für eine Vier-Raum-Wohnung eintragen ließen, obwohl sie keine Kinder hatten. Gegenüber unserer Wohnung hatte sich eine Familie für eine Vier-Raum-Wohnung eintragen lassen, weil sie Platz für zwei große Hunde benötigte. Das waren Chow-Chow, und aus deren Wolle wurden Pullover gestrickt. Alles war nur eine Frage des Geldes und der zu leistenden Arbeitsstunden.

      Für die meisten war die zu zahlende Geldsumme kein Problem, Jeder hatte Arbeit, auch die meisten Ehefrauen arbeiteten im Werk, und damals galt das Gesetz: »gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Auch die zu leistenden Arbeitsstunden waren meistens kein Problem, da viele im Drei-Schicht-System arbeiteten und so immer planbare Zeit hatten. Die Angestellten der Verwaltung hatten es noch besser.

      Bei Sissi und mir war das Geld auch erschwinglich, obwohl ich nur 560 Mark als Kriminalmeister bekam. Unser Problem allerdings waren die Arbeitsstunden: Ich kam aufgrund der vielen Überstunden immer erst spät und dann auch noch im Dunklen in der Wohnung der Schwiegereltern an. Und so war die zu leistende Arbeit für uns ein echtes Problem, sie konnten auch nicht mit Geld abgegolten werden. Eines Tages kam Sissi aus dem Werk nach Hause und erzählte, dass ihre Brigade für uns Arbeitsstunden leisten würde. Und tatsächlich kamen am Samstag und Sonntag acht bis zehn Männer ihrer Brigade unter Leitung des damals sechzigjährigen Obermeisters Knauthe und leisteten für uns Arbeitsstunden. Ich war wie immer mit Überstunden im Dienst unabkömmlich, und so konnten wir uns nur dadurch bedanken, dass Sissi Bratwürste grillte. Uns war meine Abwesenheit sehr unangenehm, aber alle hatten Verständnis für meine Situation. Damals half jeder jedem.

      Am 1. Oktober 1957 erhielten wir unsere Wohnung in der Bunasiedlung »Rosengarten«. Die Freude war groß. Schon die Übergabe der leeren Wohnung feierten wir gemeinsam mit den neuen Bewohnern unseres Wohnblockes in der Emil-Fischer-Straße. In der AWG trugen alle Straßen Namen von bedeutenden Chemikern.

      In dieser Wohnung wohnten wir bis zu unserem Umzug nach Berlin. In Berlin erhielten wir auch eine Neubauwohnung in der Höchste Straße im Stadtzentrum. Die Wohnung war räumlich größer, aber ich erinnere mich auch heute noch gern an unsere Wohnung in der AWG, an die Jahre des Baues und des Zusammenlebens.

      Fast hätte ich vergessen, dass es in dieser AWG ein Klubhaus gab. Natürlich mit Getränkeausschank in den Abendstunden und einem kleinen Imbissangebot. Dort konnten auch Zusammenkünfte bei Familienfeiern abgehalten werden. Das Tollste aber war der Waschsalon im Keller des Gebäudes: Dort standen elektrische Waschmaschinen. Jedes Mitglied der AWG konnte sich dort für die Benutzung einer Waschmaschine einen Termin geben lassen, ging dann mit seiner Schmutzwäsche dorthin, wusch und trocknete sie und ging dann nach zweieinhalb Stunden mit der trockenen Wäsche unterm Arm wieder in seine Wohnung. Heute mag das alles nach Mittelalter klingen, aber für die damalige Zeit war es eine ungeheure Erleichterung. Wir zahlten 38,00 Mark monatlich an Miete.

      Später hatten wir eine Waschmaschine in der Wohnung und eine Wäscheschleuder. Diese stand auf einem luftgefüllten Gummiring und das Wasser lief unten heraus. Man trocknete dann die Wäsche im Bad mit Standtrocknern, wie sie auch heute noch gebräuchlich sind oder hatte sich nach eigener Erfindung Wäscheleinen im Bad gespannt. Das war bei uns auch noch so, nachdem wir im Herbst 1969 in unsere Berliner Wohnung umgezogen waren.

      Lehrgang an der Kriminalschule Arnsdorf / Dienst in Halle (Saale)

      Gerade als ich dachte, ich sei ein richtiger Kriminalist, ich hatte ja schließlich einen Dienstausweis als Kriminalmeister, eine Kriminalmarke sowie eine Pistole, wurde ich zu einem Lehrgang an die Kriminalschule Arnsdorf bei Dresden delegiert, an die »Volkspolizeischule für Kriminalistik«.

      Es war ein Drei-Monats-Lehrgang. Wir erhielten lediglich einmal monatlich von Freitagmittag bis Montagmittag Urlaub in die Heimat, allerdings hatten wir Ausgang nach Arnsdorf oder nach Dresden.

      Heute kann ich sagen, dass diese drei Monate in meinem fast vierzigjährigen Leben als Kriminalist die angenehmste Zeit waren. Der Unterricht war nicht allzu anstrengend und vor allem gab es keine Überstunden. Es war richtig erholsam.

      Die Schule war in zwei mehrstöckigen Gebäuden untergebracht, in einem Gelände mit Wiesen und hohen alten Bäumen. Neben den Gebäuden der Polizeischule gab es noch andere Gebäude, die von einer medizinischen Fachschule belegt waren. Uns wurde eingeschärft, die dortigen Schwesternschülerinnen zu meiden. Diese Anweisung erwies sich sehr bald als ein Schuss in den Ofen: Einer unserer Kriminalisten wusste, dass die Gebäude durch einen Kellergang noch aus Kriegszeiten verbunden waren, und so kam es des Öfteren zu Zusammenkünften mit den Schülerinnen. Wie immer im Leben hatte die Umgehung von Verboten und Unerwünschtem einen direkten Reiz. Dieser Kellergang war das Geheimnis aller Kriminalisten und sicherlich auch der meisten Schwesternschülerinnen.

      Am ersten Unterrichtstag lasen wir an der großen Wandtafel einen Spruch, der viel Heiterkeit auslöste, und so heiter und auch unernst verlief dann der Unterricht:

      Das Bürgerliche Gesetzbuch, kurz genannt das BGB,

      wer damit zu tun bekommt, dem tut es meistens weh;

      er ist nämlich verpflichtet in Schadensfällen,

      den alten Zustand wiederherzustellen.

      Wie verhält es sich aber mit einem Radfahrer, der es eilig hat

      und er saust so durch die Straßen seiner Stadt

      und achtet seines Weges nicht genau

      und fährt doch gegen eine Frau,

      die in dem Zustand sich befindet,

      der Hoffnung auf ein Kind begründet.

      Und vor ihr mit diesem Schreck

      geht die Kindeshoffnung weg.

      Wie verhält es sich nun laut Gesetz?

      Ist der Betreffende verpflichtet in Schadensfällen

      den alten Zustand wiederherzustellen?

      Natürlich waren wir alle für Wiederherstellung …

      Als wir erstmalig Heimurlaub hatten, trafen wir auf dem Bahnhof in Dresden eine unserer Dozentinnen. Sie fuhr im selben Zug, und im Gespräch erfuhren wir, dass sie auch mit dem gleichen Zug wie wir zur Schule zurückfahren musste. Sie versprach Plätze freizuhalten und siehe da, als der Zug in Halle hielt, hatte sie ihr Versprechen gehalten und so plauderten wir bis Dresden. Sie ist mir aber noch aus anderem Grund in Erinnerung: Sie war vom Dienstgrad Major und hieß Marschall. Durch ihren freundlichen, aber doch fordernden Umgang mit uns war sie allgemein sehr beliebt. Später in meinen vielen Dienstjahren habe ich allerdings nichts mehr von Majorin Marschall gehört.

      Die drei Lehrgangs-Monate waren schnell vorbei und wir reisten wieder in unsere Dienststellen zurück. Und so kam ich wieder in die Untersuchungsabteilung der Kriminalpolizei Halle und hatte wieder zu kämpfen, um meinen Aktenbestand auf maximal zwanzig zu bekommen.

      Über meine Dienstjahre in Halle zu schreiben, ohne zu erwähnen, dass es in dieser Stadt eine tausendjährige Tradition des Salzsiedens gab und mit vielen überlieferten Bräuchen wie Fahnenschwenken, Brautgeleit, Fischerstechen, Laternenfest und ein Salzwirkermuseum mit Dutzenden Silbergefäßen wäre unvollständig. In der Stadt gibt es noch heute die älteste Schokoladenfabrik Deutschlands mit den berühmten Hallorenkugeln. Jährlich nahmen viele Tausende am Laternenfest auf der Saale teil, mit hunderten laternengeschmückten Booten, vom Ruderboot bis zum Ausflugsdampfer. Einen tollen Ausblick auf das Spektakel hat man von der Burg Giebichenstein aus, von der man zur Saale hinabsehen kann. Von den Mauern der Burg, so die örtliche Legende, soll sich auch Ludwig der Springer gestürzt haben, als er vor seiner Hinrichtung floh. Seinen Mantel habe er wie einen Fallschirm aufgespannt

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